Kultur, Nach(t)kritik

Setz dich nicht, denn dein Stuhl ist weg

Letzte Artikel von David Kreisl (Alle anzeigen)

Es ist schön zu wissen, dass es wenigstens auf Konzerten Zusammenhalt gibt. Eine Geisteshaltung, ein unsichtbares Band, das wildfremde Menschen miteinander verbindet. Und das ist auch gut so.

Arctic Monkeys

„Hey, pass doch auf, schubs uns doch nicht immer so“, lautete die Anklage zweier zierlicher weiblicher Gestalten in den vorderen Reihen des „Energy in the Park“-Festivals gegen ihren Nebenmann, der es doch tatsächlich gewagt hatte, sich während des Konzerts zu bewegen. Besagter Zusammenhalt jedoch brachte nun zehn junge couragierte Männer dazu einzugreifen, zu helfen und die Situation zu schlichten.

Mit den netten Worten „Halt die Fresse, dann geh halt nach hinten, du Muschi! Das ist Rock’n’Roll!“ wurden die beiden Grazien in die hinteren Reihen zu den Zuguckern, Handyfilmern und der „Ich steh hier bloß, damit ich sagen kann ich war dabei“-Fraktion geleitet. Nun war wieder Ruhe eingekehrt an vorderster Front und der nächste Song konnte wieder gebührend und angemessen zelebriert werden.

Nur wenige Minuten vor diesem Zwischenfall betraten sie die Bühne. Sie, dass sind die Arctic Monkeys, der groß angekündigte Hauptact und Headliner. Die vier Engländer waren auch der Grund, warum das Event ausverkauft und der Coubertin-Platz bis in die letzte Nische gefüllt war. Zwar war im Vergleich zum Berliner „Energy in the Park“ (unter anderem The Black Pony und als Headliner Sunrise Avenue – hallo, geht’s noch?) ein recht ordentliches Line-Up am Start, doch hatte man permanent den Eindruck, dass sich ein Großteil der Leute auf dem Weg zu den Monkeys durch Acts wie Eliza Doolittle, Jennifer Rostock und die Guano Apes kämpfen mussten.

Letztere sorgten dann wenigsten für zwei Vorab-Höhepunkte. Zum einen mit „Open Your Eyes“, bei dem plötzlich das gesamte Festivalgelände erwachte und mitgröhlte, zum anderen als Basser Stefan Ude blank zog und den 12.000 Besuchern frohlockend sein Glied präsentierte. Wenn man schon musikalisch jeglichen Ansatz von rotziger Attitüde verloren hat, durfte er wenigsten so ein bisschen Rock’n’Roll sein.

Dann endlich die finale Umbaupause. Das Licht geht aus. Nebelschwaden umspielen die Bühne. Jubel. Nichts passiert. Der Trailer für die Arctic Monkeys wird auf den Videoleinwänden eingespielt. Endlich! Trailer vorbei, noch mehr Jubel. Nichts? Dann betritt tatsächlich jemand die Bühne. Aber statt Helders und Turner stolpert das topmotivierte Moderatorenduo Jan Herold und Jenna Depner auf die Bühne. Ob der Herold mit seiner Ankündigung „Und jetzt hier … für euch … diiiiiiiiiiiiieeeee…. GUANO APES!!! Äh Arctic Monkeys!“ unerfolgreicherweise lustig sein wollte oder seine krebsrote Haut ein erster Indikator für einen Hitzschlag war, konnte leider nicht mehr geklärt werden. Das Publikum konnte zu diesem Zeitpunkt zwar schon nicht mehr klatschen, dafür standen jetzt aber tatsächlich die Arctic Monkeys auf der Bühne.

Jaja, die Arctic Monkeys, die sich wiedermal optisch ihrem neuen Album „Suck it and See“ angepasst hatten. Nach einem netten englischen Bubi-Look in der Anfangszeit, kam mit „Humbug“ die musikalische Wende in düsterere Gefilde und auch die Band veränderte sich: So stand Frontmann Alex Turner letztes Jahr mit langer Mähne und Parka auf der Bühne des Zenith. Jetzt, wo die Musik auf ihrem neuen Album großteils den sonnigen 60ern ihren Tribut zollt, hatte sich auch Turner wieder brav die Haare geschnitten und eine schwarze Lederjacke umgeworfen.

Mit einem gekonnten „Servus“ eröffnete er die Show, so ziemlich das Einzige, das ungesungen von der Band kam. Die Monkeys legten mit „Library Pictures“ von der neuen LP und dem Klassiker „Brianstorm“ voll los. Beeindruckend tight und fehlerfrei führten die Engländer durch das gut einstündige Programm, das neben neuen Stücken wie „Brick by Brick“ oder „The Hellcat Spangled Shalalala“ natürlich auch Klassiker wie „When the Sun Goes Down“ oder „I Bet You look Good on the Dancefloor“ beinhaltete.

Und obwohl das Ganze gewohnt wortkarg ablief, ließ Alex Turner es sich nicht nehmen, nochmals mit seinen exzellenten Deutschkenntnissen anzugeben und den Song „Don’t Sit Down ’Cause I’ve Moved Your Chair“ mit den Worten „The next song is called ‘Setz dich nicht, denn dein Stuhl ist weg‘“ anzukündigen. Die Arctic Monkeys zeigten an diesem Abend ihre ganze Klasse. Und so manch einer hätte sich wohl gewünscht, dass dieser Auftritt nicht im Rahmen eines Festivals, sondern eines normalen Konzerts stattgefunden hätte – dann wären zum Bespiel die Mitsingparts auch wirklich solche gewesen. Nach einer Zugabe entließen die Arktischen Affen die Zuschauer mit dem wunderschönen „505“ in die laue Münchener Sommernacht. Sie hatten dem Event eindeutig die Krone aufgesetzt.

Auch der einzige Negativpunkt während des Auftritts war schnell ausgemacht, an dem aber sicherlich nicht die Arctic Monkeys schuld waren: Der Wellenbrecher wurde zum Stimmungsbrecher. Während sich vor der Bühne die Leute himmelhoch jauchzend die Köpfe einschlugen und jeden Akkord frenetisch feierten, durfte man sich hinter dem Zaun nicht wirklich bewegen. Oder besser gesagt, man durfte schon, bloß konnte man sich nach jedem Hüpfer auf entrüstete und genervte Blicke freuen. Was erlaubt sich dieser Kerl? Springt da einfach während eines Konzerts. „Hey Pass doch auf!“ Manche munkeln, das M-Wort wäre an diesem Abend nicht nur einmal gefallen.

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