Münchenschau, Stadt

we are the angry mob

Simone Mellar
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Schlecht aufbereitete Artikel beginnen häufig mit einer Definition des zentralen Textmotives, gerne auch aus höchst zweifelhaften Quellen wie unser aller Wikipedia. So was sollte man nicht machen, das wirkt nicht gerade professionell. Allerdings muss ich hier auf fundierte Recherche verzichten, da mir bei folgendem Thema nur noch schlecht wird: Der GDL-Streik. Beginnen wir also unser Märchen der Toleranz mit folgendem Einstieg … Toleranz (lt. Wikipedia)= auch Duldsamkeit, ist allgemein ein Geltenlassen und Gewährenlassen fremder Überzeugungen, Handlungsweisen und Sitten.

Gemeint ist damit heute häufig auch die Anerkennung einer Gleichberechtigung unterschiedlicher Individuen. Soso … Duldsamkeit … die wurde in den letzten Wochen tatsächlich beinhart gefordert, wenn man sich an dem Jenga-Spiel des Nahverkehrs beteiligen musste. Flog ein Mensch raus, kollabierte gleich der mühsam zusammen geschachtelte Haufen. Überhaupt bekommt der „Nahverkehr“ so eine ganz neue Bedeutung.

Möchte ich wirklich wissen, wie viele Passanten auf Deodorant, Mundhygiene oder frische Klamotten verzichten? Möchte ich wirklich erfahren, wie ergonomisch korrekt sich mein Kopf in die Achselhöhle meines Quetschnachbarn integrieren lässt? Möchte ich wirklich erfahren, dass meine Rippen als Ablagefläche für die scheinbar überlebenswichtige Lektüre einer Mitfahrerin wunderbar herhalten?

Nein, auf soviel Nähe kann man gut und gerne verzichten. Doch alles Gedränge (wieso fahren tausend Kinderwägen zum Berufsverkehr?), Geschnaufe (wie widerlich kann eigentlich so eine Atemwolke sein?) und Gestöhne (wurde etwa ein Preisgeld für die dämlichsten Bemerkungen ausgesetzt und ich hab`s verpasst?) ist noch nichts im Vergleich zu den achso lustigen Kommentaren der noch fahrenden Lokführer.

Klar müssen sie ihren Ruhm jetzt ausnutzen, denn wann sonst stehen sie mal wieder dermaßen im Rampenlicht des bitte freizumachenden Sicherheitsstreifens? Und trotzdem … bei den Durchsagen, die den pöbelnden Mob wohl beruhigen sollen, wird bei bei mir (die generell ganz friedlich unterwegs ist, wenn sie denn unterwegs ist, wohlgemerkt) nur eins geschürt: brodelnder Hass.

„Ah gee, gängas einfach no a bissi eini, dann hamma scho alle a Platzerl!“, bringt das Blut schon ganz gut zum Kochen. „Lassan’s erst die Leid aussteiga, dann kimmas au besser nei!“, würzt die empor schwappende Suppe aus Aggressionen und Unverständnis noch ein wenig. Der absolute Knaller ist jedoch folgende Aussage: „Wenn nix mehr geht, dann geht nix mehr! Der nächste Zug steht scho hinten dran!“

– Nein, das tut er eben nicht!!! Da steht überhaupt nichts hinten dran, außer dieser sabbernde Köter, der auch noch unbedingt in den Waggon muss und das Leder meiner neuen Lieblingsschuhe voll ätzt.

Doch aller Wut zum Trotz haben wir die letzten Wochen unsere Wirbelsäule überdehnt, einen Stepptanz nach dem anderen in den dreckigen Zügen aufgeführt und hin und wieder auch Personen vor dem drohenden Erstickungstod gerettet. Und für was? Für eine Wiederholung des Spektakels! Denn heute ging es schon wieder rund in unserer allseits beliebten Sitcom namens „Lost in Civilisation“!

Entschleunigung, soweit das wütend zusammengekniffene Augenpaar reicht – ja, heidewitzka, was ein Spaß! Da fährt Freude mit! Besonders, wenn man die verspätete Zeit nacharbeiten muss, weil der Arbeitgeber natürlich kein Verständnis hat – oder soll ich etwa auf meinen Zeitnachweis schreiben: „Es kommt zu erheblichen Verzögerungen. Ich danke für Ihr Verständnis.“ Das wäre mal eine Idee. Oder noch besser: Den Spieß umdrehen. Wie wäre ein Fahrgast-Streik? Am 2. November darf einfach niemand eine Tages-, Wochen- oder Monatskarte kaufen. Soll die Gewerkschaft mal sehen, wie sie ohne ihre Kunden auskommt. Massen-Schwarzfahren, das wär’s! Wie war das gleich?

Dann muss die GDL eben „fremde Überzeugen, Handlungsweisen und Sitten“ schlucken – für mehr Toleranz im Fahrplannetz. Denn Gleichstellung funktioniert nicht, weil jemand auf Deinem Fuß steht, sondern weil beide Kompromisse eingehen müssen. Ich wär schwerst dafür. Wer noch?

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