Leben

Giesing – ein Adoptivkind der großen Stadt

Westlich der Tegernseer Landstraße, gleich hinter einem mittlerweile geschlossenen Kaufhaus, kann man ahnen wie die Giesinger Vorstadtwelt früher ausgesehen hat. Hier liegt die Feldmüllersiedlung. Der Name kommt von einer Theres Feldmüller. Einer, wie es hieß, Frau mit zweifelhaften Ruf, die sich dort als Immobilienspekulantin versuchte.

Ursprünglich entstand die Siedlung ab 1840, auf einem Gebiet, das nicht landwirtschaftlich genutzt wurde. Es war zum Teil ein ehemaliger Pestacker, auf dem die Toten der Pest von 1638 begraben waren. Wenige Häuser zeigen heute noch den ursprünglichen Charakter der Siedlung. Sie sind erdgeschossig, an vorderste Baulinie gerückt mit kleinen Gartenparzellen und Rück- und Nebengebäuden. In ihnen wohnten Menschen, die Milchmann, Holzhändler, Zinngießer, Fuhrwerksbesitzer, Eier- und Schmalzhändler, Maler oder Bierwirt waren. In späteren Jahren konnte ein Teil dieser Kleinhausbesitzer die Häuser aufstocken. Heute sind die meisten der Häuser zweigeschossig. Auch wenn mittlerweile ein Großteil der Häuser saniert ist, lässt sich an diesem Ort noch etwas vom dem Vorstadtflair erspüren, der einst von Ernst Hoferichter für Giesing so treffend beschrieben worden ist:

„Vorstädte sind Adoptivkinder der großen Stadt, die durch sie erst zur Großstadt wird. Als Dörfer wurden sie angenommen – und Dörfer sind es noch geblieben, wenn auch Mietkästen über ihre Einstöckigkeit hinausgewachsen sind. So ist’s mit Giesing auch. Und Münchner gibt es, somit sie nicht selbst in Giesing leben, die lächeln über seinen bäuerlichen Holzschnitt und betrachten es als Stiefkind unter den Vorstädten, an dem man mit der Trambahn vorbeifährt – ohne auszusteigen. Lieber reist mancher dreimal hintereinander nach Neapel, Budapest und Paris – als einmal vom Marienplatz aus nach dem vergessenen Giesing. Man lächelt darüber – es hat keine Bar, ist ohne Promenade, Terrassen, Grandhotel und Weltruf. Es wird zusammen mit Kiesgruben, Hintertreppe, Margarine, Glasscherben und Ãœberfallkommando genannt. Nach Giasing…? Um Goodswillen…! Net mit zehn Roß bringst mi da aussi …!Und wieder geht es in den Englischen Garten – wo es schön ist, aber nicht ausschließlich.“

Karin Niederländer erzählt diese und mehr Geschichten am Samstag, den 31. Oktober, bei ihrer Stattreisen-Führung „Net mit zehn Roß bringst mi da außi“ durch Giesing. Für die Teilnahme ist keine Anmeldung erforderlich. Der Preis beträgt neun Euro (ermäßigt sieben). Die Führung startet um 14 Uhr an Heilig-Kreuz-Kirche, Eingang Ichostraße.

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