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Mach mich erwachsen, Beamter

Charlotte Frey
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Älter Mach Büro

Am Donnerstag versammelte sich in Obersendling vor dem Gebäude der Regierung von Oberbayern und vor dem Erstaufnahmelager in der Baierbrunner Strasse eine Protestaktion mit Konzert und Performance für Flüchtlingsrechte. Die Aktion stand im Rahmen der „Schmutziger Donnerstag”-Kampagne des Netzwerks Deutschland Lagerland. Hauptthema der Aktion war die scheinbar willkürliche Altersfestsetzung, bei der Beamte minderjährige Flüchtlinge nach äußerlichen Merkmalen “erwachsen” machen. Nur um ihnen Maßnahmen der Jugendhilfe verweigern zu können, so die Vermutung der Flüchtlingsorganisationen.

„Ihr seid noch keine Achtzehn? Wollt aber euren Führerschein machen, saufen und in Diskotheken gehen? Kommt zu uns, wir machen euch volljährig!“, brüllt ein junger Mann von seinem Stand aus in ein Megafon. Vor sich hat er ein Älter-Mach-Büro aufgebaut, in dem Passanten sich mit einem Glücksrad und der Einschätzung eines “Beamten” älter machen konnten. Ein junges Mädchen meldet sich. Bevor ihr der Mund mit Klebeband verklebt wird, darf sie noch ihren Namen und ihr wirkliches Alter sagen. Sie heißt Frau Jung und ist 17. Auf die Frage woher sie komme, versucht sie zwar zu antworten. Doch das Plastikband auf den Lippen verhindert das. Der gespielte Beamte Herr Frisch diktiert mit einem Augenzwinkern seiner Sekretärin Maier, dass eine Verständigung mit der Person wohl trotz aller Bemühungen leider nicht möglich sei. Also wird als Heimat ein willkürliches Land ausgesucht, zur Auswahl stehen: Somalia, Afghanistan, Sierra Leone.

jung

„Sie wollen uns also weiß machen, dass sie erst 17 sind? Also mit 17 sah ich frischer aus, und dann sehe ich auch noch graue Haare. Sie können nicht 17 sein. Sie müssen 61 sein. Herzlichen Glückwunsch! Sie wurden so eben von uns älter gemacht.“ Das minderjährige Mädchen wurde volljährig gemacht. Sie darf nun auch alle Vorzüge eines Erwachsenen genießen: rauchen, trinken, heiraten, alles ist möglich. Eine schöne Vorstellungen denken die meisten jetzt. Falsch! Abgeschoben in irgendein Flüchtlingslager irgendwo in Bayern versauern die meisten ältergemachten Jugendlichen und müssen für die nächsten fünf bis sechs Jahre dort bleiben. Ein Minderjähriger hat es da besser. Nach deutschen Recht, muss der Staat für seine Ausbildung aufkommen, er würde betreut werden und könnte sogar in München bleiben. Eine bessere Zukunftschance und Integrationschance, das ist sicher. . „Herzlichen Glückwunsch sie haben definitiv keine Zukunft Frau Jung “, gratuliert Herr Frisch.

Mit Satire gegen Ungerechtigkeiten. Das „ Älter-Mach-Büro“ ist eine Idee der Karawane München, einer politischen Gruppe, die sich einsetzt  für die Rechte der Flüchtlinge. Anlass sind mangelnde Flüchtlingsrechte in Oberbayern. Junge Asylbewerber, die ohne ihre Eltern nach München kommen, werden nach Meinung der Kritiker von den Behörden oft älter gemacht, als sie sind, wenn keine Papiere da sind. Das kommt dem Staat billiger und macht weniger Mühe als die Betreuung eines Miderjährigen.

Das Geburtsjahr hat weitreichende Konsequenzen. Es geht um die Zukunft. „Sie werden wie alle anderen Erwachsenen Flüchtlinge in Sammelunterkünften untergebracht, müssen in Lagern leben, dürfen ihren Regierungsbezirk nicht verlassen, dürfen nicht arbeiten”, erklärt Christian Oppl, Mitglied der Karawane München. “Dagegen kämpfen wir! “

Verbesserungsvorschläge gibt es viele. Die Karawane kämpft derzeit mit Vehemenz für die Abschaffung der Essenspakete in den Flüchtlingslagern. „Es kann nicht sein, dass Menschen vorgeschrieben wird, was sie zu essen haben.“ Außerdem fordert Oppl für Asylbewerber eine Arbeitserlaubnisse und die Bewegungsfreiheit. Auch die Lagerunterbringung sollte abgeschaft werden, so Oppl, um den Flüchtlingen Privatsphäre zu ermöglichen. Nur so würden endlich die Menschenrechte eingehalten werden.

