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„Das endlose Lied der schwachen Frau hat ein Ende“: Wie Medea am Resi ihre Unfreiheit mordet

Fiona Rachel Fischer

Ein Wasserbecken, auf dem zwei Jungen ein ferngesteuertes Segelboot fahren lassen: Das ist der Anblick, zu dem die Zuschauer*innen den Saal im Residenzttheater betreten. Bereits vor Beginn des Stücks betrachtet man diese unschuldige Szene. Und bedauert die beiden Kinder in ihrer Unbefangenheit. Noch bevor die erste Zeile gesprochen wird, zieht die Inszenierung die Betrachter*innen in ihren Bann und lässt sie bis zum Ende nicht los.

Zusammen mit den Schauspieler*innen macht sich das Publikum auf den beschwerlichen Weg zum unausweichlichen Ende, das die Söhne der Medea nehmen werden. Ohne weitere Erklärung wird den Zuschauer*innen anfänglich eine gläserne Vitrine gezeigt, in der zwei erleuchtete kleine Totenschädel ausgestellt sind. Parallel dazu spielen die Kinder unbekümmert und unbehaglich still in einem Glascontainer oberhalb der Köpfe der anderen Schauspieler*innen, während sich der Konflikt auf der Bühne immer weiter entfaltet und zuspitzt. Bis auf den Chor erwähnt niemand den Ausgang, das Wissen darum wird gegenüber dem Publikum nur impliziert und unausgesprochen geradezu aufgebürdet.

v.l. Carolin Conrad, Sandra Julia Reils, Nicola Mastroberardino, Aurel Manthei, Thekla Hartmann, Almut Kohnle © Sandra Then

„Geh, reinige die Luft, die du verpestest.“

Kreos

Die Hauptdarsteller*innen steigern untereinander geschickt die negativen Schwingungen und ziehen das Publikum mit sich in den Abwärtsstrudel. Durch feinste Veränderungen ihres Umgangs miteinander und immer stärker werdende Zwischentöne des Hasses entwickelt sich so eine unglaubliche Dynamik auf der Bühne, die mir Schauer über den Rücken jagt – ein Schauer, dem man unmöglich absprechen kann, wie wohlig er sich anfühlt. So geschieht es beispielsweise mit der Liebe zwischen Jason und seiner Frau, die bereits vor Einsetzen des Stückes verwirkt ist.

„Ich könnt ihn sterben sehn und lachen drüber“ …

… sagt Medea über Jason und ihr Mann denkt ganz ähnlich über sie. Der Kuss, der bei solchen jedoch dennoch vorkommt, stellt die Zuschauer*innen wie so oft in der Inszenierung vor eine geradezu hoffnungslose Ungewissheit der eigenen Gefühle.

v.l. Carolin Conrad, Aurel Manthei © Sandra Then

 „Mich entwürdigt man nicht ungestraft.“

Medea

Das Temperament der Protagonistin darzustellen, gelingt der Schauspielerin Carolin Conrad meisterhaft. Schon allein in Stimmeinsatz und Gangart ist überdeutlich, welche Entschlossenheit in ihr steckt. Doch trotz dieser kraftvollen Haltung wird die Zerrissenheit der Figur ohne Umwege zum Publikum transportiert. Immer wieder spricht Medea die Zuschauer*innen offen an. Durch ihre sanfte, meist sogar liebevolle Anrede fällt es schwer, in ihr nur die Täterin zu sehen.

v.l. Carolin Conrad, Franziska Hackl © Sandra Then

„Niemand halte mich für schwach. Ich bin anders und das soll die ganze Welt erfahren.“

Besonders eindrucksvoll zeigt der Abend die Interpretationsweise des Stoffes hinsichtlich der Genderdebatte. Hier sind die Taten der Protagonistin weniger eine Frage der Brutalität, als eine Befreiung einer Frau aus den patriarchalen Ketten. Medea ist ‚das Andere‘ und die Benachteiligung ihres Geschlechts wird auch im Kontrast zu Jason immer wieder dargestellt. Die Fortsetzung ihrer Grausamkeit wird schließlich ihr Schlüssel zur Befreiung aus der Tyrannei ihrer Mitmenschen. Auch der spielerische Umgang mit der männlichen Besetzung der Amme und dem anklagenden Mädchenchor lässt die Zuschauer*innen die Geschlechterstereotypen hinterfragen. Die Relevanz solcher Reflektionen steht damit klar vor Augen, jedoch ohne sich zu weit vor die schaurig-schöne Darstellung des Mythenstoffes zu drängen.

„Heute ist Zahltag, Jason, heute treibt deine Medea ihre Schulden ein.“

Medea
v.l. Carolin Conrad, Aurel Manthei © Sandra Then

„Ich wollte meine Mutter hätte mich getötet, da ich noch klein war.“

Ebenso ist die Frage nach der Schuld mit dieser Inszenierung verflochten. Sie ist durch jeden Satz und jede Geste präsent, lässt die Zuschauer*innen ständig wachsam bleiben. Trotz Jasons Unschuldsbeteuerungen, trotz der eindringlichen Darstellung von Medeas Täuschung, trotz ihrer Beteuerung, kein Opfer zu sein – eine Antwort wird nicht angeboten und scheint auch kaum zufriedenstellend. Dadurch kann man sich keiner der Fronten entziehen und fiebert geradezu auf die Tat hin.

Diese erfüllt sich in Andeutungen und in der Erwartung der Betrachter*innen bereits mehrere Male und erobert so lange vor ihrer Ausführung die kraftvolle Ebene, auf der sie in der vorletzten Szene schließlich stattfinden wird. Die Grausamkeit entfaltet ihre Dynamik keineswegs in einer blutigen Darstellung, sondern in der Psyche der Betrachter*innen. In der Unvermeidbarkeit des Ausgangs überträgt sich die hoffnungslose Zerrissenheit Medeas auf das Publikum und verwandelt so das Ausüben der Tat in Erleichterung und Schmerz gleichermaßen.

Die gezielt gesetzten Sound- und Lichteffekte pointieren die andauernde Anspannung der Handlung und sorgen für ein haarsträubendes Unbehagen. Das funkelnde und platschende Spritzen des Wassers unterstreicht elegant die Bewegungen der Schauspieler*innen im Wasserbecken und macht das Leiden der Protagonist*innen zu einer ästhetischen Darbietung.

Carolin Conrad © Sandra Then

Genuss voller Gänsehaut

Dennoch lenkt nichts von der Komplexität des Stoffes ab, nichts lässt das Publikum aus der Unlösbarkeit des Konflikts entkommen. Allein des Unbehagens und der Unausweichlichkeit des Endes kann man sich sicher sein, wenn der Chor jeden Schritt beklagt, den Medea und Jason je aufeinander zu und hin zu dieser Katastrophe gegangen sind, von der die Zuschauer*innen in diesem Stück Zeuge werden. Die Sanftheit, mit der die vielen Elemente der Inszenierung miteinander verwoben sind, lässt einen erst hinterher erkennen, wie sehr man sich von der Tragödie durchrütteln hat lassen.

Denn in diesem Untergang steckt trotz oder gerade wegen aller Grausamkeit ein Genuss voller Gänsehaut – ein Theaterbesuch, der auch im Nachhinein lange nachwirkt und Freude bereitet.

Noch bis zum 30. April kannst du Medea sechs mal im Residenztheater sehen, hier sind die Infos.


Fotos: © Sandra Then

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