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“Münchens Arroganz ist geradezu habituell”- Im Gespräch mit Monokultur München
“Künstler verklagen die Stadt München wegen Rufschädigung!” – diese Schlagzeile wurde vor etwa zwei Jahren durch Münchens Glossen, Kolumnen und Lokalredaktionen gereicht. Symbolischer Ankläger war “Monokultur München“, ein loser Zusammenschluss von Künstlern und Personen aus dem kulturellen Feld Münchens.
Zu beklagen gab es viel. Zur echten Anklage kam es nicht. Der “Marketing”-Gag als solcher funktionierte aber. Eine breite Öffentlichkeit diskutierte Münchens Image als wohlsituierte Langweiler-Stadt, in der nie etwas passiert außer der nächsten Mieterhöhung. Die Monokulturisten wollten wachrütteln. Das ist ihnen ein wenig gelungen.
Aber wie ging es weiter? Und hat sich was gebessert?
Wir haben nachgehakt bei Matthias Hirth und Stefan Janitzky, die sich stellvertretend für die Initiative mit uns zum ausführlichen Gespräch trafen, um uns ihre Sicht auf die Stadt zu darzustellen. Um klare Worte waren sie dabei nicht verlegen, soviel sei schon mal vorweggenommen.
Mucbook: Hallo ihr beiden, könnt ihr nochmal kurz und knapp formulieren, was eurer Meinung nach in München falsch läuft?
Matthias: München hat ein Rufproblem. Das finden nicht nur wir so, sondern das findet eigentlich die ganze Republik. München ist klassischerweise diese Bussi-Gesellschaft, inzwischen aber auch das völlig neoliberale Modell: es kommen ganz bestimmte Leute her, die in einer gewissen Weise Leben möchten. Das heißt Konsum und ein gewisser Hedonismus, der dahinter steckt. Und es gibt andere Leute, die finden dieses München-Modell Scheiße.
Vor zwei Jahren haben wir damit angefangen, der Stadt mit einer Klage zu drohen wegen Rufschädigung für Künstler.
Leute, die hier Kunst produzieren haben einen Image-Nachteil. Somit sind bestimmte Produkte, die entstehen, nicht mehr glaubhaft, weil beispielsweise niemand glaubt, dass hier eine Punk-Platte entstehen kann. Wir sagen nicht, dass das ein Ruf ist, der halt irgendwie entstanden ist oder ein Vorurteil ist, sondern das hat einen faktischen Kern.
Uns geht es in unserer Arbeit darum, diese Mechanismen herauszufinden – worin dieser Kern besteht. Also nicht nur in hohen Mieten, wogegen eine Stadtverwaltung auf einem freien Markt ja nicht so viel tun kann. Und nicht nur in hohen Lebenshaltungskosten, sondern es ist eine bestimmte Mentalität, die darüber hinaus geht. Damit haben wir uns in der Performance vor kurzem zum Beispiel befasst.
Diese Mentalität betrifft den Geist der Stadt – dieses Konsumverhalten, das Kommerzielle, die Orientierung am Mainstream, dieses Desinteresse an abseitigeren Dingen, dieses Wohlgefühl, dieses “Mia san Mia”, dieses idyllische München, das aus Oktoberfest, Traditionalismus und Fortschritt besteht. Das ist das eine.
Das andere ist: ein Künstler existiert nicht für sich alleine, sondern er braucht sein Publikum. Für abseitige Sachen, für Avantgarde, für Experimente gibt es hier kein Publikum. Die Leute hier suchen alle das, was sie schon kennen. Das mag daran liegen, dass sie von der Arbeit erschöpft sind und sich nur entspannen wollen oder an diesem Hedonismus.
Das wiederum beeinflusst die Kunstproduktion. Das heißt: Sobald ich mich auf dieses Publikum einstelle, mit diesem Horizont, dann schneide ich bestimmte Sachen ab. Ich glaube hier dann, dass ich alle Menschen erreicht habe, dabei besitzt das, was dabei herauskommt, in einem etwas weiter gefassten Rahmen aber keinerlei Relevanz mehr. Das ist eine kleine Käseglocke, unter der wir da alle im eigenen Mief stecken und über die wir immer hinaus schauen müssen, wenn wir mit unserer Arbeit Relevanz haben wollen.
Warum sollen sich denn ausgerechnet “die Stadt” oder die Institutionen eurem Anliegen zuwenden?
Matthias: Ich muss dazu kurz sagen: das war mal anders!
