Aktuell, Leben

Wiesn vorbei! Schade oder schön?

Linn Petersen

Der Geruch gebrannter Mandeln in der Innenstadt, die U4/U5 Linien überfüllt. Wie ein Schleier aus wilder Tradition, Kommerz und haufenweise Bierkultur hing die Wiesn 17 Tage über der Stadt. Überall in den inneren Bezirken Menschen in ihren hübschen Trachten, alles summt und ruft: Es ist Wiesn! Freude herrscht. Doch wie steht man als Münchner-Kindl wirklich zum Oktoberfest? Bin ich traurig oder glücklich, dass sie rum ist? Ein Hassliebesbrief an die Wiesn.

Ab Juli fing ich an, grinsend an der Theresienwiese vorbei zu laufen, denn die ersten Gerüste standen schon. Juhu, nur noch der Sommer und dann steh ich nach drei Jahren endlich wieder im Dirndl mitten im Tohuwabohu! Wochenlang hat sich die Vorfreude aufgebaut, hier und da habe ich noch ein neues Dirndl anprobiert und die ersten festen Wiesn-Termine waren auch schnell im Kalender. Bin ich motiviert! Doch dann kam der Wiesn-Beginn näher und auf einmal stellten sich so viele Fragen, dass ich eigentlich wieder weniger Bock bekam. Mit wem gehe ich? Wann gehe ich? Wie wird das Wetter? War ja klar, Temperatursturz pünktlich zur Wiesn – och nöö, ich werd’ sowieso wieder krank. Und hält mein Konto das überhaupt aus? Egal, ich arbeite danach einfach mehr. Hält mein Körper das aus? Feiern geht doch auch, dann ist die Wiesn auch kein Problem. Im Grunde genommen hat es sich auch dieses Jahr um zwei Wochen des sich-selbst-Belügens gehandelt. Naja, Spaß geht zur fünften Jahreszeit einfach vor.

Was mach’ ich denn eigentlich, wenn ich gehe?

Mini-Menschen in Tracht drehen ihre Runden auf den Karussellpferden und kreischen beim Achterbahnfahrten vor Aufregung und da frage ich mich: Was ist mit mir? Bin ich für Fahrgeschäfte nicht zu alt? Pft, sicher nicht! Abgesehen von den lebensmutigen Umher-schmeiß-Geschichten ist Achterbahnfahren echt noch genauso spaßig wie früher. Wilde Maus und Topspin bleiben bei mir immer auf dem Tagesplan. Die Alpinbahn wurde bei mir zwar durch den Looping ersetzt und der Autoscooter durch den Freefall, aber das Prinzip bleibt ja das gleiche: einmal so richtig schön durchgerüttelt werden. Gefällt mir.

Jetzt aber mein persönliches Hass-Feature der Wiesn: die Geisterbahnen. Da bringen mich echt keine zehn Pferde rein. Wer hat sich dieses doofe Konzept eigentlich überlegt? Da zahl’ ich Geld, um mich ein paar Runden erschrecken zu lassen von gruseligen Menschen, die mich am besten noch irgendwie berühren, nur um mit einem weitaus schlechteren Gemütszustand wieder raus zu gehen. Sich zu erschrecken ist jetzt nicht wirklich ein angenehmer Adrenalinkick, den ich mir noch extra holen muss. Mir reichen beim Vorbeigehen ja schon die kostümierten Sensenmänner auf der Veranda vorne: anstatt Lust zu bekommen eine Runde zu drehen, frage ich mich eher was für ein langweiliger Job das sein muss, gruselig zu spielen.

Warum sehen eigentlich alle auf einmal so viel besser aus in Tracht?

Die Tracht hat mittlerweile ja etwas an Tradition verloren, doch dass sie an den meisten Menschen ziemlich gut aussieht, kann man schwer leugnen. Hübsche Mädels im feschen Dirndl und Burschen in der Lederhose füllen die Theresienwiese und während ich mich so umschaue, stellt sich mir jedes Jahr wieder die Frage: Warum sehen eigentlich alle auf einmal so unglaublich gut aus? Hui, was ein Fest für die Augen.

Zwischen den Schönheiten treffe ich als Münchner Local Menschen wieder, von denen ich nie dachte, sie jemals nochmal zu Gesicht zu bekommen. Mein bester Freund aus dem Kindergarten, der schon vor vielen Jahren weggezogen ist? Oder diese eine Lehrerin, die ich seit der dritten Klasse nicht mehr gesehen habe? Ich liebe es, zwischen den Fahrgeschäften und Bierbänken in die wildesten Bekanntschaften hinein zu laufen.

