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Brauchen wir Grenzen? Am Samstag startet die Ausstellung ?WHY|BORDERS-Ausstellung im Bahnwärter Thiel

Zwei Wochen lang zeigt das Kollektiv AK49 gemeinsam mit dem Bellevue di Monaco auf dem Gelände des Bahnwärter Thiels Werke geflüchteter Menschen, die dadurch ihre Sicht auf die europäische Grenzpolitik darstellen.

Am Samstag, den 4.6., startet die Ausstellung um 18 Uhr mit einer Vernissage. Am Samstag, den 11.6., wird im Bellevue di Monaco gemeinsam über offene Grenzen diskutiert. Am Montag, den 13.6., wird ein Dokumentarfilm gezeigt. Bis zum 18.6. ist die Ausstellung geöffnet – der Eintritt ist frei.

Das Kollektiv möchte geographische Grenzen in den Blickpunkt rücken – sodass beim Thema nicht länger weggeschaut werden kann. Die drängende Frage, die normalerweise im Hintergrund lauert, wird dieser Ausstellung auf die Bildfläche gezerrt. Sie lautet: Warum gibt es eigentlich Grenzen?

Ein Banner mit der Aufschrift “Why?”, aufgenommen auf Lesbos. © Arash Hampay

Weitere Fragen, die mit der Ausstellung aufgeworfen werden und zum weiterdenken anregen, sind:

  • Welcher Logik, welchen Interessen folgen die Grenzen; wer wird ein-, wer soll ausgegrenzt werden?
  • Wie (un)erträglich ist es, gewalttätigen Übergriffen von Sicherheitskräften zuzusehen?
  • Wie verträgt sich das mit den Werten der Europäischen Union und ihrer Mitgliedstaaten?

Wir haben mit Hanna Hocker über die Ausstellung gesprochen. Sie ist Mitglied des Kollektivs “AK49” und hat ?WHY|BORDERS gemeinsam mit Aarti Lüdcke und der gesamten Gruppe organisiert.

Hi Hanna, Warum sollte ich eure Ausstellung besuchen?

Wir müssen uns bewusst werden, dass wir alle unterschiedliche Perspektiven auf Grenzen haben. Während die meisten Menschen hierzulande, zumindest junge Menschen mit deutschem Pass und ohne Be*hinderung, erst seit der Corona-Pandemie Grenzen als Einschränkung erlebt haben, sind sie für die meisten Menschen auf der Welt tägliche Realität. Sei es als Einschränkung der Bewegungsfreiheit, die lebensgefährlich werden kann, oder als vermeintliche Absicherung der nationalen Souveränität. Klar ist, sie bestimmen unsere Identität und haben große Auswirkungen auf unser aller Leben. Und genau deswegen ist es wichtig sie regelmäßig kritisch zu hinterfragen, denn nur so kann ihre Legitimität gewährleistet werden. 

Was finde ich in der Ausstellung?

Die Ausstellung zeigt verschiedene Perspektiven und Auseinandersetzungen mit Grenzen. Durch die unterschiedlichen Kunstrichtungen, wie Fotografie, Malerei und Poesie sowie der unterschiedlichen Grenzerfahrungen der Künstler*innen haben wir ein breites Spektrum kuratiert. Bisher waren vor allem Künstler*innen aus dem nahen Osten und Nordafrika ein Teil von ?Why|Borders. Wir wollten noch die aktuelle ukrainische Perspektive mit reinbringen und sind sehr froh, zwei tolle ukrainische Künstlerinnen dafür gewonnen zu haben. 

Auch die Besucher*innen sind zum Mitmachen eingeladen. Mit interaktiven Elementen im Ausstellungszelt bieten wir jedem*jeder die Möglichkeit, sich eigene Gedanken über ihre Perspektive auf Grenzen zu machen.

Du hast mir Bilder von Kritzeleien an Wänden in heruntergekommenen Häusern gezeigt. Die sind auf den ersten Blick wenig spektakulär. Was ist die Geschichte dahinter?

Der AK49 hat sich in den letzten Jahren stark in Bosnien an der EU-Grenze zu Kroatien engagiert. Da die Bedingungen in den Lagern wirklich Horror sind, schlafen viele Menschen in sogenannten Squads, das sind Ruinenhäuser. Dort werden sie notdürftig von NGOs versorgt. Mitunter sind das riesige leerstehende Fabrikhallen voller Müll, in denen ganze Familien leben. Ich war im März dort und mich haben die Wandbilder sehr berührt. Denn diese Menschen sind unsichtbar, keiner weiß es oder macht etwas dagegen, zumindest gefühlt. Die Wandbilder waren für mich ein Zeichen, dass alle Menschen sich verewigen möchten, das Bedürfnis haben etwas zu hinterlassen und gesehen zu werden. Das haben wir alle in uns. Ich habe dann Bilder von den Wänden gemacht und manche dieser Bilder stellen wir auf der Infowand aus.

