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„Das Wasser malt mit“ – mein Selbstversuch in Ebru-Kunst

MUCBOOK Magazin

Dieser Text erschien zuerst in unserer MUCBOOK Print-Ausgabe #20 zum Thema „Wasser“. HIER findest du das ganze Heft in unserem Shop!

Malen auf Wasser: klingt magisch, sieht magisch aus. Ob es sich auch so anfühlt, möchte ich selbst herausfinden – bei einem Ebru-Workshop mit der Künstlerin Tülay Akcan in Neuperlach.

Von Sina Bahr

Gelbe Kreise landen auf dem Wasser und schweben über die Oberfläche. Immer wieder klopfe ich mit dem langen Stiel gegen meine Faust und lasse Farbe aus der Pinselspitze regnen. Nur das Zielen gelingt mir noch nicht. Die Tropfen landen zwar in der Wanne, aber auch sonst überall. „Wie schaffst du es, dass es so akkurat spritzt?“, frage ich Tülay und blicke auf meine Hose, die etwas Farbe abbekommen hat. „Zehn Jahre üben!“, sagt sie lachend.

Die Wasserkunst aus der Türkei

Es ist das erste Mal, dass ich an einem Ebru-Workshop teilnehme. Tülay hingegen hat diese Kunst, die ihren Ursprung in Mittelasien hat und bis in die Türkei weitergegeben wurde, vor Jahren bei einem Meister in Istanbul gelernt. Seit 2010 gibt sie selber Kurse. Außer uns ist noch niemand im Raum. Nur Nicole stürmt gelegentlich durch die Tür. Sie ist im Vorstand des Deutsch-Türkischen Freundschaftsvereins, der den Workshop veranstaltet. Während sie Flugblätter aufhängt, richtet Tülay alles her. Natürliche Materialien sind ein wichtiger Teil der traditionellen Ebru-Kunst: Pinsel aus Rosenholz und Pferdehaar. Farben aus natürlichen Pigmenten wie Blüten oder Erde. Und ganz wichtig: Ochsengalle. Sie sorgt dafür, dass sich die Farben auf dem Wasser ausbreiten und nicht zu Boden sinken.

Als Tülay drei Wannen mit Wasser befüllt, erscheint eine weitere Teilnehmerin. „Wir kennen uns schon!“ Claudia ist Pädagogin an der Montessorischule und erzählt begeistert von einem Ebru-Kurs mit Tülay und den Kindern. „Die Eltern schwärmen immer noch von den Bildern.“ Allmählich füllt sich der Raum mit Frauen, die sich gespannt um die Künstlerin versammeln.

Eine Frage der Technik

Das sagt Tülay, während sie den Pinsel in Farbe taucht und mit dem Stiel gegen ihren Handrücken klopft. Zu Beginn möchte sie uns verschiedene Techniken zeigen. Bunte Punkte breiten sich auf dem Wasser zu Kreisen aus. So entsteht ein Bild aus unterschiedlich großen Farbtupfen, das Steinmuster. Für weitere Motive verwendet Tülay einen Metallstab, mit dem sie pinke Kreise auf die Wasseroberfläche setzt. Anschließend zieht sie die Stabspitze durch einen Kreis hindurch, sodass er sich zu einem geschwungenen Herz verformt. Ein weiteres Mal lässt sie den Stab durch das Herz gleiten und es verwandelt sich in eine abstrakte Blume.

Wie kommt das Bild nun auf Papier? Tülay legt ein Blatt auf die Wasseroberfläche, das perfekt auf die Wanne zugeschnitten ist. Vorsichtig streicht sie mit ihren Händen darüber und zieht es über den Wannenrand wieder heraus. Zurück bleibt ein klares Wasserbecken. Die Farbe hat sich komplett auf das Papier übertragen. Ich staune und frage mich, ob mir auch so ein schönes Bild gelingen wird.

