Kultur

Ich weiß nicht was soll es bedeuten?

Tini Kigle
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Am Samstag 16. April 2011, eröffnete im Lenbachhaus/Kunstbau die neue Ausstellung „Mondrian und De Stijl“. Aus Kunst und Mode, Werbung und Populärkultur sind die strengen geometrischen Formen sowie die radikale Farbreduzierung, die auf diese Bewegung zurück geht, nicht mehr wegzudenken. Die Gemälde gelten als Ikonen der Moderne. Das Lenbachhaus zeigt nun die erste umfassende Museumspräsentation dieser stilbildenden Avantgarde-Gruppe in Deutschland.

Das Schöne an den Gemälden Mondrians ist, dass sie nichts von einem wollen. Man braucht in ihnen keine Geschichte rekonstruieren, keine Kenntnisse antiker Mythologie mitbringen, keine Bibelfiguren oder -symbole wiedererkennen. In ihnen steckt nichts ‘drin’ und aus ihnen kann man nichts ‘heraus’ holen. Kein Wesenskern, kein Täter hinter der Tat.

Piet Mondrian  Komposition mit Rot, Schwarz, Gelb, Blau und Grau, 1921.  © 2011 Mondrian/Holtzman Trust c/o HCR International Virginia USA

Piet Mondrian Komposition mit Rot, Schwarz, Gelb, Blau und Grau, 1921. © 2011 Mondrian/Holtzman Trust c/o HCR International Virginia USA

Allein: Dies schützt vor Fragen nicht, die sich über Jahrhunderte hinweg im Zugang zu Kunst heraus gebildet haben. Fragen wie Was stellt dieses Bild dar? Was bedeutet es? Was will uns der Künstler damit sagen? Und vor allem: Welchen Sinn hat das?
‘Ich weiß nicht was soll es bedeuten’ klagt Heinrich Heine in seinem Loreley-Gedicht in den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts und bringt damit zugleich auch die Ãœberforderung und Abwehr vieler BetrachterInnen angesichts abstrakter Gemälde auf den Punkt. Noch rund 100 Jahre nach De Stijl!

Diese Sinnfrage ist dabei ganz bestimmt keine unberechtigte. Schließlich verorten wir uns über ihre Beantwortung in der Welt. Sie ist Grundlage unseres Verstehens und Begreifens. Der ‘Sinn’ ist der Raketenabwehrschirm für Zufall, Willkür, Kontingenz. Wenn unser Erleben und Erfahren voll Sinn, also sinn-voll ist, dann fühlen wir uns irgendwie … im Chaos geborgen. Und wenn dann Komposition mit Rot, Schwarz, Gelb, Blau und Grau oder TABLEAU I, mit Rot, Schwarz, Blau und Gelb die Antwort auf die Sinnfrage verweigern, dann sind Irritation und Verstörung in der Tat verständlich.

Piet Mondrian  COMPOSITIE NO. 3, mit Farbfeldern 3, 1917.  © 2011 Mondrian/Holtzman Trust c/o HCR International Virginia USA

Piet Mondrian COMPOSITIE NO. 3, mit Farbfeldern 3, 1917. © 2011 Mondrian/Holtzman Trust c/o HCR International Virginia USA

Dabei steckt der Sinn nicht ‘in’ den Dingen oder Erfahrungen. Ernst Gombrich erzählt in seinem Buch Kunst & Illusion eine Geschichte aus der heidnischen Spätantike, die dies beispielhaft zeigt. Es geht um Philostrats Lebensbeschreibung des Philosophen Apollonius von Tyana, der mit seinem Schüler Damis folgende Unterhaltung führt:

Apollonius: Sage mir, o Damis, gibt es etwas, was man Malerei nennt?
Damis: Gewiß doch.
Apollonius: Und worin besteht diese Kunst?
Damis: Nun, in dem Mischen der Farben.
Apollonius: Und warum werden die Farben gemischt?
Damis: Um der Nachahmung willen; um das Abbild eines Hundes oder eines Pferdes oder eines Mannes zu erhalten, oder auch eines Schiffes oder was immer es sein mag.
Apollonius: Malerei ist also Nachahmung, Mimesis?
Damis: Gewiß, was sonst? Wenn Malerei nicht Nachahmung wäre, wäre es ja eine kindische Spielerei mit Farben.
Apollonius: Sehr richtig. Aber was für eine Bewandtnis hat es mit den Dingen, die wir am Himmel sehen, wenn die Wolken treiben: Zentauren und gehörnte Antilopen, Wölfe und Pferde? Sind diese auch Werke der Nachahmung? Ist Gott ein Maler, der sich so die Zeit vertreibt?

Die beiden stimmen darin überein, dass der Sinn nicht in den Wolkenkonfigurationen und -konstellationen sitzt, sondern diese allein Gebilde des Zufalls sind. WIR sind es, die den Wolken Gestalt verleihen und ihnen den Sinn zuschreiben.

Apollonius: Aber geht daraus nicht hervor, daß die Kunst der Nachahmung zwiefältig ist? Besteht sie nicht auf der einen Seite in der Herstellung von Nachahmungen mit Hilfe von Hand und Geist, auf der andern jedoch in der Schaffung von Bildern mit dem Geiste allein? Aus diesem Grund behaupte ich, daß alle, die ein Werk der Mal- oder Zeichenkunst betrachten, selbst die Gabe der Nachahmung besitzen müssen und daß niemand einen gemalten Hengst oder Stier verstehen könnte, der nicht wüßte, wie solche Geschöpfe wirklich aussehen.

Demzufolge sind es nicht die Wolken und nicht die Gemälde Mondrians, die Sinn-los sind. Es ist unser irritiertes und enttäuschtes Denken und Wahrnehmen, das eben an Geschichten gewöhnt ist: an Geschichten, in denen Menschen und Dinge dargestellt sind, wie wir sie kennen und wie uns ihre Darstellung vertraut ist.

„Oft sehen wir eine Wolke, drachenhaft.
Oft Dunstgestalten gleich dem Leu, dem Bär.
Der hochgetürmten Burg, dem Felsenhang.
Gezackter Klipp und blauem Vorgebirg.
Mit Bäumen drauf, die nicken auf die Welt.
Mit Luft die Augen täuschend.“

(Shakespeare in Antonius und Cleopatra)

Und rechtwinklige Raster aus horizontalen und vertikalen Linien in Schwarz vor weißem Hintergrund und darin eingefügte Flächen in den Grundfarben Rot, Gelb und Blau begreifen wir eben nicht als Geschichten. Sie sind uns unverständlich. Und damit Sinn-los.

Interessant ist nun, dass diese strengen und radikalen Kompositionen von Formen und Farben nicht mit der Zeit Eingang in unser gängiges Sinn-Repertoire gefunden haben. Schließlich kann das Unvertraute durch sein Wieder- und Wiederkäuen vertraut werden. Mondrians Gemälde allerdings gelten nach wie vor nicht als Darstellung oder Nachahmung, sondern als sogenannte Abstraktion ohne Anspruch auf Sinnhaftigkeit.

mondrian3

Was hingegen einen Triumphzug (und was für einen!) feierte, sind die Gemälde in ihrem sinn-lichen Sinn: Die Muster und Kompositionen Mondrians finden wir heute an Möbeln und in der Architektur, als Print auf Kleidern, Vorhängen, Tischdecken oder für Produktdesigns. Man werfe hierfür nur einen Blick auf die Produkte der Studio Line von L’Oréal.
Den nachdrücklichen Einfluss, den diese Formen und Farben auf unsere Sinne und unseren sinnlichen Alltag hatten und noch immer haben, darf man ruhig einzigartig nennen. Die Bilder in der aktuellen Ausstellung im Lenbachhaus/Kunstbau sind sinn-voll, indem sie sinn-lich sind.

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