Von München gingen um die Jahrhundertwende, in den 60er und 70er und 80er Jahren entscheidende Impulse aus, die weltweit gereicht haben.
An wen denkst du da beispielsweise?
Matthias: Fassbinder, Kroetz, Sagerer, Kommune 1, das hat alles hier stattgefunden. Die Filme von Fassbinder sind weltweit wichtig. Damals sind Leute hierher gekommen, weil diese Leute hier waren. Diese ganze Musikszene in den 80er Jahren – die Rolling Stones haben ihre Platten in München aufgenommen. Die Disco-Zeit, Freddie Mercury. Es kamen Leute hierher, weil München cool war und weil es hier eine kreative Atmosphäre gab – und nicht im kreativwirtschaftlichen Sinne, sondern wirklich künstlerisch. Das, obwohl die Stadt eh immer ein bisschen teurer war.
Wie hat sich die Stadt verändert, warum ist das so gekommen, dass diese Leute alle abgewandert sind? Dass das jetzt nicht mehr ist? Können dafür die Institutionen was? Sicher nur bedingt…
Für vom Mainstream abweichende Konzepte gab es ja früher die DIY-Idee: Wenn du etwas nicht vorfindest, dann mach es selbst! Ihr wollt euch ja selbst eine Stimme verschaffen mit der Initiative Monokultur. Warum erwartet ihr da ein Bewusstsein von dieser Seite? Warum sollten sich die Institutionen von Stadt, Land oder Bund dafür einsetzen, dass etwas Subkulturelles oder Subversives entsteht? Die können doch mit dem Status quo froh sein?
Matthias: Sicher, da gibt es keinen großen Grund. Es ist ja auch so: in München gibt es keine Räume, es hat hohe Lebenshaltungskosten, du kannst fast nichts machen ohne dir irgendwie eine Subvention zu holen. Die wird auch gegeben, aber dafür musst du eine Gegenleistung erbringen. Du kriegst eine Subvention, die von einer Jury vergeben wird nur, wenn du bestimmte Dinge machst oder bestimmte Themen behandelst, die der Stadtverwaltung genehm sind und die sie relevant findet.
Deswegen ist die Münchner Kunst – ich spreche jetzt mal vom Theater, weil ich mich da auskenne und weil das auch das meiste Geld braucht.
Deswegen ist das Theater so kotzlangweilig, weil alle die Schere im Kopf haben und praktisch versuchen, der SPD-Politik gerecht zu werden. Sie machen eigentlich Kunst, die ein verlängerter Arm von Sozialpädagogik ist.
Das heißt: Inklusion, Migration, das sind so Themen, die als wichtig erachtet werden – das ist auch schön und lieb und brav – aber da machen wir dann alle solche Themen. Der Impuls eines Künstlers der künstlerischen Freiheit – dass ich zum Beispiel über den Tod von Ludwig dem 14. ein Stück mache – kann ja sein, dass mir die Idee kommt – ist sozusagen ausgeschlossen. Das heißt, alle formatieren sich schon in diesem Sinne vor und dabei kommt so eine bemüht politisch korrekte Kunst raus, die sehr ehrenhaft sein mag, aber todeslangweilig ist. Hinsichtlich dem Theater.
Stefan: Zur Frage des Kulturauftrags des Staats: das behauptet er ja selber. Bayern sagt ja von sich selbst, dass es ein Kulturstaat ist und Kultur folglich gefördert wird. Ich persönlich sage aber, das sind jetzt nicht unbedingt die Leute, die die Probleme für mich lösen müssen. Ich adressiere jetzt nicht irgendwie das Kulturreferat und sage denen “Ich brauch mehr Geld, dann kann ich Kunst machen und dann wird die Kunst auch gut”. Das ist nicht die Logik, die ich dabei verfolge. Aber gleichzeitig nehme ich den Laden dann auch weniger Ernst.
Ich denke: Ok, wenn sie das Ernst meinem mit ihrem Anspruch, dass sie hier Kultur machen, dann müssen sie das schon auch jetzt mal ernsthafter begründen, fernab von so Wischiwaschi-Aussagen à la “Kreativität ist gut” oder sowas in der Art. Das sind immer sehr leere Sachen. Die Sachen, die von der Seite aus behauptet werden, dass das hier eine Kulturstadt sei, eine alternative Metropole, die würde ich erst mal rein kritisch hinterfragen und konstatieren: Nein, den Eindruck haben wir einfach nicht! Und darüber muss man einfach mal diskutieren.
