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“Aahhh” – ein Penthouse für München
Im Werksviertel finden in der vierten Etage des Werk 12 seit ein paar Wochen regelmäßig Partys statt. Wer feiert dort oben über den Dächern der Stadt?
Ein händchenhaltendes Paar läuft über den Platz. Er zeigt mit dem Finger auf die Dachterrasse, die sich einmal um das gläserne Gebäude spannt. Sie folgt seiner ausgestreckten Hand mit ihrem Blick. Dort oben, im höchsten Stockwerk, stehen Menschen in kleinen Grüppchen zusammen. Daunenjacken, kurze Röcke, nackte Frauenbeine. Ein Typ in weißem Hemd läuft zum Geländer, schaut herunter auf den betonierten Platz. Die Dämmerung senkt sich zwischen die Gebäude. Auf dem Platz unten stehen ein paar Container, aus einer Bar tönt „Waka Waka“ von Shakira.
Es ist kurz nach sieben an einem Donnerstagabend im April im Werksviertel, nur eine Minute entfernt vom Ostbahnhof. Feierabendstimmung. Ab Ende der 90er-Jahre bis vor sechs Jahren war hier das Szeneviertel Münchens. Hier wurde gefeiert und gelebt. 2016 wurde die Feiermeile im Rahmen der Stadtentwicklung geschlossen und innerhalb eines Jahres weitestgehend abgerissen. Seitdem wird neu gebaut: Das „Werksviertel“ entsteht. Die Stadt nennt es auf der Website ein „ein außergewöhnliches Zukunftsquartier“. Bars, Fitnessstudios und Restaurants säumen den Platz. Tiefe Gruben dort, wo noch weitere Gebäude emporwachsen sollen. Ein Kran ragt in die Luft, in der Dunkelheit hängt an seinem Arm ein großes Fenster, wie vergessen.
Sämtliche Bauwerke auf dem Gelände tragen Nummern: Der gläserne Kasten mit den Großbuchstaben die 12. Es steht in der Mitte des Platzes, an der Außenfassade hängen die Ausrufe „PUH“, „OH“ und „AAHHH“. Das Werk 12 wurde von dem Architekturbüro MVRDV mit Sitz in Rotterdam entworfen. Im vergangenen Jahr hat MVRDV für dieses Gebäude einen der renommiertesten Architekturpreise in Deutschland gewonnen. Mittlerweile ist es so dunkel, dass die Beleuchtung anspringt. Von weit weg ist nun das weiße „AAHHH“ am vierten Stock zu lesen.
Seit ein paar Wochen stehen dort oben regelmäßig Grüppchen mit Aperol Spritz in den Händen. Und die Menschen unten auf dem Platz schauen hoch und fragen sich: Was machen die da?
„Wir hatten einfach Bock auf ein Penthouse“, erklärt Konstantin Irnsperger am Telefon. Er ist einer der beiden Mieter der vierten Etage. Ich rufe ihn an, um zu verstehen, was hinter „Aahhh“ steckt. Gemeinsam mit Markus Sutor habe er schon vor über zehn Jahren die Vision gehabt, ein Penthouse in München zu mieten. Sie hätten sich also auf die Suche nach einem passenden Objekt gemacht.
Penthouse wurde ursprünglich als Bezeichnung für ein freistehendes Wohngebäude auf dem Dach eines mehrgeschossigen Hauses genutzt. Heute beschreibt man damit gemeinhin die oberste Etage eines mehrstöckigen Gebäudes. Noch immer steht es für Luxus, Reichtum, Dekadenz – und Ausblick. Es ist üblicherweise von einer Dachterrasse umgeben und besonders exklusiv ausgestattet.
2020 wurden Irnsperger und Sutor fündig: Sie mieteten die vierte Etage des Werk 12 vom Werksviertel. „Für viele Jahre“ sagt Irnsperger. Seither bezeichnen sie sich als Vermieter der Wohnung. Ihre Devise war: „Es soll immer was los sein und das rund um die Uhr.“ Dann aber legte Corona das private und öffentliche Leben lahm. Als es 2021 wieder möglich war, hat der Sternekoch Tohru Nakamura für einige Monate ein Pop-up-Restaurant in den Räumen geführt. Im Sommer 2021 war der Ausbau der Etage fertiggestellt: Er habe eine „siebenstellige Summe“ gekostet. Die genaue Zahl will Irnsperger nicht nennen.
Seit März 2022 ist endlich etwas los
Der Fahrstuhl außerhalb des Gebäudes fährt hoch. Am Eingang von „Aahhh“ ein kahler, dunkler Raum, links die Garderobe. Durch eine Glasscheibenfront ist die Bar zu erkennen, dahinter entkorken Barkeeper Weinflaschen, Gäste unterhalten sich. Es könnte ein Club in Berlin sein. Einziger Unterschied: Die Handykameras werden nicht abgeklebt.
Das Konzept ist schwer zu fassen. Auf der Website steht „social hub“. Sie wollten „eine große Wohnung mit viel Potenzial“, sagt er. Seit November 2021 vermieten sie die Wohnung in der vierten Etage an einen Mieter, der dort lebt. Irnsperger nennt ihn konsequent „Bewohner“. Er wohnt dort unter besonderen Bedingungen: Wenn er tagsüber arbeitet und nicht zuhause ist, co-worken andere Menschen in seinem Zuhause. Findet eine Party wie heute Abend statt, muss er sein Zuhause mit den Partywütigen teilen. Werden die Räumlichkeiten für eine Konferenz an eine Firma vermietet, muss er draußen bleiben. So sei es im Vertrag vereinbart, sagt Irnsperger. Ab Juni soll das Penthouse auch als „Hotel“ genutzt werden. Das Konzept: „Wenn jemand keine Lust hat auf die Suite in Vier Jahreszeiten hat, kann er bei uns lauter sein“, sagt Irnsperger. Der Preis für eine Nacht wird im vierstelligen Bereich liegen.
