Stadt

Stell Dir vor es ist Demo, und kaum einer geht hin

Hakan Tanriverdi

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Es wird wieder demonstriert an den Hochschulen! Gestern gab es vor der Uni neue Proteste gegen die bekannt gewordenen Sparpläne des Freistaats. Wir waren da. Aber nicht viele Studenten.

Energisch packt sich die Frau das Megafon. Sie steigt auf einen Holzstuhl. So kann sie die kleine Menschentraube am Geschwister-Scholl-Platz voll überblicken. Sie setzt an, ihre Gesichtsmuskeln verkrampfen sich kämpferisch. Offensichtlich spricht sie. Aber was? Es bleibt ein Geheimnis. Ihre Worte werden von einem Störgeräusch übertönt. Das Megafon funktioniert nicht richtig. Die Frau setzt erneut an. Menschen halten sich die Ohren zu. Vereinzelt dringen Worte durch den Lautsprecher: „Studiengebühren“, „liebe Protestierende“, „zu hoch“. Und noch einmal: „Zu hoch“.

Die Frau auf dem Holzstuhl, das ist Isabell Zacharias (SPD), sie ist stellvertretende Vorsitzende des Ausschusses des Bayerischen Landtags für Hochschule, Forschung und Kultur. Hier, vor dem Gebäude der LMU, ist sie ein stets wiederkehrender Gast, während der Studienproteste vor knapp einem Jahr war sie eine der ersten Politikerinnen, der es erlaubt wurde, im Audimax zu sprechen.

Sie weiß um ihre Gunst im Publikum, also gibt sie das defekte Megafon in die Hände eines Betreuers und überbrückt die Wartezeit: „Ich kann euch nicht hören, wo seid ihr denn?“ Lautes Gröhlen dringt hinter den Protestbannern hervor, auf denen Sätze wie „Ihr nehmt uns das letzte Hemd“ eine klare Sprache sprechen. An den Universitäten in Bayern wird wieder gestreikt.

Anlass hierfür ist eine Bekanntgabe des bayerischen Landtags. Für die Jahre 2011 und 2012 soll dort ein Sparprogramm verabschiedet werden, die Gesamtsumme beläuft sich auf 2,5 Mrd. Euro.

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Die Studenten sehen hier einen klaren Bruch des Versprechens, welches im letzten Jahr von Wolfgang Heubisch (FDP), dem zuständigen Staatsminister, gegeben wurde: Kein Rotstift beim Etat für die Universitäten, hieß es seinerzeit.

Grund genug, auch für die Universitätsleitung in Regensburg, die Studierenden zur Demonstration zu ermuntern, dort wird geplant, 600 Seminare zu streichen. „In Regensburg sind, den letzten Informationen der Polizei zufolge, 8.000 Leute auf der Straße. Die Hochschulleitung hat extra Veranstaltungen abgeblasen. Und was ist hier? Nichts.“, brüllt einer der Redner in das Megafon. Und tatsächlich: Maximal 200 bis 250 Menschen, ein kleines Grüppchen steht vor dem Geschwister-Scholl-Platz. Zu Semesterbeginn herrscht hier mehr Betriebsamkeit.

Ein paar der Demonstranten tragen kleine rote Sticker auf ihren Jacken, „Arme Uni“ steht drauf, irgendwo in der überschaubaren Menge taucht ein „Grüne Jugend“-Banner auf, auch „Die Linke“ ist hier vertreten. Die Redner attackieren die Landesregierung, insbesondere Wolfgang Heubisch und Horst Seehofer werden an die Kandare genommen: „Herr Seehofer spricht mittlerweile sogar davon, die Studiengebühren auf 2.000 Euro zu erhöhen“, ruft einer. Buhrufe. „Vielleicht sollten wir ja mal die Parteizentrale der CSU besetzen, das Audimax reicht ja offensichtlich nicht“. Jubelschreie.

Die Forderungen sind altbekannt, das wissen auch die Protestierenden, also wird es angesprochen: “Was ist denn passiert in dem Jahr? Lauter Missstände, aber keine Konsequenzen.” Danach holen sie zu einem historischen Exkurs aus. Seit 30 Jahren habe sich nichts verändert, das Lehrpersonal sei beinahe unverändert geblieben, wohingegen die Zahl der Studierenden konstant zunehme. „Es gibt 46.000 Studierende, das Lehrpersonal ist aber nur für 35.000 ausgelegt“, ruft die Geschäftsführerin der Studentenvertretung in die Menge. Und wieder Buhrufe.

Der Kreis der Demonstranten wird immer enger gezogen. „Kommt doch mal näher“, ruft einer von seinem Stuhl in die Menge. Aber nicht alle bewegen sich vorwärts, die Schaulustigen distanzieren sich, gehen ein paar Schritte zurück, unter das Dach der Uni, in den ersten Stock an die Fenster. Zuschauen wollen sie dann doch. Ein wenig mit dem Finger zeigen und tuscheln. Auch, wenn es nicht viel ist, hier ist was los, schließlich sind mehrere Fotografen, Radiomoderatoren und ein Kamerateam vor Ort, auf dem Fußweg, keine 20 Meter entfernt, parken zwei Einsatzwagen der Polizei.

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Die Beamten laufen, durch das grüne „Polizei“-Band am Arm klar zu erkennen, zu einem der Ordner und informieren sich über den Stand der Dinge. Der antwortet, dass es gut sein könne, dass man ein wenig überziehe. Der Grund: Tim. „Ich soll hier spontan eine Rede halten“, sagt dieser und läuft in die Mitte des Kreises, direkt auf den Stuhl. Ein paar Begrüßungspfiffe, man kennt sich, dann beginnt er mit einem österreichischen Akzent seinen Unmut über die Bologna-Reform loszuwerden.

Im Anschluss, um 16 Uhr, wandert das Grüppchen ein paar Meter weiter in das Gebäudeinnere. Bis 18 Uhr wurde der Audimax zur Verfügung gestellt, ein Raum, der für knapp 1.000 Leute angelegt ist. Und obwohl gerade eben nur sehr wenige Menschen sich zu einer Demonstration gefunden hatten, wirkt der Audimax ungleich gefüllter, der Saal ist vergleichsweise voll.

Ein Sprecher geht zum Mikrofon und beginnt die Veranstaltung: „Liebe Studierende, damit es während der Sitzungen nicht zu unruhig wird, hier ein paar Erklärungen: Wenn ihr einer Aussage zustimmen wollt, dann wird nicht geklopft, sondern…“ Dieses Kommunikations-Schema wurde im letzten Jahr festgelegt. Man ist also vorbereitet, das hier ist kein Neuanfang, es ist die Fortschreibung einer Geschichte. Man darf gespannt sein, wie sie sich entwickelt.

Auf der Facebook-Seite der Studentenvertretung wird auf eine Erklärung von Heubisch verwiesen. Dieser bemüht sich um Schadensbegrenzung, das Ausbauprogramm für die doppelten Jahrgänge sei nicht in Gefahr. Kommentiert wird das folgendermaßen: “Glaubt nicht, was drin steht. Es ist Mist.”

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