Das ist etwas, das “Monokultur München” leistet, dass nicht immer nur die Behauptung der Institutionen im Raum steht: “Wir kümmern uns hier um alles und wir bringen hier die Kultur rein und wir sind ne kreative Stadt”. Das sind so Behauptungssätze die da kommen. Dagegen setzen wir ja – meinetwegen auch sehr provokant – unsere Behauptungen und sagen einfach: Ne, was ihr erzeugt ist eine Monokultur! Wir kriegen ja auch deswegen diese Aufmerksamkeit mit unserer kleinen Veranstaltungsreihe, weil sonst so wenig passiert.
Das liegt nicht an der Qualität unserer Kritik, die wir äußern, sondern eher daran, dass es so sehr singulär ist, dass man überhaupt Kritik äußert. Das ist meiner Meinung ja auch schon wieder ein Zeichen dafür: Man fühlt sich hier so sehr wohl und man kann sehr gut mitmachen.
…wenn man ein Teil vom Establishment ist?
Stefan: Nein, das ist glaube ich nicht nur Establishment, es ist eher so ne Grundhaltung, dass es immer so ein bisschen lauwarm funktioniert.
Es ist natürlich nicht schrecklich, in München zu leben. Aber es ist auch nicht geil in München zu leben. Um im Bild zu bleiben: es ist wie ein warmes Bad.
Das ist so ganz angenehm irgendwie, aber es gibt wenig nach unten und nach oben. Auf Dauer ist das hier einschläfernd und schwierig. Das ist auch keine Verschwörung, da gibt es jetzt keine fünf Leute oder so, die dafür verantwortlich wären, dass das so passiert. Das sind eher so selbst verstärkende Sachen.
Man kriegt so viel Geld, die Wohnung ist gleichzeitig teuer, man hat viel zu tun, dann will man auch vielleicht am Abend gar nicht mehr irgendwas entdecken, sondern will einfach nur bisschen abschalten, weil morgen muss man ja wieder arbeiten gehen und so. Man hat ja Geld, und wenn ich dann mal was Verrücktes erleben will, dann fahre ich halt mal in die andere Stadt. Ich glaube, das etabliert sich sehr schnell, dass sich so ein Kosmos bildet, der auf “Lauwärme” funktioniert.
Matthias: Ich finde das interessant: als wir vor genau zwei Jahren angefangen haben, gab es eigentlich keine München-Kritik.
Von innen her gab es vielleicht wenig Kritik, aber von außen doch sicher?
Matthias: Es war, als hätte man da in ein Wespennest gestochen: Plötzlich kam auch die Presse. Die haben ja sehr viel berichtet über uns. Die Süddeutsche hatte zehn Artikel. Dann kamen die Boulevard-Zeitungen hinterher mit “Sterben von kleinen Läden” und “In München wird es immer unmöglicher zu leben” und es hat sich so hochgeschaukelt. Wir sagen nicht, dass wir jetzt da unbedingt die Auslöser sind, aber es war, als hätte es davor so eine Verdrängung gegeben oder ein Sehverbot von innen her, dass man sozusagen München nicht scheiße finden darf. Und wenn ich’s in München nicht schaffe, dann muss das verdammt nochmal an mir selbst liegen und nicht etwa an den Umständen. Da haben wir vielleicht auch dazu beigetragen, dass sich das so ein bisschen ändert.
Stefan: Ich glaube es war richtig, diese Diskussion ein bisschen aus dem individualisierten oder privatisierten Rahmen heraus zu holen. Mit dem Thema wird sich schon beschäftigt, aber oft in sehr abgeschlossenen, privaten Räumen. Und ich glaube, wenn es da etwas gibt, worauf man sich beziehen kann, wenn mal etwas in der Zeitung steht oder so, dann fällt es den Leuten einfacher, damit auch mal rauszugehen und es zu thematisieren, statt es immer nur im Freundeskreis, privat oder an der Bar zu besprechen.
Nur zu Meckern finde ich aber auch langweilig. Du hast ja die Optionen: Geh weg oder mach’ was!
Matthias: Das ist dann der Vorwurf, man betreibe “München-Bashing” und jeder jammert ja bloss. Aber wie gesagt, Kritik und Kritik an den Lebensumständen sind durch den Neoliberalismus total diskreditiert worden. Man muss sich immer klar machen, dass das dazu gehört, dass du dir verdammt nochmal selbst die Schuld dafür gibst, was in deinem Leben nicht klappt. “Mach halt was besser! Dann geh’ halt weg, wenn du nicht willst!”. Uns schiebt man schon die ganze Verantwortung für die gesamten Lebensumstände hier zu.
