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Tiergestütze Therapie in München – zu Besuch auf Monis Tierfarm

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Alpakas, Meerschweinchen, Bienen und Schweine – Tiere wirken positiv auf unsere Gesundheit. Immer mehr Krankenhäuser, Altenheime und Kindergärten setzen auf die tiergestützte Therapie – die Krankenkassen aber sträuben sich.

Text: Sebastian Schulke
Fotos: Steffen Möller

Mimi liegt auf einer Bank und reckt ganz entspannt alle viere von sich. Die hellgraue Katze mit den dunklen Tigerstreifen und den leuchtend grünen Augen schläft. Dabei scheint ihr die Sonne auf den Pelz. Ihre Pfoten zucken leicht. Sie träumt, genießt bereits ihren Feierabend. Auch wenn die kleine Katze nicht zu den offiziellen Angestellten von Monis kleiner Tierfarm zählt. Das Seniorenheim hat abgesagt: Deshalb können heute alle die Beine etwas früher hochlegen.

Alpakas, Schafe, Ziegen, Hühner, Meerschweinchen und Kaninchen sind die vierbeinigen Mitarbeiter von Monika Posmik – genannt Moni. Der kleine graue Tiger namens Mimi schnurrt und schleicht einfach so herum, wohnt mit den anderen Tieren hier am nördlichen Rand von München – direkt an der Ingolstädter Landstraße, zwischen Garching und Schleißheimer Schlosspark. Die breite Bundesstraße ist recht laut. Bäume, Büsche und eine Mauer schützen die Tierfarm vor dem vorbeirauschenden Verkehr.

Kein Streichelzoo …

Durch ein kleines Tor betritt man die grüne Bauernhof-Oase. Ein Kiesweg führt vorbei an einer Wiese mit Apfelbaum zu Hütten und Stallungen. Vor dem Hof parkt ein kleiner Transporter. Mit dem bringt Moni ihre kuscheligen Mitarbeiter zu Krankenhäusern, Schulen, Altenheimen oder Kindergärten. Für die Schafe, Ziegen und Alpakas hat sie einen Pferdeanhänger. „Wir sind jeden Tag unterwegs“, sagt sie, die ausgebildete Erzieherin ist und vor 13 Jahren eine Weiterbildung zur zertifizierten „Fachkraft für tiergestützte Intervention“ absolviert hat. So ist Monis Tierfarm auch alles andere als ein „Streichelzoo“, sondern ein Zentrum für tiergestützte Pädagogik, Therapien und Fördermaßnahmen.

Bei Moni und ihren Mitarbeitern geht es nicht um bloßes Streicheln, Füttern oder einen netten Zeitvertreib. Vor allem Menschen mit schweren physischen und psychischen Leiden kommen in ihre kleine Oase. Oder Moni kommt zu ihnen, packt ihre Tiere ein und saust los. „Tiere werden immer öfter in Kliniken eingesetzt – wie in der Psychiatrie und Psychosomatik“, sagt sie und betont: „Gerade auch in Kinderkliniken sind meine tierischen Mitarbeiter bei Patienten und Ärzten gefragt.“ Mit dem Klinikum Großhadern, dem Kinderhaus AtemReich direkt neben der Kinderklinik Dritter Orden sowie dem Haunerschen Kinderspital am Goetheplatz in München arbeitet sie eng zusammen. Dort sind ihre Alpakas, Schafe, Meerschweinchen und Hühner regelmäßig im Einsatz. „In der Haunerschen träumt ein Professor schon lange davon, dass er Nacho, eines unserer Alpakas, mal mit auf Visite nehmen kann“, erzählt Moni. Das würden allerdings die allgemeinen Hygienevorschriften des Klinikums (noch) nicht zulassen.