Eines der Häuser in Bosnien. An der Wand steht „I love u Afghanistan“. © Hanna Hocker

Wer hat mitgearbeitet?

Die Ausstellung lebt von den Werken der Künstler*innen. Das Künstler*innen-Kollektiv wird von Menschen aus der Zivilgesellschaft unterstützt. Gemeinsam bilden sie die Gruppe ?Why|Borders und stellen die Ausstellung städteübergreifend Aktivist*innen zur Verfügung. In München haben wir, der AK49, ein politisches Kollektiv aus München, uns um die Organisation gekümmert.

Bei der Umsetzung werden wir unterstützt von dem Bellevue di Monaco, dem Bahnwärter Thiel sowie von unseren Freund*innen. Wir machen das alle ehrenamtlich und könnten es in dieser Größe nicht ohne die finanzielle Unterstützung des Kulturreferats Münchens stemmen.

Worum geht es dem Projekt? Um Kunst oder Politik oder beides?

Es geht um Beides: Kunst ist ein wichtiges Ausdrucksmittel um Erlebtes zu verarbeiten. Gibt es den Raum dafür, kann diese es schaffen, einen politischen Diskurs in der Gesellschaft anzustoßen. Diesen Raum wollen wir aufmachen.

Versucht die Ausstellung die Frage, warum es Grenzen gibt, ernsthaft zu beantworten oder geht es um die reine Infragestellung dieser?

Diese Frage ist zu groß, um sie vollständig beantworten zu können. Es gibt nicht die EINE Antwort, denn Grenzen sind etwas menschengemachtes und jede Haltung dazu ist individuell. Es geht darum, die eigenen Privilegien, die eigenen Grenzen, zu reflektieren und die Erfahrung anderer zu sehen.

Was sollte ich während den zwei Wochen Ausstellung auf keinen Fall verpassen?

Wir empfehlen allen zu unserer Vernissage am 4. Juni zu kommen, denn viele der Künstler*innen sind vor Ort. Zum Beispiel Parwana Amiri, eine junge afghanische Frau, die als Jugendliche in griechischen Lagern war und deren Texte “Letters to the world from Moria“ um die Welt gingen. Oder auch die ukrainischen Künstlerinnen, wie Anastasia Miroshnikova. Nachdem sie früher hauptsächlich märchenhafte Motive malte, hat sich ihre Kunst seit dem Angriffskrieg stark verändert.  

Nächsten Samstag, am 11. Juni, findet eine Paneldiskussion im Bellevue di Monaco statt. Neben Künstler*innen von ?Why|Borders nehmen Volker Heins, Politologe und Autor des Buchs “Offene Grenzen für Alle: eine notwendige Utopie“ sowie eine Aktivistin und Filmemacherin aus unserer Gruppe teil. Auch die besondere Grenzperspektive von Kurd*innen möchten wir hier mit einbringen. 

Außerdem findet am Montag, den 13.6., ein Open-Air-Kino bei der Alten Utting statt. Wir zeigen den tollen und preisgekrönten Dokumentarfilm “Shadow Games“. Auch der Film gibt jungen Menschen auf der Flucht eine Stimme und zeigt selbstgefilmtes Material von den europäischen Grenzübergängen. Das ist ein rares Gut, da den Geflüchteten während der Flucht oft die Handys zerstört werden. Somit zeigt der Film das, was oft unsichtbar bleibt.


In aller Kürze:

Was? Ausstellung ?WHY|BORDERS inkl. Open Air Kino und Paneldiskussion

Wo? Ausstellung: Bahnwärter Thiel Atelierpark, Tumblingerstraße 45, 80337 München. Open Air Kino: Alte Utting Lagerhausstraße 15, 81371 München. Paneldiskussion: Bellevue di Monaco, Müllerstraße 2-6, 80469 München

Wann? Ausstellung: Samstag, 4. Juni bis 18. Juni 2022. Paneldiskussion: 11. Juni, 19:00. Open Air Kino: 13. Juni, 20:30.


Bildcredits: © Arash Hampay

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