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“Stones” – ein Ausblick auf die jüdischen Kulturtage in München

Karla Hamm

Expressiv, hypnotisierend und emotional – momentan finden in München die Jüdischen Kulturtage statt. Unsere Autorin war bei der Theaterperformance “Stones” mit anschließender Diskussion im Gasteig HP8 dabei und verrät, was die nächsten Tage noch zu erwarten ist.

Am 5. November läuft in einem Nebengebäude des neuen Gasteig das Theaterstück „Stones“. Angekündigt ist es als Theaterperformance mit anschließender Gesprächsrunde. Das israelische Stück wird anlässlich des 85. Jahrestag der „Novemberpogrome“ einmalig aufgeführt. Auf vielen Ebenen ein relevantes Ereignis, das den Fokus auf jüdische Geschichte in München und die darauf folgenden Jüdischen Kulturtage lenkt, die in den nächsten Wochen an vielen unterschiedlichen Spielorten in der Stadt stattfinden.

Stones – eine Sprache der stummen Bilder

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Stones behandelt die Geschichte der Juden im zwanzigsten Jahrhundert anhand des Denkmals zum Aufstand im Warschauer Ghetto 1943. Sechs Schauspieler*innen in steinern anmutenden Kostümen stehen vor einem Monument und erzählen die Geschichte eines verfolgten Volkes. Gesprochen wird das gesamte Stück über nicht: Die Schauspielergruppe Orto-Da hat mit ihrem Theaterperformance-Stück „Stones“ einen Weg gefunden, mit bloßen Bewegungen, Gesichtsausdrücken und einer beeindruckenden Musikkulissen eine Geschichte von großer Bedeutung zu erzählen. Das Publikum ist sichtlich hypnotisiert.

Jede Bewegung, Requisite oder Mimik zu verstehen, ist schier unmöglich. Das ist aber auch nicht nötig, denn die wichtigsten Emotionen schweben die ganze Aufführung über im Raum: Neben der vorherrschenden Verzweiflung um Kampf und Flucht schimmern im pantomimischen Spiel von Orto-Da stets Hoffnung und Leichtigkeit durch.

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Die Performance endet mit einem Song. „And think about a brighter day, ’Cause life is beautiful that way“ (Beautiful That Way). Ein wunderbar runder Abschluss für eine Reise durch den Sturm der Zeit, durch die Geschichte eines Volkes, das Zeit ihrer Existenz unter Hass und Hetze zu leiden hatte. Diese Leichtigkeit ist typisch für jüdischen Humor. Der Witz und die spielerische Art ist bezeichnend und bewundernswert. Wir alle können lernen aus dieser Art, mit dem Leben umzugehen.

Theater in Israel und Deutschland

Auf die Performance folgt eine kleine Pause, Mitarbeiter*innen wuseln durch den Raum und Verteilen Headsets und Sender – die anschließende Diskussionsrunde wird auf Deutsch und Hebräisch geführt.
Mit dabei sind Israelische und Münchner Theaterschaffende. Yoav Michaeli, der künstlerischer Leiter des FRINGE Theaters in Be’er Sheva. Yinon Tzafrir, Leiter des Ensembles von „Stones“. Zwei Vertreterinnen aus München, Daniela Rippl und Christine Umpfenbach. Geleitet wird die Runde von Dr. Andreas Heusler vom Kulturreferat. Gesprochen wird über das Stück selbst, über das Konzept des freien Theaters und was Schauspiel mit den Konflikten der Zeit verbindet.

Be’er Sheva und München

Stones Podiumsdiskussion

München ist die Partnerstadt der isrealischen Stadt Be’er Sheva, einer Stadt, die nur 50 km vom Gazastreifen entfernt liegt. Dass Vertreter*innen der israelischen Gemeinde heute hier sein können ist ein Zeichen dafür, wie wichtig diese Partnerschaft ist. Solidarität mit Israel wird an diesem Abend immer wieder betont, genau so, wie die Wichtigkeit, Kunst mit diesem historischen Hintergrund eine Bühne zu geben – gerade auch, weil „Stones“ aus einer nicht klassischen und somit weniger geförderten Szene stammt.
Die Szene des freien Theaters, zu dem sich die Künstlergruppe Orto-Da zählt, ist in Israel aktiver als in Deutschland. München sei da eine Ausnahme. Die Stadt war Ende der 60er Jahre der Geburtsort des deutschen freien Theater, so Daniela Rippl. Sie erhofft sich, dass das eine Basis für eine kommende Generation an Schauspieler*innen und Theater sein kann.

Optimismus im Theater

Die letzte Frage an die Diskussionsrunde handelt von Optimismus. Ist man als Theaterkünstler*in eine grundsätzlich optimistische Person?

Die Runde zögert, keine*r scheint sich so recht sicher zu sein, wie man dieser Frage begegnet. Man einigt sich auf ein generelles Ja.