„Natürlich kommt es immer auf den einzelnen Fall an“, meint sie. Aber es sei erstaunlich, was Tiere für eine belebende, kraftvolle und heilsame Wirkung auf Menschen hätten – besonders bei Kindern! Da entstehe sehr schnell und spielerisch eine Beziehungsebene. In der Ergo- und Physiotherapie gewinne die tiergestützte Therapie mehr und mehr an Bedeutung. Auch bei Krebspatienten wirkt sich laut einer klinischen Studie aus den USA eine Tiertherapie positiv auf die Stimmung und damit das Wohlbefinden aus. Die Technische Universität München kommt zu dem Ergebnis, dass Vierbeiner den Gemütszustand bei dementen und depressiven Patienten signifikant verbessern.

Tierisches Potenzial

Für Moni ist das nicht überraschend. Seit zehn Jahren ist sie im Einsatz und sieht, welche positiven Effekte eine tiergestützte Therapie haben kann: So können Tiere dem Menschen ein Gefühl von Sicherheit und Geborgenheit vermitteln, zur Bewegung anregen und zuverlässige Zuhörer sein, die keine Geheimnisse verraten. Auch das Selbstvertrauen und sogar die sprachliche Entwicklung könnten die Vierbeiner fördern. „In einem Pflegeheim in München hatte ich einen jungen Mann, der durch einen schweren Unfall körperlich wie geistig schwer angeschlagen war. Er befand sich in einer Art Wachkoma, konnte kaum mehr sprechen“, erzählt sie. Wenn sie ihm allerdings ein Meerschweinchen in die Arme legte und dazu noch Gitarre spielte, entspannte sich sein Körper und Laute kamen aus seinem Mund. „Mit der Zeit verstand ich, was er wollte: Ich sollte ,No Woman, No Cry’ von Bob Marley spielen.“

So komme es laut ihr auch immer öfter vor, dass Ärzte in Altenheimen oder Kliniken abwägen, was wichtiger und besser für den jeweiligen Patienten sei: völlig abgeschottet und einsam in einem Bett in einem Krankenzimmer liegen. Oder mit einem Tier in Berührung kommen, auch wenn das aus hygienischer Sicht nicht unbedingt optimal ist. Doch so kann man seine Wärme spüren, mit ihm lachen, kuscheln und spielen. „Tiere sind kein Allheilmittel, aber sie fördern und verbessern das seelische und körperliche Wohlbefinden des Patienten“, so Moni, „und auch das des Personals.“

Woher kommt diese enge und emotionale Verbindung?

Da gibt es verschiedene Ansätze und Erklärungsmodelle – wie etwa das Biophilie-Konzept nach Erich Fromm. Der bekannte US-amerikanische Psychoanalytiker, Philosoph und Sozialpsychologe sah darin – wie er 1964 schrieb – die „Liebe zum Leben und allem Lebendigen“. Oder wie es die Biologen Edward O. Wilson und Stephen Kellert 20 Jahre später in der Biophilie-Hypothese bezeichneten: Der Mensch habe, aufgrund der gemeinsam durchlebten Evolution, ein angeborenes Interesse beziehungsweise eine grundlegende Verbundenheit zur Natur und allem Lebenden. Der Soziologe Theodor Geiger beschrieb, dass Menschen Tiere als individuelles „Du“ wahrnehmen können, woraus Vertrautheit und Nähe erwachsen. Die Du-Evidenz sei die „unumgängliche Voraussetzung, dass Tiere therapeutisch und pädagogisch helfen können“.

