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Meine Halte: Forstenrieder Allee – vom sicheren Hafen und dem Wandel der Zeit
Die unbeschwerteste Zeit ist (oder sollte sein) die Kindheit. Während diesen wenigen Jahren haben wir meistens noch keine großen Verpflichtungen und dürfen uns einfach dem Wandel der Zeit anschließen, der uns irgendwann zum Erwachsensein führen wird. Aber bis dahin ist noch genug Raum zum Träumen, Spielen, kreativ Austoben, Kindsein eben.
Mir wurde vor kurzem etwas Einschüchterndes klar: Ich bin näher an der 18 als an der 10, heißt gleich, näher an Verantwortung, Arbeit, Ernst des Lebens.
Ich finde das eigentlich nicht so schlimm; das Erwachsensein, oder -werden, kommt ja auch mit vielen neuen Optionen und Freiheiten einher. Aber es gibt manchmal Momente, in denen ich mit einem melancholischen Lächeln zu den Orten meiner Kindheit zurückschaue und mir ein Schauer über den Rücken läuft, weil sich alles so plötzlich verändert hat.
Einer dieser Orte ist meine Haltestelle „Forstenrieder Allee“
Vielleicht hast du noch nicht allzu viel von ihr gehört, da sie am Stadtrand zwischen Obersendling und Forstenried liegt, aber wenn man wie ich in Solln wohnt, ist es so ziemlich die nächste U-Bahn-Station. Dort wohne ich schon mein ganzes Leben. Als ich noch kleiner war, hat es mich aus vielen Gründen oft dorthin verschlagen – der Job meiner Mutter, Besuche bei meinem besten Freund, sowie dem Kinderarzt, oder einfach nur spontane Nachmittagsausflüge.
Bücher, Krapfen und Schleichtiere
Meine Mutter und ich verbrachten viel Zeit im „Bücher Kindt“ – einer Buchhandlung, die gegenüber der Bus-Station lag, dann aber leider ihre Zelte abgebrochen hat – und in der nur ein paar Schritte weiter entfernten Bibliothek, die ebenfalls vor ein paar Jahren umzog. Nach unseren Bücherjagden saßen wir dann oft in der dortigen Bäckerei und aßen Krapfen und Schokocroissants.
Auf der anderen Seite befindet sich der „Kaufring“, ein kleines – aber für die fünfjährige Emma riesiges – Kaufhaus mit allem möglichen Zeug, auf das man in diesem Alter eben so steht. Von Schleichfigürchen bis zu verdächtig stinkender Knete war alles dabei. Nach einem Besuch dort, der ein unausweichlicher Bestandteil dieser Ausflüge war, kam ich nie mit leeren Händen nach Hause.
Alte Tradition, neue Gewohnheiten?
Die Kaufring-Tradition zum Schulanfang blieb bis heute bestehen: Im September geht’s für mich immer zur Forstenrieder Allee, um Equipment für den Unterricht zu besorgen.
Dieses Jahr hat mich eine Sache jedoch ziemlich geschockt: Der sonst so wohlvertraute Kaufring hat sich verändert. Die Hefte, sind jetzt wo einst die Spielsachen waren und diese wiederum in der früheren Haushaltsabteilung, einiges vom vorherigen Sortiment gibt es sogar überhaupt nicht mehr. Klar, das mag jetzt nicht besonders bahnbrechend sein und vielen nicht mal auffallen, doch diese Veränderung zieht sich durch so viele andere Orte, die mir im Alltag begegnen. Nichts ist mehr, wie es einmal war.
Am Anfang beunruhigte mich dieser Wandel etwas, weil Veränderung eigentlich nicht so mein Ding ist. Ich bin eben ein Gewohnheitsmensch. Doch rückblickend hat die Veränderung der Forstenrieder Allee auch einige positive Aspekte mit sich gebracht: Statt in unserer Stammbäckerei zu sitzen, essen meine Mutter und ich nun immer bei der Food Factory, einem türkischen Street-Food-Laden, der meiner Meinung nach die besten Fladenbrote und geniale Salbei-Pommes verkauft (auf jeden Fall mal einen Besuch wert, wenn man hier in der Nähe unterwegs ist!). Schräg gegenüber vom Kaufring machte ein großer Supermarkt mit Salatbar auf und neben ihm lädt ein neues Bekleidungsgeschäft zum Shoppen ein. Nur die Bücher kommen mir hier im neuen sogenannten „Forum“ zu kurz. Der gemütliche Charme der Bibliothek weicht jetzt eng aneinandergereihten Regalen, Fantasy neben Ernährungsratgebern, in einer etwas zu sterilen Umgebung und das „Bücher Kindt“ öffnete irgendwo in Großhadern wieder seine Türen.
Gedanken sammeln und einfach mal rauskommen
Zum Glück fährt die U3 von hier aus direkt zum Marienplatz.
Von dort ist es nur einen halben Song weit zum zweistöckigen Hugendubel – meinem persönlichen Lieblingsort. Und wenn mir mal nicht nach der einengenden dunklen Atmosphäre der U-Bahn ist, steht mir immer noch der 132er Bus zur Verfügung, der eine tolle Runde durch Münchens belebte Stadtteile, wie Sendling, das Schlachthofviertel, bis ins Glockenbach abfährt. Besonders, wenn ich mal Zeit für mich und meine Gedanken brauche, setze ich mich bei der Forstenrieder Allee in den Bus, beobachte die verschiedensten Personen aus- und einsteigen und lasse mich, begleitet von dem gleichmäßigen Ruckeln des Busses, bis zum Marienplatz kutschieren. Meine aktuelle Spotify-Playlist auf den Ohren genieße ich dann das Gewusel der Stadt und kehre dann dankbar zu der Vertrautheit zurück, wenn ich bei einsetzender Dämmerung wieder bei meiner Halte die letzten Meter nach Hause einschlage.
Vertraut ist immer das, was einem ein Gefühl von Sicherheit gibt – das kann jedes Umfeld sein, auch, wenn es sich über die Jahre in ein anderes verwandelt hat. So wie unsere Bedürfnisse sich auch mit jedem Jahr, jedem verstreichenden Monat wandeln, so gibt uns das neuvertraute Umfeld die neue Art von Sicherheit, die wir gerade in unserem Leben brauchen. Das halte ich mir immer wieder vor Augen, wenn mich die Veränderungen des Erwachsenwerdens zu erschlagen scheinen.
Die Forstenrieder Allee bleibt immer das was sie ist, mein Weg nach Hause.