Aktuell, Leben, Stadt
Warum tut ihr das? Mit dem Sexshopkollektiv “Consent Calling”
Was ist Consent Calling und wofür steht der Begriff?
Consent Calling ist die Vision von einem Raum, in dem Sexualität im Zentrum steht ohne die üblichen Umwege über Scham und (Cis- und Hetero-)Normativität. Wir wollen die eigene Lust in den Fokus setzen und es Menschen ermöglichen, ihre Sexualität individuell und frei zu erforschen. Gleichzeitig wollen wir aufzeigen, wie eng Sex(ualität) mit herrschenden Machtstrukturen verstrickt ist (darunter sexistische Geschlechterrollen oder kapitalistisches Leistungsdenken) und diese aktiv bekämpfen.
Consent Calling ist dabei die Anspielung darauf, dass Sexualität nur dann wirklich selbstbestimmt ausgelebt werden kann, wenn dies auf der Basis von Konsens passiert. Konsens wiederum setzt auf die radikale Achtsamkeit gegenüber den eigenen Bedürfnissen sowie denen von Partner*innen.
Wann und wie seid ihr darauf gekommen, einen feministischen Sexshop zu gründen?
Der Gedanke, dass Sexualität eigentlich mehr Austausch bedarf und dass das damit verbundene Lernen eigentlich nie aufhört, hat bei uns Allen schon eine lange Weile im Kopf rumgespukt. Anfang 2021 kam dann die Idee auf, dieses Lernen mit Aktivismus und Sexpositivität in einem Sexshop zu vereinen – dabei ist Sexshop ein viel zu enges Wort. Der Shop ist natürlich Teil unseres Projektes und eine wichtigste Säule. Ganz zentral sind aber genauso Bildungsarbeit und politischer Aktivismus. Neben Beratung und Verkauf wollen wir Workshops, Themenabende und andere Veranstaltungen anbieten, die den Austausch und das Lernen fördern sollen. Genau das also, was wir im letzten Jahr bereits aktiv versucht haben umzusetzen – durch Reden auf Demonstrationen, durch Workshops in Kooperation mit anderen Initiativen, sowie durch unsere eigene konstante Weiterbildung. Einen Shop zu eröffnen ist also ein nächster Schritt von vielen, den wir mit unserer Crowdfunding Kampagne hoffen endlich gehen zu können.
Im Internet gibt es bereits enorm viele Anbieter für Sexspielzeug. Warum noch ein Shop mehr?
Gerade im Vergleich zu Internet-Shops bietet ein Laden vor Ort natürlich ganz andere, vielfältige Möglichkeiten. Man kann die Toys in die Hand nehmen, Material und Vibration austesten. Bei Sextoys spielt es natürlich eine besonders große Rolle wie sich etwas anfühlt. Außerdem wollen wir im Shop persönliche und ehrliche (also auch nicht auf Profit ausgerichtete) Beratung anbieten. Auch die gibt es nicht in der Form im Onlineshop. Gleichzeitig setzen wir das alles in einem feministischen und bildungspolitischen Rahmen um.
Für richtig guten Sex braucht man doch kein Sexspielzeug. Oder?
Fangfrage! Für guten Sex braucht man vor allem Kommunikation, Konsens und Akzeptanz. Wenn ich Angst haben muss, mich für etwas zu schämen, Erwartungen nicht zu genügen, Grenzen zu verletzen oder auch dass meine Grenzen verletzt werden, dann werde ich mich weniger trauen Dinge auszuprobieren, mich auf Neues einzulassen oder meine Wünsche zu äußern. Das sind alles Dinge, die richtig guten Sex begünstigen (aber nicht garantieren!) können.
Ob ich dabei aber Sextoys benutzen will (beim Solosex oder beim Sex mit anderen) kann ich völlig frei selbst entscheiden und brauche ich mir nicht von Consent Calling sagen zu lassen… Wir sind nur der Meinung, dass sie das Sexleben enorm bereichern können. Und leider sind bodysafe, nachhaltige und genderneutrale Sexspielzeuge immer noch Mangelware.
Was unterscheidet euch von bestehenden Sexshops?
