Kultur, Was machen wir heute?

“München hatte viel Stil in jenen Tagen”

Ina Hemmelmann

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(Die Braut von ihren Junggesellen nackt entblößt, sogar (Großes Glas), 1915-23)

… befand Marcel Duchamp, als er sich vor 100 Jahren mehrere Monate lang in der bayerischen Landeshauptstadt aufhielt. Vom Salon des Inépendants in Paris abgelehnt und unglücklich verliebt in die Ehefrau eines Freundes floh er seine Heimat Frankreich und suchte Ablenkung und neue Inspiration in München. Rückblickend wird er diese Zeit so beschreiben: “Mein Aufenthalt in München war der Ort meiner völligen Befreiung”. Bis Mitte Juli zeigt der Kunstbau am Lenbachhaus Duchamps Werke, die in dieser Zeit entstanden sind und setzt sie in Bezug zu Geschehnissen und Diskursen Münchens zur Zeit seines Aufenthalts.

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Akt eine Treppe herabsteigend Nr. 2, 1912. Öl auf Leinwand.
Philadelphia Museum of Art: The Louise and Walter Arensberg Collection, 1950

Völlig unvoreingenommen soll der Besucher auf die Werke treffen: der vordere Raumteil versammelt die in München entstandenen Werke, unter anderem den berühmten Akt eine Treppe herabsteigend, Nr. 2, eine Leihgabe des Philadelphia Museum of Art, die hier erstmalig in Deutschland gezeigt wird. Die zum Teil technisch, aber auch organisch anmutenden Ölgemälde gehören zu den letzten Malereien Duchamps – nach seinem Aufenthalt in Deutschland gab er die das Malen auf und wandte sich anderen Gestaltungsformen zu, unter anderem entsteht 1913 das erste ready-made.

Im hintere Bereich versorgt die Ausstellung den Besucher dann mit Informationen zum Zeitkontext und zu Inspirationsquellen Duchamps. Der 24-jährige Künstler besuchte in dieser Zeit seinen Freund Max Bergmann, einen expressionistischen Maler, erwarb Kandinskys Schrift Über das Geistige in der Kunst, ist fasziniert von den technischen Exponaten im Deutschen Museum und auf der Bayerischen Gewerbeschau und besucht häufig die Alte Pinakothek, was ihn zu Studien nach Cranach inspiriert. Natürlich besucht er auch Schloss Nymphenburg (das sich “anmaßt, wie Versailles zu sein”) und das Hofbräuhaus “die riesigen Räume voll mit Rauch und die Leute selbst voll mit Bier”). Ein überdimensionaler Stadtplan vom Beginn des Jahrhunderts verzeichnet Duchamps Aufenthaltsorte und Wege durch München, von Schwabing bis an die Isar.

Mit diesen zeitgeschichtlichen Eindrücken erhält man schließlich nochmals einen anderen Blick auf die Gemälde vom Beginn der Ausstellung: Ähnlichkeiten scheinen auf zwischen Mensch und Maschine, der Übergang von der Jungfrau zur Braut vereint fleisch- und metallfarbene Partien,”Mechanik und Eingeweide”, beschreibt es Duchamp, die Braut werde zum Motor, zu dessen Eingeweiden, zur “Liebesbenzin produzierenden Maschine”. Er versucht Bewegungsabläufe im Bild festzuhalten und lässt so das fertige Kunstwerk erst im Blick des Betrachters entstehen. Dessen Rezeption ist für ihn wichtiger Bestandteil zur Vollendung des Kunstwerks.

Marcel Duchamps Werk und insbesondere natürlich die ready-mades veränderten die Vorstellung und den Begriff der Kunst und des Künstlers bedeutend bis heute. Umstritten ist in der Forschung jedoch die konkrete Bedeutung des Münchenbesuchs für Duchamps Werk. Fragen nach dem Ausgangspunkt der revolutionären Wende in seinem Kunstbegriff, nach den konkreten Inspirationsquellen bleiben den Assoziationen der Rezipienten überlassen. Leihgaben aus renommierten Museen wie unter anderem dem Centre Georges Pompidou in Paris, dem Museum of Modern Art New York oder der Tate London tragen in der Zusammenschau dazu bei, den Assoziationsspielraum zu vergrößern.

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Marcel Duchamp, München 1912, fotografiert von Heinrich Hoffmann

Marcel Duchamp in München 1912
Kuratoren: Helmut Friedel, Thomas Girst, Matthias Mühling, Felicia Rappe
31. 03. bis 15. 07. 2012
Di – So, 10 – 18 Uhr
Kunstbau am Lenbachhaus
Königsplatz / U-Bahn-Zwischengeschoss
U2 Königsplatz

Fotos: (c) Pressebilder www.lenbachhaus.de

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