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Kontroverse: Hochhaus am Hauptbahnhof

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Das SPD-Motto des Kommunalwahlkampfes 2015 „Damit München München bleibt“ konnte man so verstehen, dass Frieden geschlossen werden sollte mit dem „lieben München“, das durch den Entwicklungsdruck aus den Fugen zu geraten droht. Sachgerechtes, unaufgeregtes, ordnendes Handeln in der Stadtentwicklung schien damit angesagt zu sein. Das berechtigte diejenigen zur Hoffnung, die Münchens Substanz gefährdet sehen. Es schien das Versprechen zu sein, den Konsens zu erneuern, dass das Altstadtensemble in seiner Wirkung unangetastet bleiben soll – und dass Fehlentwicklungen, wie die Missachtung der Sichtachse durch das Hochhauspaar hinter dem Siegestor, nicht trotzig zu Vorbildern stilisiert würden. Die Ludwigskirche wurde bereits in den 1970er Jahren karikiert durch das Heizkraftwerk in der Theresienstraße, das vom Monopteros aus gesehen zwischen ihren Türmen erscheint. Auch die exemplarische, inzwischen sogar mit der gated community „The Seven“ vorangetriebene Gentrifizierung in der Altstadt schien als schwerer Fehler der Stadtentwicklung erkannt.


Blick vom Monopteros: Das Heizkraftwerk zwischen den Türmen der Ludwigskirche. Die Hoffnung besteht, dass das überflüssige Bauwerk abgebrochen wird. Die Stadt wird hoffentlich der Versuchung widerstehen, hier wie in der Müllerstraße Luxuswohnungsbau zu genehmigen. | Foto: Wolfgang Czisch

Blick vom Monopteros: Das Heizkraftwerk zwischen den Türmen der Ludwigskirche. Die Hoffnung besteht, dass das überflüssige Bauwerk abgebrochen wird. Die Stadt wird hoffentlich der Versuchung widerstehen, hier wie in der Müllerstraße Luxuswohnungsbau zu genehmigen. | Foto: Wolfgang Czisch

Damit konnte der interessierte Bürger vermuten, dass der Konsens, das Altstadtensemble nicht durch Hochhäuser zu beschädigen, erneuert wurde. Dieser lautete: Erst außerhalb des Mittleren Rings sollten Hochhäuser an geeigneten Stellen in Frage kommen, die der Architekt und Stadtplaner Detlef Schreiber in seiner 1977 im Auftrag der Landeshauptstadt München erarbeiteten Hochhausstudie („Untersuchung Hochhausstandorte“) ausgewiesen hatte. Umso erstaunter war man, als neben den Plänen zum preisgekrönten Bahnhofsentwurf zusätzlich ein Hochhaus mit 75 Metern Höhe projektiert und von Planungsreferat und Stadtrat befürwortet wurde. Erstaunt musste man in Sichtfeldstudien zur Kenntnis nehmen, dass nun auch zwischen die Türme der Paulskirche ein Klotz gesetzt werden soll, den der Betrachter von der Bavaria aus „genießen“ kann.
München wird also erneut beschädigt, wenn diese Pläne umgesetzt werden. Das Protokoll der Stadtgestaltungskommission liegt inzwischen vor und kann zu diesem Punkt hier eingesehen werden.
Vielleicht wird darin eine Überarbeitung angeregt.

Der Schaden tritt aber nicht nur punktuell auf: Das Altstadt-Ensemble selbst wird in seiner Fernwirkung von Westen, von der Seite der Stadteinfahrt beschädigt. Die Stadtsilhouette wird eingeschränkt von der Hackerbrücke, von der Donnersbergerbrücke und von der Terrasse des Busbahnhofs aus. Gerade aus dieser Richtung wird das Ensemble als der Ankunftsort Münchens wahrgenommen.
Es ist nicht verwunderlich, dass Landesdenkmalrat, Landesamt für Denkmalpflege und Heimatpfleger unisono vor diesem Hochhaus am Bahnhof warnen, auch weil dessen Maße in starkem Kontrast zu den filigranen Stadttürmen stehen und den plumpen Deutschen Kaiser noch zu übertrumpfen suchen.

