Stadt

Max Dax und die Serendipität

Hakan Tanriverdi

spex

Seit letzter Woche weiß man, dass Max Dax nicht länger Chefredakteur der Spex bleiben wird. Gestern Abend hielt er im Haus der Kunst einen Abschiedsvortrag. Mucbook war dabei.

Der Saal brüllt einen geradezu mit seiner Behelfsförmigkeit an. Normalerweise werden hier, im Rahmen der aktuellen Ausstellung („Zukunft der Tradition“), in einer Endlosschleife Filme gezeigt. Nicht heute. Heute ist es eher wie damals in den Turnsälen der Grundschule, als sich die Eltern noch gegenseitig unter die Arme packten, um die Stühle aneinander zu reihen. Ein Podium, ein Scheinwerfer, fertig ist das minimalistische Design. Aber der Haken ist, dass es funktioniert. Intensität entsteht.

Ursprünglich wollte Max absagen, zu groß war die vermutete Sensationsgier, zu ungünstig der Zeitpunkt, um über ein anderes Projekt zu sprechen, danke, heute lieber nicht. Dann das große Aber: Warum nicht den Zuhörer an diesem Zwist teilhaben lassen, warum nicht die Intensität des Moments ausnutzen und anderweitig kanalisieren? Max Dax entscheidet sich für Variante 2 und steht vor einem, wider (seinem) Erwarten, gut gefülltem Saal und beginnt zu erzählen, ein bisschen Geschichte und ein bisschen Zukunft, ein bisschen „unschuldiges Zeitungsmachen“ und ein bisschen Medienkrise und das heißt: Ganz viel „Dietrich Diederichsen“ und ganz viel Max Dax.

Auf der Powerpoint-Leinwand steht „30 Jahre Spex – Lasst die Luft vor Klarheit erzittern“ und man fragt sich ein bisschen, ob diese gewollte Martialität nicht auch als Abwehrmechanismus gelesen werden kann. Nach einem Vortrag, der noch keine fünf Minuten dauert und der zweiten Powerpoint-Botschaft („Draußen ist es feindlich“), weiß man es besser: Man muss es auch als Abwehr lesen. Um zu verstehen, warum das so ist, muss man zurück an die Anfänge. Kein Wunder, dass Max Dax genau damit beginnt.

Dietrich Diederichsen ist eine der Referenzgrößen der popkulturellen Theorie. Als der Großteil der bundesdeutschen Feuilletons z.B. einer HipHop-Kultur mit der (implizit rassistischen) Broken-Windows-Theorie begegnete, nahm Diedrichsen HipHop ernst und entdeckte in ihr das revolutionäre Potential einer komplett neuen Musik-Form. Diese Art der Weitsichtigkeit ist es, die man mit Spex („specs“) verbindet, die sie zu einem Leitmedium avancieren ließ. Spex heißt aber mehr: Wenn Max Dax von „unschuldigem Zeitungsmachen“ spricht, dann meint er auch die Verkaufszahlen,  Anzeigen-Schaltungen und Redaktions-Umstrukturierungen, also die problemhaftete Seite. Wohin das führen kann, hat er mit seiner eigenen Zeitschrift selber erfahren müssen: Alert ging Konkurs, „denn ich bin kein guter Geschäftsmann“. Die Marktmechanismen entscheiden nicht nach Diskurs-Relevanz, sondern nach harten Fakten. Diese wurden im Vortrag zwar – teilweise (Nachtrag um 11:35) –  ausgespart, sind aber für das Gesamt-Verständnis unverzichtbar.

Denn dass es auch zum inhaltlichen Problem wurde, zeigt sich zwar nicht direkt an den drei Redaktions-Neubesetzungen seit der angemeldeten Insolvenz im Jahre 2000, sondern vielmehr an den damit verbundenen Neu-Ausrichtungen. Als Dietmar Dath die Chefredaktion verlässt, wird die Integration einer Mode-Strecke (Stichwort: Anzeigen) obligatorisch. Als die Verkaufszahlen unter Chefredakteur Uwe Viehmann rapide zurückgehen und das Tabakwerbeverbot in Zeitschriften schmerzliche Verluste mit sich bringt, muss Spex in eine andere Stadt ziehen und erscheint nur noch alle 2 Monate. Da Köln aber inzwischen ohnehin schon die Popkomm und den Musiksender Viva verloren hatte, war diese Entwicklung abzusehen. Seit 2006 ist  Max Dax Chefredakteur, und tatsächlich, der Erfolg gibt ihm Recht und nimmt den zahllosen Kritikern immerhin etwas Wind aus den Segeln . Auch wenn die Spex heutzutage nicht an den Ruhm früherer Zeiten anknüpfen kann, immerhin die Verkaufszahlen haben sich stabilisiert. Immerhin.