Ja, denn das Theater wolle letztendlich im Betrachtenden etwas verändern. Immer daran zu glauben benötige Optimismus. Ja, denn Theater schaffe immer neue Chancen, sich mit Themen auseinanderzusetzen. Diese Beharrlichkeit sei auch Optimismus. Gerade im Kontext der deutschen Erinnerungskultur, sei dieser Ansatz für das deutsche Publikum von besonderer Bedeutung. Erinnerungskultur müsse aktiv angegangen werden, vielleicht auch aus einer optimistischen Perspektive heraus.
Ja, denn Theater sei Begegnung mit lebendigen Erinnerungen und Menschen, Begegnung brauche immer Optimismus.
 Ja, denn bei Schaffen von Theater müsse man optimistisch sein, denn Schöpfen sei Leben. Das sei intim, das brauche Optimismus.
Tzafrir dreht das Prinzip des Schauspieloptimismus um. “Theatermenschen sind auch nur Menschen.”. Schauspiel schaffe Optimismus – nicht der Optimismus das Schauspiel. Man müsse das Schauspiel suchen, das sei, wenn überhaupt der optimistische Zug der Theaterkünstler*innen.

Schauspiel, optimistisch oder nicht, schafft einen Raum, sich mit den Themen unserer Zeit auseinanderzusetzen. In diesem Fall nicht nur mit dem aktuellen Thema Nah-Ost-Konflikt, sondern auch mit dem immer relevanten Thema des Antisemitismus. Stones schaffe Brücken zwischen dem heute und dem gestern, zwischen München und Be’er Sheva, zwischen schmerzlicher Geschichte und hoffnungsvoller Zukunft.

Die jüdischen Kulturtage 2023

Stones Begegnung

Das Theaterstück findet im Rahmen der jüdischen Kulturtage 2023 statt. Die Events starten offiziell am 14. November und finden bis zum 11. Dezember statt. Das selbstgesetzte Ziel der Kulturtage ist, Einblick in die Vielfalt und den Reichtum der jüdischen Kultur und Tradition zu geben. Außerdem soll ein festes Zeichen der Verbundenheit und Toleranz, sowie gegen Rassismus und Antisemitismus gesetzt werden.

Was kann München von den jüdischen Kulturtagen mitnehmen?

„Die jüdische Kultur ist sehr vielfältig, sie ist voller Humor und Witz, und jeder, der in Kontakt mit ihr kommt ist meist begeistert.“, so Judith Epstein, die Vorsitzende der Gesellschaft zur Förderung jüdischer Kultur und Tradition. Sie erhofft sich, dass auch in München die Sprache der Kultur verbindet und dass in Zeiten des Hasses ein gemeinsames Zeichen der Solidarität gesetzt werden kann. Man erhofft sich allgemein, dass das Kulturfest dem jüdischen „playful Spirit“ gerecht werden kann, und wir alle etwas lernen werden.

Was, Wann, Wo?

„Zeichnen gegen das Vergessen“

Was? Eine Werkreihe an Portraits jüdischer Kinder diverser Nationalitäten, alles Opfer des Nationalsozialismus (mehr Infos hier)
Wann? Vernissage am 14. November (18:30-21:00), Ausstellung vom 13. November – 16.November
Wo? Jüdisches Zentrum, Hubert-Burda-Saal

„Die Sprache der Kultur verbindet“

Was? Eine musikalische Resie in die Welt jüdischer Melodien, mit Grußworten von Charlotte Knobloch uvm.
Wann? 29. November, 19:30
Wo? Gasteig HP8, Saal X

„Ich bin ein Zebra: Eine jüdische Odyssee“

Was? Der bekannte Schauspieler Heinz Marecek liest aus dem Buch Erwin Javors vor. Das Publikum erlebt eine bewegte Familiengeschichte, erzählt mit jüdischem Witz, Selbstironie und tragikomischen Pointen.
Wann? 5. Dezember, 19:30
Wo? Luitpold Lab, Luitpoldblock

„Klezmer, Candles & Chanukka“

Was? Die „Klezmer Angels“ mit Pianistin Inna Surzhenko und den Sängerinnen Svea Zhidetskaya und Margarita Hayer begeistern mit einem besinnlichen Potpourri von beseelten Klezmer-Songs bis hin zu Musical-Evergreens jüdischer Komponisten. Gemeinsam entzünden wir die 5. Chanukka Kerze und genießen die Channukah-Spezialitäten, um die Tradition dieses Feiertags der Münchner Stadtgesellschaft vorzustellen und ein festes Zeichen des Miteinanders zu setzen
Wann? 11. Dezember , 19:30
Wo? Gasteig HP8, Saal X

„Operation Finale: Die Ergreifung & der Prozess von Adolf Eichmann“

Was? Die Ausstellung, erstmals in Deutschland gezeigt, gibt Einblicke in die geheime Geschichte hinter der Entdeckung und Ergreifung von Adolf Eichmann in Argentinien, einem der berüchtigtsten Täter des Holocaust. Ermöglicht wurde die Ergreifung des „Architekten der Shoah“ durch die Initiative und Beharrlichkeit des hessischen Generalstaatsanwalts Fritz Bauer und der Agenten des Mossad.
Wann? 25. November bis 23. April , Sonderführung am 24. 11
Wo? Staatliches Ägyptisches Museum München

Titelbild und Fotos: Sharon Bruck

1Comment
  • Jürgen vom Scheidt-Zenhäusern
    Posted at 15:32h, 22 November

    Sehr informativer und ausführlicher Bericht über “Stones” und die jüdischen Kulturtage. Weiter so!

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