Kultur, Nach(t)kritik

Ein ganz gewöhnlicher Auserwählter

Annette Walter
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Zur Mittagsstunde

Es ist eine der grauenhaftesten Erfahrungen, die man sich vorstellen kann: Zeuge eines Amoklaufs zu sein. Doch genau das ist John Smith, dem Anti-Helden von Neil LaButes “Zur Mittagsstunde”, passiert.

John Smith (Norman Hacker) ist kein sympathischer Typ, nein. Die Ehe mit Ginger (Katrin Röver) ging daneben, er hat sie betrogen und schlecht behandelt. Mit seiner Tochter versteht er sich auch nicht besonders. Sein Leben ist ein Desaster, bis zu dem Tag, an dem  Smith als einziger einen Amoklauf seines unbeliebten Bürokollegens überlebt. Von diesem Zeitpunkt an ändert sich für Smith alles.

Der amerikanische Filmregisseur und Dramatiker Neil LaBute befasst sich in seinem Stück “Zur Mittagsstunde” mit einer hochbrisanten Thematik: einem Amoklauf und seinen Folgen. Das Stück stellt essentielle Fragen des Lebens: Warum leben wir? Warum werden Menschen getötet, warum werden andere verschont? Gibt es Schicksal, gibt es Gott? Für seinen Helden John Smith ist die Existenz von Gott die Antwort auf diese Frage. Er wurde gerettet, weil Gott ihn auserwählt hat, seine Botschaft zu verbreiten.

Wilfried Minks’ Inszenierung ist dezent, zurückhaltend und konventionell. Auf Extravaganzen verzichtet er. Er setzt ganz allein auf die Macht der Dialoge, denn ein Großteil der Ereignisse, die für das Personal des Stückes prägend ist, ereignet sich bereits vor der Spielhandlung. Durch die Darstellung des Ensembles, allen voran Norman Hacker als John Smith, wird das Erzählte anschaulich und bewegend. Ein Stück, das gerade in Anbetracht des Prozesses gegen Anders Breivik in Oslo nachdenklich macht.

Residenztheater, 5. und 27. Mai, 11. Juni 2012, jeweils 20.00 Uhr

Foto: Norman Hacker als John Smith,Katrin Röver als Ginger;  Copyright: Hans Jörg Michel

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