Kulinarisch liebe ich die Wiesn. Ich schiebe mir quasi nur Feelgood-Food rein. Die fleischhaltige Küche der Bayern liegt mir leider nicht so, aber umso besser, dass ich mich dieses Jahr über ein vergrößertes Angebot für Vegetarier*innen und Veganer*innen freuen durfte! Go progressive Wiesn!

Zelt-Geschichten

Kommen wir zum Zelt-Talk. Ein großes Hin- und Her zwischen Liebe und Hass. Man kommt an, wühlt sich durch die Menschenmengen an den Eingängen und steht endlich drin. Was habe ich mir dabei gedacht? Überforderung. Die Menschenmassen, die Musik, das Gegröle: Enorme Reizüberflutung! Da brauche ich erstmal einen Moment, um mich an die Angelegenheit zu gewöhnen. Nüchtern durch die Gänge laufend weiche ich den betrunkenen Torklern aus, betend, dass mir nicht gleich in den Ausschnitt erbrochen wird. Definitiver Hassmoment. Nach der (mal entspannten, mal anstrengenden) Tischsuche sitze ich endlich und greife erstmal zum Menü. Die Augen fallen mir aus dem Kopf, aber bin ich mal ehrlich, zahlen werd’ ich es sowieso. Dafür werde ich für den tiefen Griff ins Portemonnaie mit einer großen, kühlen Maß belohnt. Hach, ich liebe das leckere Münchner Bier.

How to Tisch jagen

Der Anstich-Tag gehört zu meinen Lieblings- und Hass-Wiesntagen. Die gute Stimmung, die Vorfreude und der Trachten- und Schützenfestzug mit den Riesen-Pferden, die mit ihren hübschen Accessoires klimpern und rascheln. Doch das ganze kann auch ziemlich anstrengend sein. Keep reading, dann wisst ihr wieso.

Hat man den Wunsch, am ersten Samstag in ein Zelt zu gehen, muss man darauf auch wirklich wirklich Lust haben. Hier bedarf es an Schnelligkeit und Geduld. Ewig lange Schlangen bilden sich bereits ab 5 Uhr morgens an den Eingängen oberhalb der Zeltstraße, alle in der Hoffnung, einen möglichst guten Tisch in deren Wunschzelt zu ergattern: Stichwort Geduld. Um 9 Uhr werden die Absperrungen sowie die Zelte geöffnet und dann heißt es: Lauf! Stichwort Schnelligkeit. Je weiter vorne man steht und je schneller man rennt, desto besser ist dein Tisch und desto höher die Chance, überhaupt einen zu bekommen. Dementsprechend erwartet die Wiesn-Wirte in den Zelten am ersten Wiesn-Morgen eine um-ihr-Leben-rennende Menschentraube.

Rundum ein sehr amüsantes Phänomen, aber nachdem ich das einmal mitgemacht hatte, musste es auch echt nicht nochmal sein. Es ist (meistens) viel zu kalt, müde ist man auch den ganzen Tag und das erste Bier steht erst viele Stunden später vor meiner Nase… Generell kann die Tischplatz-Suche recht kräftezehrend sein. An sehr schlechten Tagen habe ich mich schonmal zwei Stunden dumm und dämlich gesucht mit dem Gedanken “Ich hasse die Wiesn.”

Trotz Allem, das Schönste am Zeltbesuch ist – mit großem Abstand – die ausgelassene Stimmung. Alle Welt ist glücklich, alle (beziehungsweise die meisten) haben sich lieb und alle Welt singt! Was eine Stimmung! An Tagen wie diesen, wünsch’ ich mir Unendlichkeit!

Laut, messy, viel zu groß. Das Oktoberfest hat viele Hater, viele Lover. Großteil der Münchner*innen sind wohl beides. Ein Jahr noch, dann schauen wir wieder auf den Hügel hinter der Zeltstraße, wo man erkennen kann, dass manche das Oktoberfestbier etwas unter- und sich selbst überschätzt haben. Aber jetzt verstauen wir erstmal wieder unsere Tracht im Schrank und erholen uns körperlich.

No Comments

Post A Comment

Simple Share Buttons
Simple Share Buttons