Kultur

Sizzla, Reggae und die Grenzen der Meinungsfreiheit

Hakan Tanriverdi

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Böse Texte kommen nicht nur von bösen Onkels. Auch vermeintlich entspannte Reggaesänger haben teils peinliche Texte. Homophobie zum Grausen. Soll Sizzla am Chiemsee spielen oder nicht? Als Argumentationshilfe ein Artikel mit allen Hintergründen.

I got my brain on hype.
Tonight’ll be your night.
I got this long-assed knife.
and your neck looks just right.
My adrenaline’s pumpin’.
I got my stereo bumpin’.
I’m ’bout to kill me somethin’.
A pig stopped me for nuthin’!
(Anm. H.T.: Pig ist ein abwertendes Synonym für “Polizist”)

Cop Killer, better you than me.
Cop Killer, fuck police brutality!
Cop Killer, I know your momma’s grieving, (Fuck her!)
Cop Killer, but tonight we get even, yeah!

Als dieses Lied zum ersten Mal gespielt wurde, 1991 auf dem Lollapalooza-Festival, wurde der Inhalt dieses Songs massenmedial so gut wie gar nicht wahrgenommen. Doch binnen eines Jahres generierte dieses Musikstück im Land der Meinungsfreiheit einen solchen Hype, dass selbst der damalige Präsident der Vereinigten Staaten sich dazu genötigt sah, in dieser Debatte gleich mit mehreren Kommentaren präsent zu sein: Unter anderem beschuldigte George Bush Senior den Songwriter und Rapper Ice-T „(mental) krank“ zu sein.

Die Popularität dieses Songs hängt unweigerlich mit der Rodney King-Kontroverse zusammen: Amerikanische Polizisten verhaften einen Schwarzen, verprügeln ihn und werden am Ende freigesprochen. Die (schwarze) Bevölkerung ist derart unzufrieden, dass die Proteste schnell in Gewalt umschlagen und eskalieren. Dieser Song von Body Count, der auf Grund des Protestes letzten Endes von der CD genommen (aber trotzdem auf Konzerten gespielt) wurde, beschreibt eine fiktive Handlung einer fiktiven Person. In Ice-Ts Worten: “Ich habe noch nie einen Polizisten getötet. Wenn ihr denkt, dass ich ein Cop-Killer bin, dann glaubt ihr auch, dass David Bowie ein Astronaut ist“. Man möchte hinzufügen: Oder dass die Beatles und Jimmy Hendrix ihre Freundinnen und Frauen eher umbringen, als sie mit einem anderen Mann zu sehen, Pink Floyd Schwule an die Wand stellen will und Bob Marley, der personifizierte Frieden, es tatsächlich fertig bringt, einen Polizisten zu erschießen. Aber dem ist eben nicht so. Radikale Texte sind also nicht per se zu verurteilen, es gilt zu differenzieren.

Und jetzt, da das Chiemsee Reggae Festival unter erheblichem Druck steht, weil es einen Auftritt von „Sizzla“ ermöglichen will, der mindestens schwulenfeindlich ist, erhitzen sich die Gemüter. Zumindest bei Politikern und Veranstaltern. Umso wichtiger ist, zu erörtern, wer was und vor allem aus welchen Gründen fordert.

Da ist zum einen der Künstler Sizzla. Bereits im Jahre 2004 erschien ein von der Organisation „Outrage!“ veröffentlichtes „Dancehall-Dossier“, in dem etliche Szenegrößen wie z.B. Beenie Man, Elephant Man, Buju Banton, Capleton und auch Sizzla vorgeworfen wird, in ihren Songtexten gegen die homosexuelle Minderheit in Jamaika zu hetzen und zum Mord aufzurufen. Und obwohl Sizzla in seinem musikalischen Antwort-Track „Nah Apologize“ singt, dass „Rastaman don’t apologize to no batty-boy“, kann er sich nicht länger gegen den zunehmenden Druck zur Wehr setzen.

Im Jahre 2007 unterschreiben (!) zahlreiche Künstler den Reggae Compassionate Act (RCA), in dem sie sich dazu verpflichten, von schwulenfeindlichen Äußerungen Abstand zu nehmen. In anderen Worten: Ein Entgegenkommen. Für Sizzla anscheinend auch ein Zeichen von Schwäche, denn als er kurz darauf ein Konzert gibt, performt er unter anderem auch Nah Apologize und schweigt an den Stellen, die gegen den RCA verstoßen würden, wohlwissend, dass sein Publikum nur allzu gern einspringt und sich ein bisschen den Hass aus der Seele gröhlt. Doch das reicht ihm nicht: Sizzla behauptet wiederholt, den RCA niemals unterschrieben zu haben und ihn überdies nur als Einschränkung aufzufassen, die mit einigen Konzertbetreibern gelte, aber nicht als ein inhaltliches Statement.