Puh wo fangen wir da an…? Ganz zentral wohl unser emanzipatorischer Ansatz und unser Bildungsanspruch. Wir wollen nicht einfach Produkte verkaufen, sondern Menschen helfen, sich mit ihrer Sexualität zu befassen, Muster und Handlungsweisen zu hinterfragen, sie in einen Kontext von gesellschaftlichen Machtstrukturen zu setzen und dazu beitragen, neue Handlungsansätze zu lernen, die nach individuellen Bedürfnissen, Fantasien und Begehren ausgerichtet sind. Das beinhaltet eben neben dem Toyverkauf und der persönlichen Beratung auch Bildungsangebote (Lesekreise, Seminare, Vorträge), Austauschstrukturen (Themenabende, Gruppentreffs) und politischen Aktivismus.
Und trotzdem wollen wir uns auch nicht als “besser” darstellen, sondern als queere und emanzipatorische Alternative. Wir haben einfach eine andere Herangehensweise, legen Wert auf andere Dinge und das ist auch gut so. Denn so unterschiedlich Sex sein kann, so unterschiedliche Orte braucht es.
Warum hier in München?
Wir leben alle hier (unsere Sexualität aus) und denken oft, dass es gerade in dieser meist konservativen Stadt eine Leerstelle gibt, die wir füllen wollen.
In welchem Viertel würdet ihr am Liebsten euren Shop eröffnen?
Ein spezielles Viertel haben wir nicht im Kopf. Aber es ist uns wichtig, einen Ort zu finden, der gut erreichbar ist. In unserer Idealvorstellung laufen viele Menschen vorbei, die aus Neugier in den Laden kommen und sich dort willkommen fühlen. Dadurch erreichen wir auch die Menschen, für die unser Zugang zu Sexualität vielleicht neu ist. Unser gesamter Ansatz soll niedrigschwellig sein und das fängt ganz einfach schon bei örtlicher Erreichbarkeit an.
Wen wollt ihr erreichen?
In unserer Idealvorstellung? Alle Menschen!
Realistisch gesehen? Alle Menschen, die Interesse daran haben, sich auf unterschiedlichen Ebenen mit Sexualität (der eigenen, sowie der Form in der sie gesellschaftlich verhandelt wird) zu beschäftigen. Deshalb wollen wir uns nicht speziell an Menschen eines bestimmten Geschlechts, einer sexuellen Orientierung oder eines bestimmten Alters richten. Bei uns sind alle willkommen, unabhängig von Vorlieben und Vorwissen.
Ihr wollt ein antikapitalistischer Shop sein – ist das nicht ein Widerspruch in sich?
Gute Frage! Antikapitalistisch zu sein heißt für uns in erster Linie kapitalistische Grundprinzipien wie Effizienz, Wettbewerbs- und Profitlogiken zu hinterfragen und unsere Kritik daran auf Consent Calling anzuwenden. Wir wollen uns zwar langfristig gerne was auszahlen lassen, aber das heißt nicht, dass unser Projekt auf Profit ausgerichtet ist. Trotz unserer Kritik und dem Wunsch Produkte/Workshops möglichst günstig anzubieten sind wir natürlich auch kapitalistischen Zwängen unterworfen. Und das ganze Projekt neben der Lohnarbeit zu stemmen ist schon jetzt extrem anspruchsvoll!
Doch durch die Verschränkung von Patriarchat und Kapitalismus ergeben sich Widersprüche, die teils unausweichlich sind und die wir aushalten müssen. Deshalb versuchen wir aber als Kollektiv eine solidarische, hierarchiefreie und achtsame Arbeitsstruktur zu entwickeln und unsere Inhalte, statt kommerziellen Erfolg, in den Vordergrund zu stellen.
Was sind eure Ziele für dieses Jahr?
Als Erstes hoffen wir natürlich, dass wir erfolgreich durch unsere Crowdfunding Kampagne kommen. Je nachdem was wir dadurch für Unterstützung bekommen, ergeben sich die nächsten Schritte. Entweder werden wir auf Raumsuche gehen, einen Shop eröffnen und Workshops in unseren eigenen Räumen durchführen. Oder wir werden auf Pop-up-Lösungen zurückgreifen und weiterhin unsere Bildungsangebote in Kooperation mit anderen Projekten (und Orten) durchführen. Politischer Aktivismus wird auf jeden Fall Teil davon sein!
Wie kann man euch erreichen?
Am Einfachsten über Instagram (@consentcalling), per Mail (info@consentcalling.de), oder auf www.consentcalling.de. Zum Crowdfunding des Kollektivs geht es hier!
Beitragsbild: © Hanna Hocker