Ein Besuch bei “Aahhh”
An der Eingangstür treffe ich Felix Köster. Er trägt Schnurbart und Ziegenbärtchen, weißes Hemd und Weste. Er raucht E-Zigarette. Er sei für die Verwaltung zuständig, sagt er.
„Also eine Art Hausmeister?“, frage ich.
„Luxus-Hausmeister“, sagt er und grinst.
Der Luxus-Hausmeister Köster gibt eine Führung durch das Penthouse. Er zeigt auf die Bar, die eine sehr große Kücheninsel ist. Die Kellner sind jung und schön und gut angezogen, tragen beige Hosen und lockere Hemden. Eine Kellnerin in weißem Kleid flattert durch den Raum. In der Mitte der Kücheninsel schwenkt der Koch Pasta in einem großen Parmesanlaib und füllt kleine Portionen in umfunktionierte Wassergläser. Wir gehen eine Treppe hinauf, an deren Ende wartet der Co-working-space: ein langer dunkler Tisch mit ein paar Stühlen. Ein Raum weiter befindet sich der „Kinoraum“, ausstaffiert mit orangenen Designer-Sesseln. In alle Blickrichtungen Metall, Beton oder Glas. Am Ende des Ganges steht das DJ-Pult. Zwei Männer bewegen sich zu den gängigen Elektro-Beats, die auf die Tanzenden herunterdröhnen.
Was hier heute Abend passiert sei weder „Event“ noch „Veranstaltung“, sagt Irnsperger.
„Was dann?“, frage ich.
„Ein Happening“, antwortet Irnsperger.
Eine große Hausparty
Eigentlich ist es eine Hausparty: eine mit einer Gästeliste, auf der 400 Menschen stehen. Laut Behörden ist das „Aahhh“ ein „Betrieb einer Bar mit regelmäßigen Musikdarbietungen“. Für Irnsperger ist es aber keine Bar. Seit ein paar Wochen veranstaltet „Pulse Munich“ an Donnerstagen ein Happening namens „Aperitivo“: Von 16 Uhr bis 23 Uhr legt ein DJ auf, es wird getrunken und gegessen. Samstags findet das „Dinner“ statt, sonntags ein Brunch. Unter der Woche kann man sich für das Co-working anmelden.
Wir laufen vorbei an einer verschlossenen Tür. „Hier wohnt John“, sagt Köster. John ist der „Bewohner“. Es geht eine Treppe herunter, laute klatschende Geräusche dringen durch die Tür. Köster öffnet sie: Zwei junge Männer in weißen Hemden werfen sich mit einem großen Gummiball ab, lassen ihn an ihren Oberkörpern abprallen wie von einem Trampolin. An der Wand hängt ein Basketballkorb. Der Ball fliegt durch die Luft, trifft beinah zwei Bilderrahmen an der Wand. „Es reicht“, ruft Köster, schnappt den Ball aus den Händen der jungen Männer und versteckt ihn hinter einer Tür. Ihre Schultern hängen kurz, dann ziehen sie ab.
„Es kann nicht jeder reinlaufen, wie er lustig ist“, sagt Irnsperger am Telefon.
„Was verbindet die Menschen hier?“, frage ich.
„Das Mindset.“
„Welches Mindset?“
„Menschen, die Bock auf Interaktion haben.“
Ein exquisiter Kreis
Wenn es nach Irnsperger geht, soll sich der Kreis der Menschen, die diesen Ort kennen, „organisch“ erweitern. Auf Instagram muss man den Account von „Aahhh“ anfragen, bevor man ihm folgen kann. Dort steht: “If your follow request is accepted: welcome 🤗🥂“. Für die Website benötig man ein Passwort, dies wird in den Stories des Accounts angezeigt. „Mehr als ein kurzer Scan ist da nicht drin“, sagt Irnsperger über die Follow-Anfrage auf Instagram. Auf der Website kann man sich auf die Gästeliste für das Co-working und die „Happenings“ setzen.
Wird die Anfrage akzeptiert, erhascht man in den Stories, in denen „Aahhh“ verlinkt wird, einen Blick auf die Abendsonne, die auf die Dachterrasse scheint. Auf Männer in lockeren Hemden und mit teuren Uhren, die vom einen auf das andere Bein wippen. Auf Frauen in kurzen Kleidern und hohen Schuhen, die für die Kamera posieren. Auf Aperol Spritz und Weinschorle. Und auf Jungs, die Gummibälle durch die Luft schmeißen.
Köster gibt Bier aus. Wir unterhalten uns über seine Schwester, die mit einer Freundin mit Dreadlocks auf der Dachterrasse stand und sich fehl am Platz fühlte. Köster sagt: „Hier soll sich jeder wohlfühlen.“ Einer der Security-Männer, braungebrannt und mit klebrig-gegelten Haaren, tritt heran, möchte Köster jemanden vorstellen. Köster blickt entschuldigend in die Runde und geht Händeschütteln.
Zwei Frauen in kurzen Kleidern spitzen ihre Münder neben der Bar. Ein Mann drückt den Auslöser, einmal, zweimal. Nochmal. Durch die Glasfront blickt man über München. In der Dunkelheit leuchten Lichter, Silhouetten des Krans und der Hochhäuser sind zu erkennen. Kein Nachbarhaus wird höher als das Werk 12 gebaut, erzählt Luxus-Hausmeister Köster. Die Gästeliste würde mit jedem Donnerstag voller. Um kurz nach 23 Uhr steige ich in den Fahrstuhl und fahre wieder herunter.