Max Dax erklärt sich den Erfolg durch wichtige Neuerungen: Anstatt hoffnungslos zu versuchen, mit Print „gegen eine sich sekündlich aktualisierende Gegenwart des Internets“ anzukämpfen, richtete man das Heft neu aus. Lange Texte, die ja spätestens mit dem Erfolg des „New Yorker“ freimütig als Print-Garant hochgehalten werden, und Interviews bei zeitgleicher, nennen wir es, Ent-Akademisierung der Sprache. Der standardmäßig wiederkehrende Vorwurf ist (zuletzt von „Johnny Häusler“ geäußert und von Dax beantwortet), dass sich die Spex einer Sprache bedient hat, die nur schwer zugänglich sei. An dieser Stelle muss man sich natürlich fragen, ob Max Dax die Spex-Artikel von Georg Seeßlen auch tatsächlich liest.

Dass die neue Spex jedoch durchaus versucht, den neuen Anforderungen gerecht zu werden, hat sich zuletzt darin geäußert, dass die klassische Plattenkritik abgeschafft wurde. Der dahinterstehende Gedanke ist, dass die Artikel viel weniger über die Platte und viel mehr über den Autoren aussagen (der, so sei hier ergänzt, angesichts der brancheüblichen miesen Bezahlung ohnehin eher Platten rezensieren wird, die er auch persönlich gut findet). Dax’ Lösung ist ein sog. „Pop-Briefing“. In seiner Darstellung ist das Pop-Briefing eine diskursive Freilegung der aktuellen „Schwingungen“, anstatt also zu erfahren, was einzelne Personen für Meinungen haben, soll es hier darum gehen, eine Argumente-Rundumversorgung zu erhalten. Unabhängig von der Imposanz dieses Vorgehens, eine Musikzeitschrift ohne ausgiebige Plattenkritiken,  ist eine Frage insbesondere naheliegend: Wenn das für Musikstücke gilt, warum sollte es im Filmteil nicht ebenfalls ein Pop-Briefing geben? Leider erfährt man an diesem Punkt nichts Genaueres.

Dass die Spex eine neue Identität besitzt, hat sie in ihrer letzten Ausgabe mit einem wunderschönen Coverbild in zwei Versionen unter Beweis gestellt. Version Nummer Eins, ein Porträt vom mittlerweile verstorbenen Christoph Schlingensief, und Version Nummer Zwei zeigt Helene Hegemann auf dem Cover, darunter die aussagekräftige Headline: „Ich habe geklaut“. Ein Mittelfinger in Richtung des selbstgefälligen Kulturjournalismus, der den Erfolg einer Jugendlichen zum Anlass nahm, um sein grandioses Armutszeugnis nur allzu bereitwillig zu unterschreiben. Und auch die Diskussion (eine gute Zusammenfassung findet sich hier) rund um das erwähnte Pop-Briefing zeigt, wie sehr die Spex auch heutzutage noch Stichwortgeber innerhalb dieser Debatte ist. Schade vor diesem Hintergrund ist, dass Max Dax sich lieber mit Karl Popper und dessen Einfachheits-Gebot solidarisiert. Damit stellt er sich automatisch gegen Adorno, dessen Aphorismus „Die Fremdwörter sind die Juden der Sprache“ bis heute Aktualität besitzt.

Denn es gibt zwei Arten, wie ich etwas ausdrücken kann: Entweder ich sage „Ursprünglich hatten wir das alles ganz anders geplant, aber die Umstände haben erfordert, dass wir flexibel reagieren mussten, deswegen rede ich über ein komplett anderes Thema“. Das war die Version von Max Dax. Oder aber man macht es wie Chris Dercon. Heute Abend sei ein „case of serendipity“, sagte er. Das reicht vollkommen aus, denn dieses Wort beinhaltet ganze Sätze. Se-ren-di-pi-tät. Die Bedeutung nachschlagen und in Zukunft Zeit sparen, die man lieber für kreative Antworten verwenden sollte. Um, na ja, Stichwortgeber zu bleiben.

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