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Ohne Ordner keine Ordnung

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Günther Escher schaut auf die Rücken von 20 Langlaufnationen. Einer der Rücken, der rechts vorn, gehört dem Deutschen Bundestrainer Jochen Behle. Tausende Zuschauer haben sein Team bei der Tour de Ski an der Strecke von Oberstdorf angefeuert. Schöne TV‐Bilder waren das. Nicht zuletzt, weil Günther Escher und seine Leute im Hintergrund alles im Griff hatten. Polizei_klein

Die Mannschaftsführer werden von Rennleiter Georg Zipfel über den Ablauf der Doppelverfolgung am nächsten Tag informiert. Vor ihnen steht ein kleiner Ständer auf dem Tisch, an dem ihre Nationalflagge gelangweilt herunterhängt. „Das sind alles Profis“, sagt Escher, „die kennen das ja.“

Auch für ihn ist wenig Neues dabei. Seit Wochen hat er mit dem Organisationskomitee den Bereich Sicherheit durchgeplant – abends, nach der Arbeit. Der 51‐jährige Ingenieur hilft ehrenamtlich bei der Durchführung der Großveranstaltung. Aus Leidenschaft am Sport in seiner Heimat.

Auch bei der nordischen Ski‐WM 2005 war er dabei.Bei der Tour de Ski in Oberstdorf helfen 450 Ehrenamtliche mit, 45 davon unter Eschers Kommando: „Wenn Georg Zipfel sagt, Strecke frei, dann ist die auch frei.“

Während der Sicherheitschef im Teammeeting sitzt, wird draußen auf dem Prinzregentenplatz die Siegerehrung der Sprintwettbewerbe vorbereitet. Von den Feierlichkeiten um die Sieger Petra Majdic und Emil Joensson, wird Escher nach der Sitzung jedoch nicht viel mitbekommen.

Er steht etwas abseits der Bühne unter einem Pavillon. Neben ihm schunkeln Fans, sie klatschen und jubeln, als die Sieger über den roten Teppich laufen. Escher jubelt nicht mit. Er will zurück zum WM‐Langlaufstadion nach Oberstdorf‐ Ried fahren und die Nachtschicht begrüßen. „Ich will da schon Präsenz zeigen.“ Die eigene Familie muss noch warten.

Escher fährt ein paar Minuten mit seinem Ford Galaxy, bis er am Stadion ankommt. Das liegt etwas außerhalb von Oberstdorf, auf halbem Weg zum Skigebiet Fellhorn. Es ist längst dunkel. Und es schneit. Keine gute Voraussetzung für die Helfer, die für die Präparierung der Loipen zuständig sind. „Die müssen dann immer mal wieder raus und nachschauen, wann sie anfangen können.“ Das kann um 22 Uhr sein, aber auch um drei oder fünf Uhr morgens, wenn es das Wetter so will.

Die vier Männer der Nachtwache warten schon am Funktionsgebäude des Stadions. Escher geht die erste Kontrollrunde gleich mit. Der Weg führt an den Bussen der Langlaufteams vorbei. Im Wagen der Schweden brennt noch Licht. Drei Techniker bearbeiten die Ski ihrer Sportler. Im großen Zelt, wo andere Teams ihre Boxen zur Materialaufbewahrung und Präparation haben, ist alles still. Der einzige Störenfried ist die Heizungsanlage. Die ist schon mal ausgefallen. „Dann beschweren sich die Techniker morgen früh wieder, wenn es so kalt ist“, sagt Escher. Aber das liegt nun nicht mehr in seinen Händen. Zeit, nachhause zu fahren.

Es ist noch sternenklare Nacht, als das Auto von Carolin Martin zur Frühschicht auf den Parkplatz des WM‐Stadions fährt. Das Thermometer zeigt minus 11 Grad. Mit im Wagen sitzen Günther Escher und dessen Sohn Tim. Beide hat sie in Oberstdorf eingesammelt. Solange es noch dunkel ist, können die drei es ruhig angehen lassen. Escher bereitet die Funkgeräte vor. Akku aufgeladen, richtiger Kanal eingestellt? Amateurfunk, das ist neben dem Langlaufen eins der Hobbys des 51‐jährigen. Er und sein Sohn haben zusätzliche Privatgeräte in der Jackentasche und können sich ständig erreichen.

Als es langsam hell wird, erwacht das Gelände. Die ersten geschäftigen Menschen neben den ehrenamtlichen Helfern sind die Techniker der Skiteams. Sie fahren immer und immer wieder den kleinen Hügel hinter dem Athletendorf hinunter, testen das Material, bessern es aus. Hoch‐runter‐hoch‐runter‐klick! Escher macht Erinnerungsfotos für sein Helferteam.

