Kinogucken

Eine Naturgewalt

Thomas Empl

Steven Spielberg sagte neulich, er habe kein Interesse mehr an Actionfilmen. Das ist einerseits natürlich schade, andererseits kann der Mann ja sowieso alles. Im letzten Jahr kamen gleich drei Filme in die Kinos, mit denen er mehr Vielseitigkeit demonstrierte, als manch anderer in seiner ganzen Karriere: Vom Animations-Abenteuer „Tim und Struppi“ über das Weltkriegsepos „Gefährten“ bis nun hin zu Lincoln, mit dem der 66-Jährige den Kampf des vielleicht bekanntesten amerikanischen Präsidentens gegen die Sklaverei zeigt.

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Und wieder zeigt sich Spielberg runderneuert. Trotz Bürgerkriegshintergrund sucht man Schlachten alá James Ryan vergeblich. Stattdessen inszeniert er die Geschichte als Kammerspiel, das selten das weiße Haus verlässt. Mit gutem Grund: Denn wer das dramatische Geschick eines Spielberg, ein intelligentes Drehbuch und in der Hauptrolle auch noch einen Schauspieler vom Schlage eines Daniel Day-Lewis hat, der braucht im Grunde nicht viel mehr.

Day-Lewis’ Abraham Lincoln ist gerade wiedergewählt worden, der Bürgerkrieg tobt. Dessen zentraler Konflikt liegt darin, ob es Amerikanern weiter erlaubt sein soll, Schwarze als Sklaven zu halten. Gelänge es dem Präsidenten, mit den Rebellen Frieden zu schließen, wäre zwar der Krieg vorbei, doch müsste er ihnen auch das Recht der Sklavenhaltung gewähren. Als deutlicher Sklavereigegner muss es ihm nun gelingen, noch vor Kriegsende einen Anti-Sklaverei – Artikel zu verabschieden, von dem nicht einmal seine eigenen Republikaner überzeugt sind.

Wer jetzt daraus auf einen Film mit vielen politischen Debatten in Büros und Kongresshallen schließt – der hat Recht! Nur sind die in keinster Weise langweilig, denn Spielberg schafft es, dass der Stoff auch ohne Bombast funktioniert. Visuell verzichtet er fast gänzlich auf Experimente oder große Bilder, die man von ihm kennt; sein unvergleichliches Gespür für dramatische Komposition ist jedoch zu jedem Zeitpunkt zu spüren. Ob das Schicksal eines Landes nun in einer Schlacht oder einer Abstimmung alter Männer entschieden wird – beides kann unglaublich spannend sein.

Wer Lincoln aber von einem guten zu einem der besten Filme des Jahres macht, ist – na klar – Daniel Day-Lewis. Man hätte ihm den Oscar auch schon in dem Moment verleihen können, als er besetzt wurde. Gerne wird an solchen Stellen übertrieben: Aber Day-Lewis ist einfach eine Naturgewalt, ein Schauspieler, der seine lebenden Kollegen völlig in den Schatten stellt. Von seiner letzten großen Rolle des Daniel Plainview („There Will Be Blood“) ist rein gar nichts mehr in seinem Lincoln zu erkennen. Der Ire wird in einem Moment vom humorvollen Märchenonkel zum charismatischen Anführer, dem trotz seiner hohen Stimme jeder im Raum zuhört. Er macht aus einem Mann, den wir nur von Bildern kennen (sicher nicht aus unseren lückenhaften Schulbüchern – aber das nur am Rande), einen echten Menschen, voller Zweifel, Humor und Schwächen. Da verwundert es nicht, dass er einige wenige seiner namhaften Mitspieler teils etwas blass aussehen lässt.

Natürlich, ein Historienfilm mit Daniel Day-Lewis, noch dazu von Steven Spielberg und mit der (wie immer erhebenden) Musik von John Williams hört sich schon von vornherein nach erwartbar großem Kino an. Um so schöner, dass Lincoln diese Erwartungen voll und ganz erfüllen kann.

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(Lincolnstartet am 24.01. in den Kinos und ist der beste Film, der diese Woche anläuft)

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