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Im Münchner Wahlplakat-Dschungel

Florian Kappelsberger

Klimakrise, Corona-Pandemie, Maskenaffären – angesichts der turbulenten letzten Monate mangelt es vor der Bundestagswahl am 26. September kaum an brennenden Themen. Doch wie treten die verschiedenen Parteien auf den bunten Postern in den Straßen Münchens auf? MUCBOOK nimmt Dich mit auf einen Streifzug durch den Wahlplakat-Dschungel…

Knappe Slogans und harmlose Gags

Anstand, Sicherheit, Stabilität: Die CSU verspricht in diesem Wahljahr keine Experimente. Das spiegelt sich auch in den knappen Slogans der Christsozialen, die durch ihre Sparsamkeit an Silben auffallen – “Bayern stark machen”, “Damit Deutschland stabil bleibt”. Berhard Loos, Abgeordneter und Direktkandidat im Wahlbezirk München-Nord, tritt als gut gelaunter Zuhörer und Verfechter der Digitalisierung auf. Für einen Wortwitz posiert er in der Mitte eines Dreieckständers, was der Blogger und Politikberater Martin Fuchs ironisch kommentiert: “Ich bin ein MdB, holt mich hier raus!”

Wohlfühl-Wahlkampf mit der SPD

Die Regenbogenflagge als Wahlplakat – ein starkes Zeichen für ein vielfältiges und weltoffenes München. Doch was hat das mit Cancel Culture zu tun? Der Streitbegriff, der seit Monaten durch die Feuilletons und Kommentarspalten der Bundesrepublik geistert und insbesondere mit der Online-Diskurskultur in Verbindung gebracht wird, scheint auf diesem Wahlplakat irgendwie fehl am Platz. Auch das Statement des Abgeordneten Florian Post, das einen Bogen von den Bauernkriegen des 16. Jahrhunderts zu den hitzigen Debatten um Gendersprache schlägt, bringt wenig Licht in die Sache.

Neben Direktkandidat*innen wie Post, der sich seit seiner Niederlage bei den Listen-Nominierungen einen Kleinkrieg mit seiner eigenen Partei liefert, ist auch Finanzminister und SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz sehr präsent auf den roten Plakaten in den Straßen Münchens. Abgesehen von ein paar nennenswert konkreten Forderungen wie der Anhebung des Mindestlohns auf 12€ bleibt der Wahlkampf der Sozialdemokraten mit seinen kuscheligen Begriffen meistens in der Wohlfühl-Zone: Respekt, Klimaschutz, Wohlstand, sichere Arbeitsplätze, bezahlbare Mieten, stabile Renten.

Menschen, Bilder, Klimaschutz

Die Kampagne der Grünen baut vor allem auf eines: Menschen. Neben den Parteivorsitzenden Annalena Baerbock und Robert Habeck oder lokalen Kandidat*innen wie Doris Wagner begegnen uns Eltern, Kinder, Krankenschwestern, Senioren und Nachwuchs-Imker, allesamt grün eingefärbt. Der Klimaschutz und die nachhaltige Transformation der Gesellschaft bleiben der Schwerpunkt, wobei die Plakate auch Themen wie Infrastruktur, Rassismus und den Gender Pay Gap aufgreifen. Der Slogan “Bereit, weil Ihr es seid” spiegelt das neue Selbstvertrauen der Partei, die vor wenigen Wochen in den Umfragen noch vor der Union lag. Im Moment erlebt sie nach mehreren Rückschlägen für die Kandidatin Baerbock (geschönter Lebenslauf, ungemeldete Nebeneinkünfte, Plagiatsvorwürfe) allerdings eine Flaute. Ob sich dieses Selbstbewusstsein also auszahlt, wird sich am Wahltag zeigen.

Macher in Schwarz-Weiß

Wie schon im Wahlkampf von 2017 setzt die FDP auf markante Bilder ihrer fotogenen Kandidaten in Schwarz-Weiß – ob sich auch Olaf Scholz von dieser Optik inspirieren ließ? Keine andere Kampagne ist derart personalisiert und zugeschnitten auf tatkräftige Einzelkämpfer, allen voran der liberale Posterboy Parteivorsitzende Christian Lindner. Dies wird ergänzt durch die erwartbaren Hymnen an Freiheit und Innovation sowie grammatikalisch fragwürdiges Englisch im Slogan “Make in Germany“, präsentiert in einer sorgfältig abgestimmten Farbpalette. Zudem wird gegen Steuererhöhungen und die angebliche Verbotskultur aller anderen Parteien ausgeteilt. Noch Fragen?