Ich finde, wir müssen als Gesellschaft wieder lernen, auch dahin zu deuten wo das herkommt. Ich bin nicht schuldig an dem zunehmenden Kommerz in München. Ich würde sogar noch weiter gehen. Das ist so ein anderes Narrativ, das wir haben, dass wir sagen: “Ok, München ist in verschiedenen Entwicklungen nur ein Stückchen weiter vorangeschritten als andere Städte.” Diese Entwicklung der Kommerzialisierung des ganzen Stadtraums, diese Gmbh-Denke dieser Wirtschaftsliberalität, die sozusagen das ganze Milieu und die Diversität ausgetrocknet hat. Das ist oft in anderen Städten auch auf dem Weg, aber es ist noch nicht so weit fortgeschritten. Deswegen sagen wir: Hey, andere Städte, schaut auf diese Stadt und achtet darauf, dass ihr diese paar Freiräume, die ihr dort noch habt auch behalten könnt, dass es nicht so wird, wie bei uns – so eine Monokultur wie bei uns.
Im Umkehrschluss könnte man dann aber hier auch Konzepte erarbeiten, die dann übertragbar sind auf andere Städte?
Stefan: Von unserer Seite tendiert das schon eher zu einer Dystopie denn zu einer Utopie. Bei der größeren Performance, die wir letztens gemacht haben – mein Text war da zum Beispiel zur Renaturierung der Isar. Da hat man ja diesen Fluss “renaturiert”. Dieses Wort alleine ist ja schon ein bisschen verrückt. Als ob man das von der Kultur zur Natur zurückbringt. Das macht man dadurch natürlich gar nicht, sondern es ist die Hyperkultivierung, die man macht und es wird aber gar nicht mehr als Natur aufgefasst, sondern es wird ja nur Werbung gemacht, dass es eigentlich für den Menschen da ist: “Ich kann da rein gehen”, “Ich kann da schwimmen gehen”, “Ich kann da rumlaufen”. Das ist kein Naturschutzgebiet, das da geschaffen wird. Und das ist ja genau das ambivalente Ding.
Ich finde es ja nicht scheiße, weil mir der renaturierte Isarweg natürlich tausendmal lieber ist als irgend ein Kanal, der zugebaut ist bis zum Gehtnichtmehr. Aber gleichzeitig ist es natürlich eine Superkultivierung von allem, was noch da ist.
Es ist ein totales Beherrschbarmachen von dem letzten Ding, das da noch existiert. Das hat immer zwei Seiten. Hier passiert das immer sehr schleichend und es wird dann nicht weiter darüber nachgedacht, finde ich. Es entsteht keine weitere Diskussion. Andererseits gibt es gegen alle Sachen, die sich verändern nur Begehren dagegen. Will ich eine Fußgängerzone machen, dann beschweren sich die Leute, dass sie nicht mehr mit ihrem Auto vor dem Haus parken können. Gleichzeitig herrscht aber zu viel Verkehr. Das blockiert sich deshalb an aller Stelle. Der Wunsch ist meistens, dass es einfach so bleibt, wie es ist.
Also ein konservativer Geist?
Stefan: Ja, in einem konservativen Sinne, der sich aber als etwas sehr Zukünftiges sieht, weil es hier funktioniert. Das Selbstverständnis ist da eher nicht, dass man sich in bessere Zeiten zurücksehnt, sondern man geht davon aus, dass man jetzt in den bestmöglichen Zeiten lebt und es kann gar nicht besser werden, aber es kann vielleicht schlechter werden.
Matthias: Münchens Arroganz ist geradezu habituell. Dieses Sich-selbst-gut-finden in der besten aller Welten, das ist an sich schon das, was andere Kommunen oder deren Bewohner schon aufreizt.
Den Vorwurf des “arroganten Habitus” könnte ich aber zurückgeben. Den haben Berliner vielleicht im anderen Sinne.
Matthias: Ich rede da von Lebenslügen.
München hat diese Lebenslüge: “Es ist so schön bei uns und ‘Mia san Mia’ und es ist gemütlich”, es ist die “Weltstadt mit Herz”, die “schönste Stadt der Welt”, diese Verbindung aus Bayerntum, Wohlstand, Laptop und Lederhose – eine freundliche, abgemilderte Mischung des knallharten Neoliberalismus.
