Kultur, Nach(t)kritik
In Würde entblößt
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Zeigt her eure Betten, euer Hüftgold, eure Falten – Herlinde Koelbls behutsamer Blick auf ihre Zeitgenossen im Münchner Stadtmuseum in einer umfassende Werkschau mit Photographien aus drei Jahrzehnten.
Es scheint, als würde Herlinde Koelbl systematisch Intimsphären überschreiten. Sie schaut den Bewohnern westlicher Metropolen in ihr Allerheiligstes: das Schlafzimmer – und noch dazu das Wohnzimmer. Den Reichen und Schönen schaut sie beim Feinsein auf die lackierten Finger. Angela Merkel schaut sie beim Altern zu. Und alten Adligen schaut sie unters Seidenhemd. All diese Blicke auf Menschen in vermeintlich schwachen Momenten sind allerdings weder gierig noch schonungslos. Koelbls Konzentration auf Intimität ist stets erfüllt von Würde.
Dass Menschen im Fokus von Koelbls Photographien stehen, ist unschwer zu erkennen: ihr Werk wird dominiert von Porträts und Körperstudien. Die Unberechenbarkeit von Menschen sei eine große Faszination, erklärte die Photographin beim Künstlergespräch im Stadtmuseum am vergangenen Freitag. Schon seit langem beschäftige sich Koelbl mit Verhaltensforschung und versuche in ihren Bildern demjenigen menschlichen Agieren Ausdruck zu verleihen, das vordergründig nicht gerichtet oder gar atavistisch sei. Menschen beispielsweise in ihren Wohn- und Schlafzimmern zu zeigen, seien für sie Bausteine eines photographischen Psychogramms.
Ob man nun an die restlose Authentizität von Persönlichkeiten auf Bildern glauben mag oder nicht. Das muss nicht entscheidend sein für einen Besuch der Ausstellung “Herlinde Koelbl – Mein Blick”. Abgesehen von den vielen interessanten Fragestellungen, die sich an ihrer Werkschau entzünden, macht das Betrachten ihrer Bilder einfach Spaß und kommt auch wunderbar ohne ausführliche Erklärungen aus. Eine dankbare Mischung aus Flauberlektüre und einem Kinobesuch.
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