„Man lernt, loszulassen“

Teilnehmerin Yasemin darf als Erste ran und beginnt mit einer Tulpe. Sie hat bereits einen Kurs in Istanbul besucht. Das Besondere an dieser Kunst? Man lerne, auch das Unperfekte zu schätzen. In unserer Welt müsse immer alles perfekt sein, sagt Yasemin, auch sie selbst sei Perfektionistin. Bei Ebru sei das anders. „Man lernt, loszulassen.“

Woran das liegt? „Das Wasser malt mit“, erklärt Tülay. Es gilt als Philosophie der Ebru-Kunst, dass Mensch und Wanne sich gegenseitig beeinflussen und sich die Gefühle im Wasser spiegeln. Darum ist eine positive Energie so wichtig. „Wenn jemand schlechte Stimmung hat, merkt man das auf der Wasseroberfläche.“ So lernt man, sich ganz auf die Kunst zu konzentrieren, alles Negative auszublenden und Kontrolle abzugeben. „Ich bin dadurch geduldiger geworden“, sagt Tülay.

Gut also, dass im Kurs eine entspannte Atmosphäre herrscht. Die Frauen helfen und ermutigen sich gegenseitig. Abwechselnd arbeiten sie an den Wannen und machen kleine Pausen, um sich zu unterhalten. Auch ich bin in bester Stimmung und fühle mich bereit für mein eigenes Kunstwerk. „Ich versuch jetzt mal mein Glück!“

Jetzt bin ich an der Reihe…

Als ich mich an die große Wanne stelle, kommt Tülay dazu. „Hast du dir schon was vorgestellt?“ Ich überlege kurz und erinnere mich an eine weitere Technik, die sie uns gezeigt hat: „Das Hin-und-Her-Muster. Und das mit dem Kamm.“ Wie ging das nochmal? Als Grundlage verteile ich rote Tropfen auf dem Wasser, dann gelbe, grüne und zuletzt empfiehlt mir Tülay ein knalliges Orange. Die Wanne mit bunten Kreisen zu füllen, macht wirklich Spaß. So richtig entspannt bin ich jedoch nicht. Meine Handgelenke sind steif und erschweren das Zielen. Trotzdem sieht es bisher echt gut aus. Ich habe Angst, es zu ruinieren. Vielleicht sollte ich es so lassen und auf das Hin-und-Her-Muster mit dem Metallstab verzichten?

Doch Tülay erklärt mir bereits, wie ich es hinbekomme. Im Zickzack lasse ich den Metallstab durch mein Tropfenmeer gleiten und die Kreise werden zu Linien. „Schön!“, lobt sie mich. Dann greife ich zum Kamm, lege seine Spitzen auf mein Bild und ziehe sie über die Wasseroberfläche. Die bunten Linien gleiten meiner Bewegung hinterher.

Übung macht die Meisterin

„Toll!“, staunt Claudia. Stolz halte ich mein fertiges Kunstwerk hoch und lächle zufrieden. Auf dem Papier wirken die Farben noch satter. Da fällt mir ein, was Tülay am Anfang zu mir gesagt hat: „Die Kunst hat mehrere Aspekte: das Handwerk, aber auch die Meditation.“ Mein Handwerk ist ganz okay, denke ich. So richtig meditativ war das Malen für mich aber noch nicht. Doch Übung macht die Meisterin, denke ich und beschließe, weitere Kurse zu besuchen.

Nach dem Kurs ist es ungewohnt still im Raum. Die Teilnehmerinnen sind gegangen. Ihre Bilder liegen am Boden, auf Tischen und Regalbrettern. Sie zeigen Blumen, Herzen, Tropfen oder Kreise. Jedes sieht anders aus. „Mein Meister hat immer gesagt: Die Kunstwerke sind wie Menschen. Jedes ist ein Unikat“, erinnert sich Tülay. Auch ich gehe heute mit einzigartigen Bildern nach Hause und mit gelben Tropfen auf meiner Hose.

Text: Sina Bahr; Bilder: Steffen Möller

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