Berlin hat die Lebenslüge “bei uns ist alles anders, wir sind alle alternativ!”. Berlin verkauft seinen Arsch gerade mit diesem Markenwert: “Hier trifft sich die Welt”, “Wir sind verrückt”, “Arm aber sexy”. Das sind zwar auch Klischees, aber diese Lebenslüge von Berlin ist mir irgendwie sympathischer als die von München.
Es ist völlig klar, dass die Berliner gerade versuchen, dieses Marken-Asset zu Geld zu machen. Und es ist genauso kapitalistisch wie es in München passiert. Im Augenblick – und das ist eine Entwicklung, die zunimmt – werden Städte zu Konsumräumen und nicht zu Raum für Bürger. Es hat eher die Eigenschaften eines Gewerbegebiets als eines Lebensraums.
Das heißt, seitdem die Zinsen nichts mehr wert sind und man in Grund investiert, ist diese Stadtsubstanz einfach ein Spekulationsobjekt und ein Handelsgegenstand. In diesen bewohnbaren Geldanlagen leben wir dazwischen. Dieses Geldanlageprinzip: die Stadt als Geldanlage – das dringt immer mehr ein in alles was wir machen. Wir werden immer mehr in ein kommerzielles Leben gezwungen, um da mitgehen zu können. Das betrifft die Berliner ja auch nochmal viel krasser, weil verhältnismäßig zu uns sind dort die Mieten ja noch viel mehr gestiegen, nachdem halb Russland und halb Dänemark die ganzen Immobilien dort zusammenkauft und die Großinvestoren das in die Höhe treiben.
Zum Teil wehrt sich Berlin aber auch, wenn ich an den geplanten und nach Protesten nun vertagten Google Campus dort denke. Diese Art von Widerstand wäre in München vielleicht nicht zu erwarten?
Stefan: Vielleicht will man den aber auch gar nicht. Dann macht halt nicht Google auf, sondern Siemens macht einen Campus. Es ist ja nicht so, dass das der bessere Konzern wäre.
Wenn man mal die Entwicklung in anderen Städten anschaut, wie zum Beispiel Berlin oder Leipzig oder Barcelona. Die Szenarien, die sie aufbauen für eine Aufwertung, wie so die bessere Stadt aussehen könnte. Wenn man diese Bilder mal wirklich ernst nimmt, von diesen Agenturen oder auch von der Kommunalpolitik, wie die so verkauft werden, dann wird eigentlich immer ein bisschen ein “Münchenbild” gezeichnet. Was man dann aber feststellt aus dieser künstlerischen Sicht, die ich jetzt mal generell als solche beschreiben würde, eine die irgendwie nach anderen Logiken sucht oder andere Logiken etablieren will als die, die ein Mainstream behauptet, dann stellt man fest: da ist es einfach langweilig hier.
Genau durch diese Verfestigung dieser Utopie, die ich da so unbedingt verwirklichen will, werden eben manche nicht planbare und chaotische Zustände immer mehr grundsätzlich verunmöglicht. Die tauchen vielleicht gar nicht mehr auf als Idee, die man vermissen könnte, weil man es einfach überhaupt nicht mehr kennt. Das ist ja auch ein Aspekt, dass da nicht jemand steht und sagt: “Das darfst du jetzt nicht machen”. So funktioniert glaube ich auch größtenteils die Gesellschaft nicht mehr, sondern die Leute kommen auch gar nicht drauf, es zu tun, weil es in ihrem Erfahrungsraum nicht einmal stattgefunden hat und man hat nie als etwas Nettes oder Gutes empfunden, mal über die Stränge zu schlagen. Oder mal etwas zu machen, das nicht den Brandschutzordnungen genügt oder sowas, weil ich es einfach nie erfahren habe. Dieses ganze Ding ist in München so sehr schön verwirklicht, finde ich.
Kritik verstehe ich schon als etwas, das eben auch nicht sofort sagen muss, was es besser macht. Das kann passieren. Man muss ja nicht nur sagen “Das find’ ich Scheiße”, sondern man kann das schon begründen und daraus kann sich etwas ableiten. Aber dass das nicht stattfindet, das halte ich für ein Problem.