Was diese Altersfestlegung anrichten kann, zeigt das Beispiel eines Jugendlichen aus Sierra Leone. Abdul war 15 als er nach Deutschland kam. Doch die Behörden glaubten ihm nicht. Er wurde „Volljährig gemacht“. Abdul wurde nach Schongau geschickt und in ein Flüchtlingslager am Rande des Dorfes gesteckt. In dem Lager, gelegen zwischen einem Tierheim und einem Autofriedhof, bestand sein Tag irgendwann nur noch aus schlafen, essen und warten. Eine Schule besuchen oder eine Ausbildung machen, konnte er hier nicht.

abdul

„Mein Leben war in den letzten Jahren sehr schwer”, sagt Abdul. Als er eines  Tages  zum Landesratsamt gegangen sei, um zu Fragen, ob er eine Schule besuchen dürfe, habe man den Wunsch abgelehnt. Er werde als Illegaler in Deutschland eingestuft, hieß es. Der junge Mann mit der schwarzen Lederjacke erzählt wie er der Situation nur durch Hilfe der Flüchtlingsorganisation entkommen konnte: „Nachdem mir die Leute der Karawane geholfen haben, nahm ich mir einen Anwalt und durfte endlich einen Deutschkurs besuchen. Allerdings habe ich einen Platz in München bekommen, da es in Schongau für mich keine Möglichkeiten gab, deutsch zu lernen. Der Flüchtlingsrat kämpfte für mich, damit ich die Erlaubnis bekam in der Woche nach München zu kommen. Am Wochenende musste ich wieder in Schongau sein.“

Flüchtlinge in Deutschland bekommen ein monatliches Taschengeld in Höhe von 40,90 Euro. Die Summe sei viel zu niedrig angesetzt, sagen viele Experten. Auch ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts besagt, dass dieses Asylbewerberleistungsgesetz nicht verfassungsgemäß ist. Das Problem wird größer,  wenn ein Flüchtling wie Abdul von Passau nach München reisen muss. Dann soll er von den 40 Euro die Fahrt nach München bezahlen und muss bei seiner Auslandsbehörde 10 Euro zahlen. „Ich musste irgendwie mit meinen 40,90 Euro überleben. Das war sehr schwer für mich“, so Abdul.

Mittlerweile hat Abdul seine Aufenthaltsgenehmigung bekommen und wohnt in einer eigenen Wohnung in München. Er besucht hier eine Schule und will seinen Abschluss machen. Mit einem kleinen Lächeln auf den Lippen erkärt er:  „Jetzt geht es mir ein bisschen besser. Das Leben geht aufwärts.“ Abdul ist eine Ausnahme. Viele Jugendliche bekommen keine Chance, einen Deutschkurs absolvieren zu können, geschweige noch eine Ausbildung zu machen.

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Der Protestmarsch mit rund 50 Flüchtlingen und Unterstützern führt zum Erstaufnahmelager in die Boschetsrieder Straße. Dort schließen sich weitere 100 Flüchtlinge an, die in ihren Lagern „ unmenschliche und unhygienische Bedingungen“ beklagen. Sie machen ihrem Ärger über die untragbare Situation lautstark Luft und demonstrierten mit selbstgebastelten Flaggen ihrer Herkunftsländer oder Zetteln mit Sprüche wie „Schluss mit willkürlichen Altersfeststellungen“ oder „Keine Essenspakete“.

Pablo- Sänger der Band Irie Révoltés

Pablo- Sänger der Band Irie Révoltés

Vor dem Erstaufnahmelager steht ein LKW. Boxen werden angeschlossen. Die Band Irie Revoltés, die den Kampf der Flüchtlinge unterstützt, gibt ein Solidaritätskonzert.

„Ich finde es wichtig, die Leute aufzuklären, was die Flüchtlinge für eine Situation in Deutschland, beziehungsweise in Bayern haben. Diese Lagerunterbringung, die Verteilung irgendwo in der Pampa, dass die Leute nicht arbeiten dürfen, dass es die Residenzpflicht gibt. Das ist ja eigentlich eine Schande, dass es noch so ein Gesetz in Deutschland gibt!“, erklärt Pablo, der Sänger der Band. Er will ein Zeichen setzten. Und freut sich über die gelungene Veranstaltung, denn Solidarität ist für ihn sehr wichtig. „Ich glaube die Leute selbst müssen sich engagieren aber vor allem auch die Leute in Deutschland, die deutsche Pässe haben, die privilegiert sind. Die sollten auch ihren Arsch bewegen, denn nur so kriegt man die Politik dazu, etwas zu ändern“. Pablo geht zurück zum LKW. Er beginnt sein Konzert.

Pablo

Fotos: (c) Karima Eddabyani und Charlotte Frey

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