In der Folge wird Miguel Collins, so sein bürgerlicher Name, in das Schengener Informationssystem (SIS) aufgenommen, wodurch ihm die Europa-Einreise verunmöglicht wird. Auch wenn die Aufnahme in das SIS später nicht verlängert werden wird, spielt Sizzla erneut sein Spiel der aufgesetzten Reue und unterzeichnet abermals die Neuauflage des RCA im Jahre 2009; nur um kurz darauf – so heißt es – wieder davon Abstand zu nehmen.

Das besagte Interview mit der „The Sunday Mail Zimbabwe“ ist jedoch online nicht mehr verfügbar. Unabhängig davon erscheint Sizzla als intriganter Taktiker, dessen Machtspielchen dazu geführt haben, dass sich Contour-Music in der Zwischenzeit von ihm distanzierte. Aus einer versendeten Pressemitteilung wird folgendermaßen zitiert: Die „Firma wird keine Auftritte mehr organisieren“, und weiter, „Wir sind sehr von diesem Menschen enttäuscht.“ Von Sizzla enttäuscht sind derzeit viele, nicht zuletzt Gentleman, der sich nach einem kontrovers diskutierten Interview seinerseits zu Richtigstellungen veranlasst sah. Die Authentizität des obigen Zitats wurde von Contour nicht kommentiert.

Das Zitat geht zurück auf Klaus Jetz vom LSVD, einer Organisation, die sich bereits seit geraumer Zeit für ein Auftrittsverbot stark macht. Auf Nachfrage von mucbook präzisiert Jetz die Vorwürfe: „Wir meinen: All diese Unterlassungserklärungen, die Sizzla gemacht hat, wurden von ihm gebrochen. Wir meinen, man darf dem Interpreten keinen Aufenthalt bieten. Jemand mit solchen Einstellungen sollte kein Geld verdienen.“

Das LSVD ist bereits im Vorfeld eines geplanten Berlin-Konzertes im Jahre 2009 aktiv in Erscheinung getreten. Dem Künstler wurde vorgeschlagen, die Auftrittsgenehmigung an ein Sechs-Punkte-Programm zu koppeln. Einer dieser Punkte besagte, dass Sizzla „mit seinen Einnahmen eine Kampagne gegen Homophobie in Jamaika“ finanzieren solle. Sizzla lehnte mit der Begründung ab, dass die Gesetzeslage in Jamaika es ihm überhaupt nicht gestatte, in diesem Rahmen aktiv zu werden. Und formaljuristisch gesehen ist Sizzla tatsächlich auf sicherem Boden: Laut Artikel 79 des „Offences Against the Person Act“ ist jede männliche Person, die einen „act of gross indecency“ vermittelt mit zwei Jahren Haft zu bestrafen. Auf die Gesetzeslage angesprochen reagiert Klaus Jetz prompt: „Das ist Bullshit. Es ist eine Menschenrechtsfrage und die von uns geforderte Akzeptanzkampagne wäre von der Meinungsfreiheit, die in Jamaika herrscht, gedeckt. Er hat ein religiöses Problem damit.“ Und wie wichtig ihm das Zitat von Klaus Maack, dem Geschäftsführer von Contour Music ist, zeigt sich daran, dass er es innerhalb von drei Sekunden zitierfertig vor sich liegen hat.

Auf dieses Zitat angesprochen reagiert Festivalsprecher Herr Buchholz leicht genervt. Solche Äußerungen seien wahrscheinlich „lanciert“: „Ich kann nicht verifizieren, ob Klaus Maack das genau so gesagt hat. Du etwa? Bei anderen Künstlern treten auch Manager zurück!“ Auch ansonsten wird eine Defensivstrategie gefahren, zu verhärtet sind die Fronten.