Hinter dem Siegestor wird das Ensemble durch die Twintowers entwertet. Stadtbildpflege tut not. | Foto: Detlev Sträter

Hinter dem Siegestor wird das Ensemble durch die Twintowers entwertet. Stadtbildpflege tut not. | Foto: Detlev Sträter

Bei diesem „Paradigmenwechsel“, wie der Heimatpfleger Gert F. Goergens in seiner Stellungnahme für den Heimat- und Denkmalrat beklagt, wird die Frage nach dem Münchner Hochhaustyp drängend. Die Stadtgestaltungskommission hat sich damit bereits vor langer Zeit beschäftigt und kam zu dem Ergebnis, dass für München das schlanke Hochhaus als Typ der geeignetste wäre. Allerdings kollidiert dieser Wunsch nach filigraner Ergänzung des Münchner Stadtprofils mit der Wirtschaftlichkeit eines solchen Gebäudes. Beim Hochhaus am Bahnhof handelt es sich um den Investorenwunsch der Deutschen Bahn, möglichst viele wirtschaftlich verwertbare Flächen an dieser Stelle für Verwaltung und Hotel zu bekommen.

Es ist völlig unverständlich, weshalb die Stadt darauf eingeht. Die Bahn möchte den Bestand von gegenwärtig 78.000 qm auf ca. 125.000 qm Geschoßfläche ausdehnen. So entsteht „der Klotz am Bahnhof“, wie ihn Alt-OB Georg Kronawitter nennt.

Blick von der Bavaria: Noch erscheint das geplante Hochhaus nicht zwischen den Türmen der Paulskirche. | Fotos: Wolfgang Czisch

Blick von der Bavaria: Noch erscheint das geplante Hochhaus nicht zwischen den Türmen der Paulskirche. | Fotos: Wolfgang Czisch

Zudem erhält die Deutsche Bahn, für die allein Bund und Länder zuständig sind, durch die Baurechtsschaffung einen „Zuschuss“ von der Stadt München von – geschätzt – über 500 Millionen Euro.
Ein überragendes Gebäude beansprucht Geltung weit über sich selbst hinaus. Die Türme der Altstadt symbolisieren Bedeutung, z.B. für den Bürgerstolz, der sich in der Spendenbereitschaft für den Liebfrauendom ausdrückte, in dem Stolz auf den Rechtsstaat in den Justizgebäuden und nicht zuletzt in dem Anspruch der Bürger auf die endlich wiedergewonnene kommunale Souveränität im Rathausturm.
Analog dazu würde das Bahnhofshochhaus ein Symbol für die Bedeutung des Bahnverkehrs als modernes Transportmittel sein und damit in Konkurrenz zur Altstadtsilhouette treten. Bei einer Abwägung zwischen der Altstadt als Identifikationsort Münchens und der Feier der Bahn sollte München weit höher bewertet werden.

In den prämierten Bahnhofsentwurf wurde durch die Aufnahme der First- und Traufhöhe der Maßstab der Umgebung aufgenommen und gewahrt, den nun das Hochhaus konterkariert. Die aufragende, maßstabslose Baumasse erschlägt die Kulisse der Altstadt.

Blick von der Donnersberger Brücke: Stadtsilhouette. Links die Störung durch das Hotel „Deutscher Kaiser“ (57 m Höhe), unmittelbar daneben ist das Bahnhofshochhaus geplant (75 m Höhe), das die Silhouette weiter einschränkt. | Foto: Wolfgang Czisch

Blick von der Donnersberger Brücke: Stadtsilhouette.
Foto: Wolfgang Czisch

Die Auffassung, die Stationen der Bahn bedürften einer besonderen Kennzeichnung durch städtebauliche Ausrufezeichen, ist fast nirgends überzeugend realisiert worden und auch kaum mit einer exemplarischen Moderne zu begründen. In München aber, einer Stadt mit Kopfbahnhof, ist diese Auffassung noch weniger überzeugend. Hier erwartet den Reisenden ein Ziel, das durch die Altstadt nicht besser versinnbildlicht werden kann: München. Ein „Wahrzeichen“ durch ein Verwaltungshochhaus am Bahnhof gerät da zur Abwertung.
Wolfgang Czisch

Wolfgang Czisch ist Leiter des Arbeitskreises „Stadt: Gestalt und Lebensraum“ und war Stadtrat und Korreferent des Planungsreferats, Programmausschussvorsitzender des Münchner Forums bis 2013

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