Matthias: Ich finde manche Dinge auch nicht nur nicht gut, sondern ich finde sie haben eine ästhetische Dimension: ich finde sie hässlich. Ich spiel dir mal gerade was vor…
Jetzt zeig’ ich dir, woher das ist. Auf der Stadtseite Muenchen.de findest du dieses Lied, das ist offiziell komponiert. Das ist offizielles Stadt-Marketing. So präsentiert sich die Stadt nach Außen. Es handelt sich hier in meinen Augen um die Konstruktion einer astreinen Parallelwelt, die ich ästhetisch zum Kotzen finde. So will ich als Münchner Bürger nicht dargestellt werden. Das ist verlogen – hör dir den Text dann noch mal weiter an. Da schäme ich mich für die Stadt in der ich lebe. Das tut mir irgendwie auch weh. Über so eine Art Repräsentation muss ich mich als Künstler einfach aufregen dürfen. Und da habe ich auch keine andere Version. Bitte lasst das einfach nur weg. Da gibt es tausend andere Sachen.
Ich führe zum Beispiel die Ansprachen von Oberbürgermeister Reiter an, kürzlich bei dieser PIFT-Eröffnung (Politik im freien Theater – Anm. der Red.), in deren Rahmen wir unsere Veranstaltung hatten. Da ist auch immer dieses augenzwinkernde “Wir sind doch die schönste Stadt der Welt” (imitiert OB-Reiter). Das wirst du nicht los.
Und dieses weiß-blau karierte, Lederhosige, dieses Aufgejodelte… das ist unerträglich in dem Zusammenhang. Also ich habe ja nichts gegen Bayern oder so, aber im Zusammenhang mit dem Neoliberalismus und der knallharten Vermarktung dieser Sache. Das ist einfach nur verlogen.
Diese Lüge, oder diese Verdrängung, die da die Konsequenz ist, wenn man an den Rand gedrängt wird, raus gedrängt wird aus der Stadt. Das ist nicht nur eine Frage sozialer Gerechtigkeit oder der Armut-Reichtum-Schere oder sowas, was hier dann natürlich auch passiert.
Man könnte sich ja auch abarbeiten am “Hochglanz”-München. Ein Professor von mir hat das mal so formuliert: “München ist wie dritte Zähne: noch reiner als das Original!” Ich kann euern Punkt schon nachvollziehen. Als junger Mensch kann man an diesen Anforderungen schon ganz schön knabbern. Nicht jeder kann andererseits Theater und Kunst zu seinem Beruf machen.
Matthias: Es geht nicht nur um die Künstler. Die Künstler an sich sind nur am stärksten betroffen, weil sie wahrscheinlich am “andersten” ticken. Es geht darum, dass du machen kannst, was du willst und nicht normiert wirst.
Stefan: Ich glaube, um auch mal fast schon konstruktiv zu werden: Ich glaube, es funktioniert auch auf Dauer einfach nicht. Man braucht schon immer diese Störung, um das Eigene ein bisschen zu überdenken, damit irgendwie was anderes passiert. Sonst lande ich genau in diesem Schema, dass das Existierende das beste Vorstellbare ist. Ich brauche ein bisschen Negativität. Dass mir jemand sagt: “Ne, ich will es so nicht”, damit ich auf die Idee komme, etwas anders zu machen. Man muss gleichzeitig sagen: München ist auch keine reaktionäre Stadt. Es ist ja nicht so, dass die zurück will in die 50er Jahre. Das behauptet ja auch niemand und macht auch niemand. Wir haben den Peak erreicht und das ist das Modell, das funktioniert. Dadurch haben wir den Reichtum geschaffen und das bleibt so.
Matthias: Ich sag das nochmal, weil es hier her passt: München hat einen ganz niedrigen Ereignishorizont. Ich bin Autor, das habe ich vorher nicht gesagt, ich heiße Matthias, ich schreibe Bücher. Ich bin nicht betroffen von einer Förderung, weil ich die allerwenigsten Produktionsmittel brauche. Ich brauche nur ein Zimmer, eine Tür und einen Laptop. Wenn ich mich aber an dieser Münchner Umgebung orientiere, dann habe ich keine relevanten Geschichten zu erzählen. Natürlich kann man da irgendwie Helmut Dietl karikieren. Könnte man. Aber ich muss schauen, dass ich sozusagen das, was sich hier abspielt, nicht als Normalität ansehe. Global schon überhaupt nicht, aber auch bundesweit nicht.
Wie einfach wird es eigentlich dem Publikum gemacht? Ist diese Szene in München nicht auch etwas elitär und blasenförmig organisiert, so dass man nicht so leicht darauf stößt oder nicht so angenommen wird als “Zugezogener”? Hat man Chancen, da Fuß zu fassen?
Stefan: Ich glaube, die Subkultur muss ich suchen, während der Mainstream mich findet. Mainstream ist für mich Fußball-WM zum Beispiel. Die kriege ich mit. Wenn ich die nicht mitbekommen will, dann muss ich mich zuhause einsperren und sogar dann wird’s schwierig.