Ein Name, der besonders oft fällt, ist der des menschenrechtspolitischen Sprechers der Grünen, Volker Beck. Wiederholt versuchte dieser Druck auf die Festivalleitung auszuüben, um den Auftritt des Künstlers noch zu vereiteln. „Wir haben den Herrn Beck eingeladen, aber er bestreitet jemals eine Einladung bekommen zu haben. Er sagt, er würde nur kommen, wenn Sizzla ausgeladen würde“, so Herr Buchholz. „Das ist doch paradox.“ Auch die Distanzierung Sizzlas vom RCA, die er in der „The Sunday Mail Zimbabwe“ geäußert haben soll, lässt dieser nicht gelten: „Das ist Mugabe TV, keiner von uns kann das nachvollziehen. Das ist einer der größten Diktatoren und die Medien sind staatsgesteuert.“ Und obwohl die Festival-Organisatoren dieses Thema mittlerweile leid sein dürften, bietet er umgehend an, eine anwaltlich verfasste Stellungnahme zur Verfügung zu stellen (die in diesem Artikel weiter unten erwähnten Interviews in der Riddim von Frau Carolyn Cooper werden dort erwähnt). Sein letzter Kommentar: „Hier wird wahnsinnig viel Staub aufgewirbelt. Das alles bringt nur Promotion für Herr Sizzla.“

Sizzla hin, Sizzla her, das Festival ist gutbesucht. Warum also überhaupt solch einen Künstler einladen, der im eigenen Pressetext als einer der „umstrittensten Figuren“ bezeichnet wird? Man wolle Sizzla „ermöglichen“, die Antwort. Das dazugehörige Argument: Es sei alles medial aufgeblasen, die Zitate an sich seien „komplett aus dem Zusammenhang gerissen“ und „nicht 1:1 aus dem jamaikanischen Patois übertragbar“. Vielleicht sollte man an dieser Stelle darauf hinweisen, dass auch „Finnegans Wake“ von James Joyce oder der Koran als unübersetzbar gelten. Finnegans Wake gibt es mittlerweile in sieben Sprachen und der Koran wurde alleine auf deutsch bereits fünfmal übersetzt, mal besser, mal schlechter.

Die Festivalbetreiber haben anscheinend den Sinn der Unübersetzbarkeits-Debatte fehlinterpretiert: Es geht nicht darum, ob man die einzelnen Sätze wortwörtlich richtig übersetzen kann – in diesem Sinne wäre selbst der profanste Simpsons-Humor unübersetzbar – es geht um die Inhaltsvermittlung. Und eine Zeile wie „Mi a go shot batty bwai dem widdi weapon ya“ (Achtung, nicht wortwörtlich übersetzt: „Ich gehe los und erschieße Queers mit einer Waffe“) lässt kaum einen Zweifel an der Gesinnung. Ob zu erwarten ist, dass Sizzla nun tatsächlich losgeht und Homosexuelle erschießt (er selbst bestreitet das), das steht auf einem anderen Blatt. Für die Festivalbetreiber hingegen ist die Lyrik „keine Aufforderung zum Angriffskrieg oder zur Vernichtung von Schwulen“, sondern“ tradierte alttestamentarische Metaphorik, die „der Westen“ leider als unheilvolle Folge der zwangsweisen Kolonisierung „Afrikas“ nunmehr in Kauf nehmen“ müsse.

Das wäre der ernstzunehmendere Einwand, der auch von Carolyn Cooper geteilt wird: In einem ersten Schritt merkt sie an, dass „die jamaikanische Kultur als Ganze homophob“ sei, um darauf hin zu erläutern, dass die einzige Differenz in der Artikulation bestünde. Wo die jamaikanische Mittelklasse also „Ich kann Homosexuelle nicht gutheißen“ sage, da formuliere die Arbeiterklasse selben Inhalt um einiges martialischer: „All battyman fi dead“ (Vielleicht: Alle Schwulen müssen sterben?).

Der Vergleich mit Cop Killer zeigt aber, warum das eine erforderlich, das andere schlicht falsch ist. Denn die im Falle von Ice-T entstandenen Songtexte sind -unabhängig von der Person Ice-T, das sei hier angemerkt – eine Antwort auf die durchlebte Unterdrückung seitens eines Polizeiapparates. Da wurden Schwarze tatsächlich von Polizisten angehalten, verprügelt, gedemütigt und ja, auch umgebracht. Der lyrische Hass eines Ice-Ts und auch von N.W.A. wird hier als fiktive Gewaltfantasie kanalisiert und eben das macht die Stärke des Textes aus. Die im Alltag erfahrene Ohnmacht wird medial inszeniert und erzeugt reale Angst in Polizeidienststellen. Bei Sizzla (und Buju Banton etc.) fehlt aber genau dieser Knackpunkt: Es gibt keine „schwule Unterdrücker-Allmacht“ in Jamaika, der Hass auf Homosexualität ist auch hier pure Projektion. Denn wenn es eine No-Go Area für Homosexuelle gibt, dann ist es Menschenrechtsgruppen zu Folge Jamaika.

