Kultur

Monotonie als Befreiung

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Selten haben sich die Hallen im Haus der Kunst so weit und zugleich so beengend angefühlt. Dort ist gerade die Fotoausstellung Grau als Farbe von Michael Schmid zu sehen. Brillant, nüchtern, eindringlich.

In Grau als Farbe misst kaum ein Bild mehr als Plakatgrösse. Noch dazu sind Michael Schmidts Fotografien alles andere als geeignet zum daran Vorbeiflanieren. Der Ausstellungsbesuch besteht aus langen Wegen von Exponat zu Exponat und dazwischen beinahe Kontaktaufnahme zwischen Besuchernasen und Hallenwänden.

Mit vierhundert Originalfotografien aus fünf Jahrzehnten ist Grau als Farbe Michael Schmidts bisher größte Einzelausstellung. Der Berliner Fotograf gilt als einer der international bekanntesten zeitgenössischen Fotografen aus Deutschland, vor allem seit 1996 seine Fotoreihe Ein-heit im berühmten New Yorker Museum of Modern Art präsentiert wurde.

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Zwei Themen dominieren Michael Schmidts Werk: der urbane Raum und Porträts. Allerdings handelt es sich trotz der Fülle an unterschiedlichen Bildern keineswegs um einen Überblick aller möglichen Aspekte von Stadtszenerien und deren Bewohnern. Ganz im Gegenteil: Schmidt entfaltet einen nüchternen Blick auf scheinbar banale und unauffällige Elemente der Alltagswelt: leblose Plattenbauten, Wellblechwände, Baumstämme vor Betonfassaden, phantasielose Spielplätze.

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Ähnlich verhält es sich mit seinen Porträtfotografien: Schmidt interessiert sich nicht für eine funkelnde Inszenierung  hübscher Gesichter. Die 1997-99 entstandene Serie „Frauen“, die auch auf der diesjährigen Berliner Biennale zu sehen sein wird, stellt den Betrachter einem Bilderteppich teils bekleideter, teils nackter weiblicher Körper gegenüber. Freundinnen von Freunden standen dem Fotografen Modell und liefern sich und ihre vermeintliche Normalität dem Fokus der Kamera aus. Einige Frauen nehmen schützende Posen ein: sie verschränken ihre Arme vor der Brust, manche wenden sich ab, andere zeigen der Kamera nur ihren Hinterkopf.

Eine weitere bemerkenswerte Serie besteht aus zahlreichen Doppelporträts, die in den 1970er Jahren entstanden sind. Sie zeigen deutsche Durchschnittsbürger in ihrem privaten Umfeld und an ihrem Arbeitsplatz. Bemerkenswert an dieser Reihe ist, wie auch hier die Porträtierten zu immer ähnlichen Posen Zuflucht nehmen: meist starren sie angespannt in die Kamera.

Eine klaustrophobische Leere drängt sich dem Betrachter auf: Grau in Grau, die Tristesse deutscher Betonsiedlungen, immer wieder horizontlose Bildräume. Noch dazu hängen die Fotografien häufig sehr eng nebeneinander an den dadurch noch riesiger wirkenden Hallenwänden. Auf die akkurate Hängung der Bilder legte der Künstler besonderen Wert: „Ich arrangiere nicht, ich komponiere, weil die einzelnen Bilder erst durch die Komposition eine Verdichtung zu einem Gesamtkunstwerk erfahren.“

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Zugegebenermaßen erfordert Grau als Farbe eine gewisse Bereitschaft zur Absage an Wahrnehmungsvorlieben. Michael Schmidts Fotografien stellen mit ihren scheinbar banalen Motiven die Banalität gängiger Erwartungshaltung an Fotos in Frage: das Besondere, das Überraschende, das Aufsehenerregende, den Effekt lehnt der Künstler ab. Grau fungiert nicht einfach nur als langweiliges Gegenteil von Farbig. Die vermeintlich monotonen Bilder erfahren eine hohe Eindringlichkeit gerade durch ihre dokumentarische Nüchternheit. Der Betrachter erlebt eine fotografische Hommage an die Normalität. Die Fotografien sind eine Befreiung von standardisierten Schönheitsidealen in Hochglanzmagazinen und Fernsehwerbungen, eine Absage ans zwanghafte Suchen nach ausgefallenen und attraktiven Fotomotiven.

Die Brillianz von Michael Schmidts Werk besteht nicht zuletzt darin, dass seine Fotografien beim Betrachter ein Gefühl nüchterner Eindringlichkeit hinterlassen: das erstaunlichste ist, dass er dafür weder Ornamente, noch Specialeffects braucht, sondern lediglich Klarheit.

Michael Schmidt: Grau als Farbe. Bis 22. August im Haus der Kunst, Prinzregentenstr. 1, München. Mo-So 10.00 bis 20.00 Uhr, Do bis 22.00 Uhr. Info: hausderkunst.de

Fotos:

Michael Schmidt
o. T., aus Berlin Wedding, 1976-78

© Michael Schmidt
Courtesy Galerie Nordenhake

Michael Schmidt
o. T., aus Ihme-Zentrum, Hannover 1997-98

© Michael Schmidt
Courtesy Galerie Nordenhake

Michael Schmidt
o. T., aus Porträt, 1983

© Michael Schmidt
Courtesy Galerie Nordenhake

Michael Schmidt
o. T., 1965-67

© Michael Schmidt
Courtesy Galerie Nordenhake

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