Pferde und Hunde zählen in Deutschland zu den wohl bekanntesten tierischen Therapeuten. Aber auch mit Bienen, Schweinen und Kühen wird gearbeitet. Neben dem medizinischen Effekt spielt auch der psychosoziale Aspekt eine wichtige Rolle – besonders Menschen mit Drogenproblemen, Essstörungen, Depressionen, Burnout-Symptomen oder auch traumatischen Fluchterfahrungen sprechen auf tierische Therapien an. „Die Begegnung mit Tieren, in einer Gruppe oder auch einzeln, indem man ihnen Futter gibt, das Fell kämmt, mit ihnen spazieren geht und auch mal schmust, stärkt das Selbstwertgefühl und Selbstbewusstsein“, erklärt Moni. „Denn man ist selber plötzlich nicht mehr der Hilfsbedürftige, sondern hilft einem anderen Lebewesen.“

Auch Ängste könnten damit überwunden werden. Dafür würden sich besonders Bienen gut eignen. „Allein nur zu beobachten, wie sich jede einzelne integriert und mit den anderen Bienen interagiert, holt den Menschen runter und erdet ihn.“ Wenn man sich dann auch noch trauen würde, den Honig aus den Bienenstöcken zu ernten, habe man einen großen Schritt nach vorne geschafft.

Das war nicht immer so …

Die Anfänge der tiergestützten Therapie wurden lange nicht dokumentiert. „In den Klöstern haben sich früher oft behinderte Menschen um die Versorgung der Tiere gekümmert“, erzählt Moni. „Das waren erste, unbewusste Schritte.“ Erst um 1890 nahm das Ganze durch Florence Nightingale konkretere Strukturen an. Die englische Krankenschwester gilt als Begründerin der modernen, westlichen Krankenpflege. Sie bemerkte, dass der Umgang mit kleineren Tieren sowohl Erwachsenen als auch Kindern bei Angstzuständen hilft. In den 1930er-Jahren stellte Sigmund Freud, der Begründer der Psychoanalyse, fest, wie gut seine Patienten*innen auf seine Hündin Jofi reagierten. Sie durfte daraufhin bei den Sitzungen im Arbeitszimmer bleiben. Der amerikanische Kinderpsychologe Boris Levinson machte in den 1960er-Jahren die gleiche Erfahrung und entwickelte daraufhin speziell für Kinder eine tiergestützte Psychotherapie. Bereits 1947 gründete Samuel B. Ross Jr. in den USA „Green Chimneys“ – eine Farm, auf der Kinder und Jugendliche bis heute mit Tieren zusammen leben und arbeiten.

In Deutschland findet die tiergestützte Therapie mittlerweile immer mehr Befürworter und Einsatzbereiche. Doch es gibt keine standardisierte und staatlich geprüfte Ausbildung. „Der Beruf ist nicht geschützt. Jeder kann sich theoretisch Tiertherapeut nennen.“ Deshalb sollten Patient*innen aufpassen und sich gut informieren. Als Tiertherapeut müsse man genau wissen, was man da macht und wie man es macht. Der deutsche Bundesverband für tiergestützte Intervention (BTI), in dem Moni Mitglied ist, setzt sich dafür ein und arbeitet konkret daran, dass es in Zukunft offizielle Richtlinien gibt. Vorerst aber sträuben sich die Krankenkassen noch, Kosten zu übernehmen. Nur die Reittherapie wird in Sonderfällen von der Krankenkasse, der Pflegekasse, dem Sozialamt oder dem Jugendamt übernommen.

Tiere sind kein Spielzeug

Auf Monis Tierfarm am nördlichen Rand von München leben kleine Haus- und Hoftiere. Pferde und Hunde sucht man vergebens. „Meerschweinchen und Kaninchen, Schafe und Ziegen wirken genauso auf den Menschen“, sagt Moni. Kleine Haustiere hätten den Vorteil, dass man sie in Krankenhäuser und Altenheime, in Schulen und Kindergärten mitnehmen könne. Zumal viele kleine und große Patient*innen nicht in der Lage sind, das Krankenhaus zu verlassen. Neben der gesundheitlichen Wirksamkeit spielt bei der Therapie auch der pädagogische Aspekt eine Rolle – bei Kindern wie Erwachsenen. „Ein Tier ist kein Spielzeug und möchte genauso wie ein Mensch gut behandelt werden“, betont sie. Die Tiertherapie vermittelt auf ganz spielerische Art einen respektvollen und rücksichtsvollen Umgang mit den Vierbeinern und allen anderen Lebewesen.

