Kultur, Nach(t)kritik

Was bleibt von Hipster und Occupy?

Annette Walter
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Mark Greif

Ist der Hipster ein Quälgeist, ein Avantgardist, ein sinnfreier Medienhype, eine Schimäre? War die Occupy Wallstreet-Bewegung ein revolutionärer Impetus oder ein Jungs-Streich mit Zeltlager? Wie wird man auf beides in einigen Jahrzehnten zurückblicken? Nach der Lesung von Mark Greif im Werkraum ist Raum für Spekulationen kühnster Art.

Zeitsprung ins Jahr 2025: Studenten der Kulturwissenschaft und der Soziologe referieren sich in Seminaren gegenseitig die Genese des Neo-Hipsters, dessen Blütezeit auf die Jahrtausendwende geschätzt wird, und erstellen Hipster-Typologien. Einer dieser Typen, der Neo-Hipster, der dem Lifestyle huldigte und exklusives Insiderwissen für sich beanspruchte, der sich immer einen Schritt voraus wähnte, wird ähnlich sorgsam wie der Hippie, der Punk, der Mod und der Rocker analysiert. Ehemalige Hipster erzählen in qualitativen Leitfadeninterviews, was sie von der Bewegung noch erinnern, wie es sich anfühlte, damals in Berlin-Mitte, London-Shoreditch oder New York-Williamsburg einer Avantgarde anzugehören. Als Chronist der Bewegung gilt der amerikanische Intellektuelle Mark Greif, der inzwischen in Harvard lehrt, hochdekorierter Verfasser etlicher Handbücher und Anthologien zum Thema. Greif hat nicht nur das Hipster-Phänomen demaskiert, sondern als Chronist die Anfänge der Occupy Wallstreet-Bewegung beschrieben.

Einige Menschen werden sich dann erinnern, wie sie 2012 Gäste der ersten Lesereise von Greif in Deutschland waren und ihm am 8. Februar im Münchner Werkraum lauschten, als die Bücher “Hipster – Eine transatlantische Diskussion” und “Bluescreen” und “Occupy! Die ersten Wochen in New York” debattiert wurden. Sie werden noch genau vor Augen haben, was für ein enorm freundlicher, erzählfreudiger, unterhaltsamer, witziger und kluger Erzähler dieser Greif doch war, weiches Englisch sprechend, mit seinem roten Hemd, der völlig uncoolen, null hipster-mäßigen Brille und den kurzen dunkelbraunen, unfrisierten Haaren, der, laut Aussage seiner Frau, keinesfalls selbst des Hipstertums verdächtig war, viel zu unhip seien doch seine Klamotten, so die Gattin.

Tradition des intellektuellen Amerikas

Sie werden daran denken, wie charmant Greif auf jede Frage antwortete, wie er enthusiastisch von der Entstehung des von ihm mitbegründeten Magazins n + 1 erzählte und wie er die grandiose Tradition des intellektuellen Amerikas im Sinne einer Judith Butler fortführte. Wie er den Zuschauern in herziger Manier sein Fotoalbum der Occupy-Wallstreet-Aktivisten zeigte, mit einer Begeisterung, die sonst nur Eltern eigen ist, die voller Stolz Bilder ihrer Babys jedem unter die Nase halten.

Man wird im Gedächtnis behalten, wie Mark Greif mit leuchtenden Augen von den Occupy-Wochen im New Yorker Zucotti-Park erzählte, jenem kleinen, ursprünglich gesichtslosen Stück New Yorks, in dem einige Woche lang möglich schien, das einzulösen, was die amerikanische Utopie von Demokratie, Freiheit und Gleichheit aller Ethnien versprach.

Foto: © Nelson Villarreal

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