Zwischen Tabubruch und Camouflage

Die Alternative für Deutschland baut auf harte Rhetorik, flankiert von den farblichen Akzenten Schwarz-Rot-Gold. So wird die Erinnerung an sehr unterschiedliche Vorfälle in Würzburg, Dresden und anderen Städten verwendet, um zum Kampf gegen den Islamismus aufzurufen; dass etwa der Mord in Kandel keinerlei religiösen Bezug hatte, wird dabei gekonnt ignoriert. Insbesondere am Beispiel der AfD zeigt sich auch, dass Wahlplakate nie nur einseitig kommunizieren, sondern immer ein Aushandlungsort sind, ein Schlachtfeld gewissermaßen – zwischen der klaren Botschaft der Gestalter und den kreativen Reaktionen durch die Bürger*innen.

Daneben sind in München wie überall im Land auch Plakate mit dem Hashtag #FreiheitForFuture aufgetaucht. Die Richtung ist klar: scharfe Polemik gegen die Umweltbewegung, Black Lives Matter und die Corona-Maßnahmen, ohne Rücksicht auf Verluste. Gestaltet wurde die Kampagne von der Jungen Alternative, die in Bayern vom Verfassungsschutz beobachtet wird. Man kann nur mutmaßen, warum die Initiatoren darauf verzichtet haben, ihr Logo auf die Plakate zu setzen. Möglicherweise hat es ja mit den Skandalen zu tun, mit denen die JA innerhalb des letzten Jahres aufgefallen ist: So trat der Co-Vorstand der Jugendorganisation im Mai nach nur zwei Wochen im Amt zurück, nachdem er für seine offen rassistischen und menschenverachtenden Tweets in die Kritik geraten war.

Maximalforderungen mit Ausrufezeichen

Die Linke verzichtet auf bekannte Gesichter und will stattdessen mit klaren Forderungen überzeugen: Mietendeckel, Vermögenssteuer und kostenloser öffentlicher Nahverkehr, alles punktiert durch den Ausruf “Jetzt!”. Verglichen mit den anderen Parteien erscheinen die Stock-Fotos auf den Plakaten der Linken unpersönlich und geradezu beliebig. Auch wenn die Parteispitze ihre Offenheit gegenüber der möglichen Beteiligung an einer Koalition betont, gilt diese im Moment als nicht sehr wahrscheinlich. Die Chancen, dass die Linke in die Verlegenheit kommt, ihre plakativen Wahlversprechen tatsächlich an der Regierung umsetzen zu müssen, sind dementsprechend gering.

Kleinparteien und neue Akteur*innen

Neben den etablierten Parteien bemühen sich auch viele kleinere Gruppierungen, die 5%-Hürde zu überwinden und damit in den Bundestag einzuziehen. Oft wird versucht, die überschaubare Größe durch betonte Radikalität, Humor oder andere Mittel auszugleichen: Die Marxistisch-Leninistische Partei beispielsweise schmettert klare Forderungen und greift das berühmte Schlusswort aus dem Kommunistischen Manifest von Marx und Engels auf. Die Satirepartei Die Partei dagegen präsentiert ihren Kandidaten im Meme-Format, während die Tierschutzpartei auf den Niedlichkeitsfaktor setzt – und außerdem einen Hund auf ihr Wahlplakat packt.

Doch nicht nur Parteien, sondern auch andere Akteure schalten sich in den Wahlkampf ein. Die Werbefirma Conservare Communications, die in der Vergangenheit mit der AfD in Verbindung stand, startete vor Kurzem eine Negativkampagne gegen die Grünen. Plakate, die auch in München aufgetaucht sind, warnen vor einem angeblichen ‘Klimasozialismus’ und greifen rechte Begriffe wie ‘Asylbetrug’ auf. SPD und Union verurteilten die Aktion scharf.

Wir blicken einem spannenden Endspurt in den letzten Wochen vor der Bundestagswahl entgegen. Insgesamt entsteht fast der Eindruck, viele Parteien wollten die Bürgerinnen und Bürger nach diesem Krisenjahr bloß nicht mit inhaltlichen Debatten oder konkreten Versprechen überfordern. Zugleich zeichnet sich eine bedenkliche rhetorische Entgrenzung am äußerst rechten Rand ab.

Wenn Du nach diesem Streifzug durch den Münchner Wahlplakat-Dschungel ebenso ratlos bist wie zuvor, haben wir hier einen Überblick zu den verschiedenen Wahlhelfern für Dich – vom klassischen Wahl-O-Mat über den Klimawahlcheck bis hin zu WahlSwiper!


Fotos: © Florian Kappelsberger

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