Umso mehr die Subkultur unter Druck gerät, umso mehr schließt sie sich ab, das ist glaube ich in München schon gegeben.
Das finde ich auch ok so, ehrlich gesagt. Das hat genau diese Tendenzen, dass sie sich natürlich abschließt. Das macht die Szene ja auch aus, dadurch wird sie interessant. Dass ich nicht nicht 5 Euro zahlen kann und dann bin ich Teil des Clubs. Ich glaube nicht, dass du nach München kommst und du leicht in sowas reingehen kannst, weil diese Grenze härter ist. Es gibt weniger dieses Sympathisantenfeld einer Szene, die zu 90% nur Publikum ist und nebenbei noch bisschen was macht, sondern hier ist das immer so ein bisschen so: entweder die Leute machen das 100% oder gar nicht. Und dadurch ist diese Wand schon härter als in einer anderen Stadt.
Ich glaube aber nicht, dass ich das dadurch lösen kann, dass ich Sachen zugänglicher mache, indem ich sie besser öffentlich mache oder besser vermarkte. Weil es genau diese Abgeschlossenheit auch braucht. Oder eine Radikalität, auch eine engstirnige Sicht, sich auf irgendetwas versteifen. Das ist auch 90% Schrott, der da raus kommt, aber 10 Prozent ist halt dann leider – oder zum Glück – genau das was ich brauche, was dann wieder in den Mainstream einfließen kann und ihn auch verändern kann. Das finde ich auch das Interessante daran.
Subkulturen sind ja nicht immer nur als Gegenpart und Gegenkultur zu lesen, sondern dass so eine Subkultur schon den Anspruch hat, auch auf einen Mainstream einzuwirken.
Matthias: Es gibt in München kein Bewusstsein für die Leistung von Subkultur. Alle gesellschaftliche und künstlerische Erneuerung kommt immer von den Rändern. Und die haben wir hier gar nicht. Wir haben eine Kultur da – da gibt es viel in München, das Filmfest zum Beispiel – aber keine Kunst! Das Erneuerungspotential einer Gesellschaft, neue Formen von Miteinander, neue Ästhetiken, neue Mentalitäten oder so, die kommen aus Nischen. Man meint in München, wir brauchen das nicht und die stören nur, die sind dirty und die sind ineffizient vom Wirtschaftlichen her gesehen. Dass aber daraus sogar in der Wirtschaft die neuen Geschäftsfelder herkommen – obwohl ich davon echt gar nicht reden will – aber sogar da ist es so, dass die ohne eine Frischzellenkur aus anderen Ecken und ohne andere Ideen gar nicht existieren kann. Da verwechseln sie was. Das sehen sie auch nicht. Sie erkennen nicht etwas anderes. Das ist völlig Blind, dieser Fleck.
Könntest du das nochmal näher erläutern anhand von einem Beispiel?
Matthias: Es gab mal den Punk. Aus dem kam eine gewisse Ästhetik raus. Es gab mal Disco, da kam eine gewisse Ästhetik raus. Diese Ästhetiken verändern Musik, die verändern Verhalten, auch Konsumverhalten oder Sexualität. Die ganze Gesellschaft. Das kommt aus irgendeiner Ecke gekrochen, weil irgendjemand sich plötzlich Fummel anzieht, der ein Mann ist, oder weil irgendjemand sich plötzlich ne Sicherheitsnadel durch die Backe bohrt. Und plötzlich finden Leute da etwas interessant dran. Und das hat ganz weitreichende Folge für alles, für die gesamte Gesellschaft – auch für die Wirtschaft.
In München kann so etwas im Augenblick nicht entstehen. Es gibt keinen Boden dafür und deswegen entgeht der Stadt auch ein Erneuerungspotential, das in ganz vielen Richtungen sich wieder auswirken könnte. München kann nicht mehr Ausgangspunkt irgendeiner relevanten Entwicklung werden, so wie es ist. Gesellschaftlich oder ästhetisch. Reiche Leute verbringen hier ihren Lebensabend.
Hier setzt man sich zur Ruhe oder hier hat man ein bürgerliches Familienleben und hier wird einem das Fahrrad nicht geklaut.
Das ist das Einzige, was wir dieser Welt zu bieten haben, nämlich Sicherheit und Aufgeräumtheit und so eine gewisse künstlich aufgepumpte Idylle. Das ist es, was wir der Welt bieten, was anderes kommt hier nicht mehr von uns.