Dann wird es Zeit für die Einweisung aller Sicherheitshelfer. Trotz der Kälte und anstehenden Arbeit ist die Stimmung unter den Helfern gut. „Bitte achtet darauf, dass nur die in die Akkreditierungszone reinkommen, die auch akkreditiert sind“, mahnt der Sicherheitschef.

Eine einfache Anweisung, die jedoch auch am Vortag schon zu Auseinandersetzungen mit Gästen geführt hat. Stefan Huber, der Generalsekretär des Organisationskomitees begrüßt die Gruppe Ehrenamtlicher als er sie entdeckt. Sie sind leicht zu erkennen in ihren gelben Warnwesten mit der Aufschrift „Security“. Viele von ihnen haben sich für den Tag Urlaub genommen, einige haben ihren Frührentner‐Morgen geopfert.

Schüler und Studenten sind hier nicht die typischen Volunteers. „Danke Günther, dass du alles so sehr genau geplant hast“, lobt Huber. Dann wendet er sich an alle. „Ihr habt wirklich eine wichtige Aufgabe. Viel Spaß dabei!“ Der Generalsekretär weiß, dass er die Veranstaltungen in Oberstdorf ohne den großen Stamm Freiwilliger nicht stemmen könnte. Und wenn die keinen Spaß mehr hätten, würden sie sicher nicht mehr kommen.

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„Wir sind sehr froh, dass wir die Ehrenamtlichen haben. Sie sind mit viel Herzblut dabei.“ Rund 1.000 sind es über den kompletten Winter. Als Gegenleistung erhalten sie Punkte für ihre Einsatztage. Ein Punkt pro Tag. Nach fünf Tagen bekommen sie ein Kleidungspaket und mit ihrer Oberstdorf‐Team‐Karte Vergünstigungen bei Partner‐Unternehmen.

Als jeder weiß, was er an diesem Tag zu tun hat, läuft Escher die Rennstrecke ab. Bis zum Start dauert es noch über zwei Stunden. „Das ist eine der härtesten Weltcup‐Strecken“, sagt der 51‐jährige, nachdem er den langen Anstieg am Egli‐Hügel zu Fuß hochgestapft ist. „Nur bei der WM, da war sie noch giftiger.“ Escher nennt den Hügel auch „Behle‐Berg“.

Denn wenn er nicht gerade schreit oder mit den Athleten läuft, wird der Bundestrainer hier in der Coaching‐Zone auf einem kleinen Monitor den Teil des Rennens ansehen, bei dem er nicht dabei sein kann. „Ich bin gespannt, wie die Zuschauer reagieren. Es gibt hier am Hang wenig Platz, wo sie sicher stehen können.“ Escher zeigt auf die blaue Absperrung in diesem Teil der Strecke. Auch um die Sicherheit der Zuschauer muss er sich sorgen.

Um 12:30 Uhr fällt der Startschuss. Über 6.000 Zuschauer drängen sich im Stadion und an der Strecke. Und eben auch am Brennpunkt „Behle‐Berg“. Alle Ordner stehen an ihren Plätzen. Der Sicherheitschef hat das Geschehen im Auge. „Ich wollte die Absperrung ein wenig mehr in die Strecke legen, damit die Zuschauer auf einer Ebene stehen können“, erklärt er den Kollegen von der Polizei, die sein Team während dem Rennen unterstützen.

„Aber das hätte Platz auf der Skatingstrecke gekostet.“ Das wollte Rennleiter Zipfel nicht. Nach dem Rennen der Männer strömen die Zuschauer zum Stadion. Sie wollen die Siegerehrung sehen. Jetzt alle dort hin zu leiten, wo sie hingehören, ist Aufgabe der ehrenamtlichen Security. Das geht an sich ganz gut, doch plötzlich klettert ein Mann über die Absperrungen und regt sich mächtig auf, als man ihn aufhält. Es ist der Vater von Axel Teichmann. Ein Fall für Escher, der es nicht mag, wenn man seine Leute anmeckert. „Es kann ja nicht jeder Ordner wissen, wer der Vater von Axel Teichmann ist. Statt zu meckern hätte er einfach seine Akkreditierung zeigen können.“

„Heute war es harmlos“, bilanziert Escher. Nach zehn Stunden verabschiedet er seine Helfer mit großem Dank. Viele von ihnen wird er beim Skifliegen Anfang Februar in gewohnter Warnweste wiedersehen.

Als es wieder ruhig und dämmerig wird rund um das WM‐Langlaufstadion Ried und die letzten Medienvertreter das Pressezelt verlassen haben, geht auch Günther Escher nachhause. Dann will er noch die Fernsehaufzeichnung ansehen und analysieren, was man in der Außenwirkung beim nächsten Mal noch besser machen kann. Keine Pflichtaufgabe, er macht es einfach gerne.

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