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Mein Jahr auf dem MVG-Rad
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Sharing Economy ist ja der heiße Scheiß des 21. Jahrhunderts. Wenn wir alle alles teilen, müssen wir weniger kaufen und konsumieren. Wir gewinnen alle. Das ist der post-moderne Kommunismus in seiner kapitalistischsten Form. Klingt logisch, oder?
Car Sharing ist allen bekannt. Bike sharing eher wenigen.
Warum auch? Ein Fahrrad ist günstig, braucht wenig Platz zum parken und macht auch in der Stadt total Sinn. Fast jeder hat eins. München ist sogar (fast) Radlhauptstadt. Fast ein Fünftel der Münchner kommen mit dem Rad zur Arbeit. Unter den Landeshauptstädten toppt das nur Bremen.
Es gibt jedoch sehr gute Gründe für ein gutes Bike-Sharing Programm.
München ist halt auch ein Dorf, wer was anderes behauptet, ist hier noch nie mit dem Rad gefahren
Da macht das Fahrrad fahren auch viel mehr Spaß als zum Beispiel im großen Berlin. Denn dort ist der ÖPNV oft schneller, als der Hauptstädter auf dem Drahtesel. In München schlägt niemand einen strammen Radler.
Ich bin nun aber so ein Mensch, der ständig und immer Räder verliert. Das fing schon in der frühen Jugend an. Das hatte zur Folge, dass ich auch immer fast kaputte Räder gefahren bin. Ich sehe es einfach nicht ein, mir für ein Schweinegeld ein hippes Bike zu kaufen, nur um es dann aus Angst vor Diebstahl immer rauf in die Wohnung schleppen zu müssen. Die Leute auf ihren schnellen Rennrädern tun mir Leid. Kein Schloss scheint dick genug zu sein, um die latente Angst vor dem Diebstahl zu befriedigen.
Da geht so viel Sinn des Fahrrads, das eigentlich ein billiges, stabiles Massentransportmittel ist, verloren. Was bringt denn ein cooles Rad, wenn man es nicht beruhigt vor der Bar, an der U-Bahn oder der Isar stehen lassen kann, weil man wieder zu tief ins Glas geschaut hat und mit seinen drölf Promille doch lieber ein Taxi (oder Uber) ruft.
Und dann kam die MVG. Dieser blassblaue Engel, der gehasst wird von vielen Münchnern. Und oft zu Recht. Sie etablierte in Münchnen eines der modernsten und durchdachtesten Bike-Sharing Projekte der Welt. Seit dem bin ich MVG Fan.
Die Radl sind an ihrem MVG-Blau leicht zu erkennen
1.200 davon gibt es in der Stadt. Sie stehen frei herum, oder warten an Stationen an U-Bahnhöfen oder wichtigen Knotenpunkten auf mich. Für 12 Euro im Semester habe ich (fast) überall ein Fahrrad, immer dann wenn ich es brauche.
Mit einer App miete ich ein Fahrrad. Mittels einer PIN sperre ich das Fahrrad auf. Und egal wo ich in der Innenstadt damit hinfahre, ich kann es einfach dort lassen. Das ist das beste daran. Ich kann es nicht vergessen, es kann mir nicht geklaut werden. Ein platter Reifen ist nur halb so schlimm. Ich rufe die Hotline an, beichte den Vorfall und meist wird darüber hinweg gesehen.
Es ist die totale urbane Freiheit!
Da könnt ihr mir noch so viel vorschwärmen von den angesagten Second Hand Märkten, wo es die stabilsten Vintage Räder gibt. Ich bin angekommen. Mit seinen acht Gängen und Trommelbremsen sind die Räder besser ausgestattet als die meisten meiner alten Seelenverkäufer. Und für gerade einmal 12 € im Semester, was hochgerechnet auf ein Bachelorstudium selbst mit 2 Extrasemestern nicht mehr als 100€ sind, fährt niemand in dieser Stadt so ein taugliches Rad!
Wenn es nicht so sagenhaft uncool wäre…
Im Leben dreht sich halt nicht nur alles um das Praktische und Bequeme. Wenn die stylischen Hipster mich auf ihren Rennrädern überholen, mit Zopf und einem Hosenbein lässig hochgekrempelt, dann fühle ich mich manchmal wie damals in der Schule, als alle coole Burton Rucksäcke trugen und ich noch meinen alten Scout mit den bunten Rennautos drauf.
Seitdem sind aber mehr als 10 Jahre vergangen und mein Selbstbewusstsein ist gerade stabil genug, dass ich das aushalten kann.
Denn dafür bin ich so schnell und unabhängig wie man es nur sein kann. Steht der Bus im Stau, steige ich aus, hol mir ein Bike und bin einfach schneller. Wenn es im englischen Garten zu regnen beginnt, hole ich mein Handy raus, suche kurz das nächste Rad und bin schon zuhause, während du noch klitschnaß am Milchhäusl vorbei sprintest.
Und seit es dieses geniale MVG Rad gibt, verzeihe ich der Münchner Verkehrsgesellschaft sogar fast das Semesterticket.
Fotomontage: Photoshop Philipp Jan Krattiger