Idylle und Kulisse?
Matthias: Ich sage nicht, dass das nur Kulisse ist. Dass mir das Fahrrad nicht geklaut wird oder dass ich als Frau vielleicht durch die Straße gehen kann nachts, das ist ok. Das finde ich nicht schlimm. Ich bin nicht dafür, dass hier ein Slum draus wird. Das sind Assets, die sind da, aber das Andere fehlt mir.
Also liegt euch etwas an der Stadt?
Stefan: Natürlich liegt einem etwas an dem Umfeld und an dem Ort, an dem man ist. Ich bin halt hier, weil meine Freunde hier wohnen und ich weiß wo ich hingehen muss, wo das Essen gut schmeckt. Das ist ja etwas, was ich zu schätzen weiß, dass man so eine Struktur hat. Die kann ich nicht einfach mal so auflösen und dann ist die morgen woanders. Ich werde hier auch nicht verdrängt, weil ich jetzt radikal das System ablehne, sondern es ist einfach nur so: Ich habe einen normalen Job und kann die Miete nicht bezahlen. Das ist ja das irre daran, das ja systemisch nicht mehr funktioniert.
Matthias: Wenn du als Arbeitnehmer hier herkommst, gibt es Integrationshilfen für Leute, die eh schon gut verdienen – dann kriegst du Mietzuschüsse, Erleichterungen und Kita-Plätze bezahlt, etc.. Aber das Mietproblem ist ein Problem des freien Marktes und der Spekulation mit oder der Überbewertung von Immobilien, meinetwegen. Das ist aber nicht alles. Wir haben ja gesagt: Das gibt es in Paris und London auch.
Wir haben trotzdem hier noch eine spezielle Mentalität, die dazu kommt. Die verhindert, dass so etwas wie Diversifizierung in der Gesellschaft stattfindet. Die Leute gehen weg, aber nicht nur aus diesen Gründen. Wäre sonst alles super, dann würden sie sagen: Ok, ich muss zwar hier viel Miete zahlen, aber hier sind die coolen Leute. Aber die sind alle gegangen. Alle, alle, alle! Die Hälfte meiner Bekanntschaften – und das sind über die Jahre viele – sind nicht mehr da. Sie sind einfach weggegangen und ich weiß nicht, vielleicht sind es sentimentale Gründe, warum ich noch hier bin. Ich freu mich über jeden, der kommt. Aber ich sehe auch immer wieder Leute, die gehen.
Kein junger Mensch kommt freiwillig nach München, es sei denn er will BWL studieren. Dann ist das der ideale Spielplatz.
Ich rede auch nicht nur von den Spießerberufen, sondern von den voll neoliberalen Turbojobs: die Beratungsinstitute, hochpreisigen Agenturen, die Dienstleistungsinnovatoren, die Designer, die schicken, pseudo-coolen Berufe. Da meint man dann schon: Ok, wir haben doch Kreativität. Das gibt es zum Beispiel dieses “Kompetenzteam Kultur- und Kreativwirtschaft”. Die sagen: “Wir haben doch einen Zuzug von Künstlern!”. Der verwechselt das aber mit diesen Kreativberufen, die hochbezahlt sind. Das hat mit Kunst nichts zu tun. Da verwechselt die Stadt was.
Oder im Werksviertel, wo sie ein paar Container hingestellt haben und da kann ich hochpreisige Drinks zu mir nehmen – dann hab ich schon Subkultur? Die waren noch nie irgendwo anders glaube ich. Man gibt sich wieder mal mit einem Fake zufrieden, wieder mal mit so einer Imitation. Man sagt: Ok, du kannst schon anders sein, aber dann sei bitte lustig, ja! Und skurril. Sei bitte die Kirsche auf unserer Torte! Kannst du ruhig sein, lass dir was Fantasievolles einfallen, bring uns zum Lachen, ja?! Sei Mitglied dieser tollen Stadtgesellschaft. Erfülle innerhalb dieser Bedingungen deine Funktion, nämlich: mach uns den Kasperl! Das ist aber nicht die Funktion von Subkultur, sondern die besteht für sich, weil sie eben da ist, so wie ein Tier. Die hat eine Existenzberechtigung für mich – wie alles andere. Sie ist nicht verpflichtet, sich einzufügen in diese Geldmaschine.
Matthias und Stefan, vielen Dank für das Gespräch!
Das Gespräch wurde Mitte November geführt. Bildrechte liegen bei © Holger Dreissig;
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