Gerade gackern die Hühner aufgeregt herum. Moni säubert die Ställe und gibt ihren Tieren frisches Futter und Heu, das sie von einem Landwirt aus der Umgebung holt. Ihr Hof ist ein „Eine-Frau-Betrieb“, sie achtet auf eine artgerechte Tierhaltung. „Nur wenn es den Tieren gut geht, können sie dem Menschen helfen“, sagt sie. Ab und zu packen ihre Familie und Freund*innen mit an – beim Ausmisten oder Setzen neuer Zäune.

In einer kleinen Hütte neben dem Hühnerstall hoppeln Meerschweinchen und Kaninchen munter drauflos, knabbern an Blättern von einem Haselnussstrauch, die Moni aus dem Garten geholt hat. Kinder, Jugendliche und Erwachsene können hier mit den kleinen Vierbeinern auf Bänken, Strohballen und Sesseln spielen und kuscheln. Schräg gegenüber der Hütte gelangt man zu Stallungen, die wie kleine Steinhäuser aussehen. Hier wohnen die Alpakas, Ziegen und Schafe. Ein gepflasterter Hof verbindet alle Gebäude und Plätze miteinander.

Eine junge Freundin kommt zu Besuch

„Neben der Tiertherapie in Krankenhäusern, Altenheimen und Kindergärten kommen auch inklusive Projekte wie die Sonnenkinder aus Oberschleißheim und verschiedene Kinder- sowie Seniorengruppen aus der Umgebung zu mir auf die Farm“, sagt Moni. Vereinzelt auch Kinder und Erwachsene aus den Kliniken, wenn es ihr Gesundheitszustand zulässt. Dann treffen sie ihre tierischen Freunde auf der kleinen Farm. Wie die kleine Agnes, die in Großhadern anderthalb Jahre auf ein neues und gesundes Herz warten musste. „Agnes hat hier sogar schon ihren Geburtstag gefeiert“, erzählt sie. „Und hoffentlich auch bald der kleine Marco aus dem Klinikum Großhadern.“ Der wartet bereits seit zwei Jahren auf ein Spenderherz. Moni hat ihm vor ein paar Monaten ein Meerschweinchen geschenkt, das er Sternchen getauft hat. „Da hat Marco so wunderbar gelacht“, sagt die Farmerin. „Er möchte auch bald hier auf unseren Hof kommen.“

Jedes Tier und jeder Mensch bekommt auf Monis Tierfarm seinen Raum und seine Zeit. Frei von Stress und Zwängen. „Wir schauen uns in die Augen, Mensch und Tier. Und wenn ein Kaninchen oder Alpaka gerade seine Ruhe haben möchte, dann respektieren wir das.“ Nur so könne eine tiergestützte Intervention funktionieren. Beiden Seiten muss es gut gehen. Und beide Seiten müssen sich kennenlernen. Das geht auch der Therapeutin nicht anders, wenn sie neue Tiere für ihre Farm braucht und sucht. „Meine Tochter hat ein Pferd“, erzählt sie, „ein tolles Tier. Würde gut auf meine Farm passen. Aber ich spüre da nicht die Verbundenheit wie zu meinen Meerschweinchen oder Alpakas. Und so könnten wir nicht wirklich gut und glaubwürdig zusammenarbeiten.“

Plötzlich schnattert eine Ente aufgebracht los. Eine Ente? Hier auf Monis Tierfarm? Die Fachkraft für tiergestützte Intervention lacht und holt ihr Handy aus der Tasche. „Ist mein Klingelton.“ Mimi, die graue Tigerkatze, hebt ihren Kopf und schaut verschlafen. Kurz darauf reckt sie wieder alle viere von sich und schläft weiter. Feierabend!

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