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“The Hateful 8”: Tarantino in Reinform

Thomas Empl

The Hateful 8 wird kein Publikumsliebling. Leute werden das Kino verlassen, wütende 1-Stern Amazon-Kritiken verfassen und die alte Tarantino-Gewalt-Diskussion aufflammen lassen. Man wird es ihnen auch nicht verdenken können. Quentin Tarantinos achter Film ist nicht für jedermann, nicht für Leute, die ihn sowieso nicht mögen und sicher auch nicht für irgendwelche Award-Kommitees (das war The Danish Girl…): ein dreckiges, zuweilen gar bösartiges Kammerspiel. Und ein großartiger Film.

The Hangman and his Prisoner

Tarantino kehrt zurück zu alten Reservoir Dogs-Tagen und sperrt sieben mehr oder weniger hasserfüllte Männer und eine Frau in einen Raum – man kann sich denken, dass nicht jeder von ihnen ihn lebend verlassen wird. Die Geschichte spielt nach dem amerikanischen Bürgerkrieg in einem verschneiten Western-Setting: Zwei Kopfgeldjäger (Samuel L. Jackson, Kurt Russell) und ein Sheriff (Walton Goggins) wollen eine Mörderin (Jennifer Jason Leigh) in die Stadt zu ihrer Hinrichtung bringen, müssen aber wegen eines Blizzards in der Gasthütte “Minnie’s Haberdashery” übernachten. Dort treffen sie auf Fremde (Tim Roth, Michael Madsen, Demián Bichir und Bruce Dern), mit denen sie die Nacht verbringen müssen. Tarantino hat Filme mit großartigen Anfängen (“Do you find me sadistic?”) geschrieben – The Hateful 8 ist keiner davon. Es dauert ganz schön, bis alle Spielfiguren auf dem Schachbrett platziert sind. Aber dann wird’s meisterhaft.

Denn was Tarantinos Buch so gut und so anders als seine letzten macht: Keiner der Acht ist ein guter Kerl; kein Django, der die bösen Rassisten tötet und am Ende mit seiner Frau in den Abspann reitet. Gutaussehende Kassenmagneten braucht Tarantino nicht mehr; sein Ensemble ist alt, heruntergekommen bis hässlich – aber von eins bis acht perfekt besetzt. Gerade weil es keinen gibt, dem das Publikum offensichtlich die Daumen drücken soll, erreicht die Situation eine teils unerträgliche Spannung. Man hat schlichtweg keine Ahnung, wer die Hütte lebend verlassen wird. Und jeder, der’s nicht schafft, hat sein Ende verdient.

Jeder der Acht hat seine Hintergrundgeschichte, seine Feind- und Freundschaften, hat auf einer der Seiten des Bürgerkrieges gekämpft. Keiner von ihnen mag sympathisch sein, charismatisch sind sie alle. Niemand singt Tarantinos Dialoge so schön wie Samuel L Jackson und auch sonst sieht man ihnen allen gerne zu, wie sie sich anlügen und gegeneinander ausspielen. Fast alle sind sie fiese, unmoralische Bastarde.

Sam Jackson

Es ist ein Tarantino, der sich ganz auf sein Drehbuch und seine Schauspieler verlässt, der auf Action-Setpieces und Spektakel fast völlig verzichtet – was für viele, die Django oder Kill Bill nur dafür mochten, nicht funktionieren wird. Es ist mal keine Feelgood-Rachestory, bei der auf viel Blutvergießen ein “and all is right in the jungle”-Ende folgt. Wie Ennio Morricones fantastischer Score ist The Hateful 8 härter, kälter und weniger verspielt, als das viele nach Django Unchained vielleicht erwartet haben. Von Sergio Leone sind wir diesmal weit, weit weg. Die Gewalt wirkt weniger comichaft, sondern schockierend. Wir bleiben in diesem Raum, was auch passiert. Es ist manchmal schwer hinzusehen. Aber wegschauen will man schon gar nicht.

All das kommt von einem Quentin Tarantino in Rein- und Höchstform, dem der Mainstream diesmal völlig egal ist. Der seine Lieblingsschauspieler in einen Raum steckt und aufeinander loslässt, ohne Rücksicht. The Hateful 8 ist kein Familienfilm, kein Superhelden-Event-Film, kein Actionfilm. Geht man mit acht Freunden ins Kino, werden ihn vermutlich mindestens vier hassen. Aber mutiger, böser und besser war Tarantino nie.

(Kinostart ist der 28.01.16, viele Kinos zeigen Previews am Mittwochabend)

Trailer:
https://www.youtube.com/watch?v=gnRbXn4-Yis

>Bonus: Christopher Nolan interviewt Quentin Tarantino über The Hateful 8! (Spoiler zwischen Minute 14:30 und 17:30)
https://www.youtube.com/watch?v=1EN2PUQBNVY

(Bilder: © Universum)

weitere Filmrezensionen gibt es hier.

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