Und die homophoben unter den Reggae-Künstlern sind sich dieses argumentativen Makels durchaus bewusst. Nicht umsonst wird Homosexualität als babylonisches Ãœbel beschrieben, also als ein Ergebnis kolonialer Bestrebungen. Der Kolonialismus, d.h. die kulturelle Ãœbermacht (in unserem Beispiel: Der Polizist), hat mit Gewalt dafür gesorgt, dass eine andere „Unkultur“ (Homosexualität) die etablierte Ordnung ins Wanken bringe. Die ideologische Nähe zur Verschwörungstheorie ist omnipräsent. Das fällt spätestens dann auf, wenn Sizzla erklärt, dass er gegen Homosexualität ist, weil dadurch Vergewaltigungen kleiner Jungen verhindert würden. Vorgeschobene Scheinargumente, um den eigenen Projektionen eine Grundlage zu geben, die Mordaufrufe rechtfertigen soll, die auch dann falsch blieben, wenn sie nur symbolisch gemeint wären. Sizzla reist international, gibt unzählige Konzerte und kennt die Reaktionen auf seine schwulenfeindlichen Songs. Er gehört nicht der jamaikanischen Armutsschicht an, für die – und nur für die – das Argument der tradierten Homosexualität in Betracht gezogen werden könnte.

Was also tun? Es wird zwar immer wieder (und manchmal auch zurecht) darauf hingewiesen, dass politische Entwicklungen nicht per Zensur herbeigeführt werden können, so auch im Statement der Festival-Leitung, und dass die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte in arabischen und afrikanischen Staaten als Produkt westlicher Natur interpretiert werde. Aber solche spitzfindigen Kommentare verschweigen, dass es mittlerweile auch eine Menschenrechtserklärung der Arabischen Liga und die afrikanische Banjul-Charta gibt. Und beide Dokumente haben mit der „westlichen Version“ einen wichtigen Nenner: Die Garantie der körperlichen Unversehrtheit. Das sind die drei existierenden Menschenrechtskonventionen, von einer vierten ist nichts bekannt. Und nach herrschender Meinung begründet eine kontinuierliche Staatenpraxis den Status von Völkergewohnheitsrecht, an das sich alle Staaten zu halten haben. Den “Künstlern die religiöse Ãœberzeugung abzusprechen“(womit indirekt auf den Zusammenhang zwischen Homophobie und christlichen Missionierungen angespielt wird) ist den Veranstaltern zufolge mit einem “rassistischem Beigeschmack” behaftet, de facto aber ist es ein für Jamaika selbst auferlegtes anzuvisierendes Ziel. Das Recht auf Leben ist universal.

Es gibt also radikale Texte, die ihre Berechtigung haben und solche, die schlichtweg falsch sind. John Lennon hat sich übrigens für seinen sexistischen Totalausfall indirekt entschuldigt. Von Sizzla ist das aller Voraussicht nach nicht zu erwarten. Und der Grund dafür ist nicht nur, dass er sich eine Religion so auslegen kann, dass sie Homosexualität verteufelt, es hat auch mit was anderem zu tun: Nämlich, dass seine Konzerte so bombastisch gut besucht sind. Schwulenfeindlichkeit ist auch im Deutschland des Jahres 2010 nicht geschäftsschädigend. Das ist nicht nur traurig, das ist einer der Gründe, wieso das Chiemsee Reggae auf Sizzla hätte verzichten müssen, wenn sie sich ohnehin schon gegen Homophobie aussprechen. Wichtiger noch ist jedoch der zweite Grund: J-Flag, die jamaikanische Menschenrechtsgruppe für die Rechte von Homosexuellen hat sich erst vor zwei Wochen bei „Stop Murder Music“ und explizit beim „LSVD“ für dessen Unterstützungen bedankt. Sie schreiben: “Künstler, die in ihren anti-schwulen Lyrics Hass und Gewalt predigen, müssen für ihre Aussagen zur Rechenschaft gezogen werden.” Dito.

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