Stadt

Billig, praktisch, tödlich

Charlotte Radziwill
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Plastic Planet Supermarkt Foto

Plastik ist ungeheuer praktisch. Das schlimme: Es ist praktisch überall. Der Regisseur Werner Boote wirbt im City-Kino für eine kritische Auseinandersetzung mit dem Wundermittel unserer Zeit.

Life in plastic, it`s fantastic! heißt es in dem Lied Barbie Girl der Gruppe Aqua. Die dänisch-norwegische Musikgruppe löste sich 2001 für sechs Jahre auf. Bis sich Plastik zersetzt kann es bis zu 500 Jahre dauern. Seit 100 Jahren hält der Siegeszug von Plastik an. Seit 25.2. läuft der Film Plastic Planet auch in Deutschland. Drei Münchner Kinos zeigen die engagierte Dokumentation. Eine deutsche und eine noch ausführlichere österreichische Homepage bieten viele Zusatzmaterialien.

Laut Boote, der für den Film über zehn Jahre recherchiert hat, leben wir nach der Steinzeit, der Bronze- und der Eisenzeit heute im Plastikzeitalter. Der Kunststofflebensweg des modernen Menschen kann vom Babyschnuller bis zu den plastinierten Leichen Gunter von Hagens verlaufen. Plastic Planet nimmt den Zuschauer mit auf eine Reise um die Plastikwelt. Der Film zeigt, wie stark unser alltägliches Leben durch Kunststoffprodukte bestimmt wird. Nicht nur die Konsumenten sondern auch die Produzenten können häufig nicht mehr nachvollziehen, welche Inhalte die Produkte haben. In unterschiedlichem Maß gelangen Substanzen wie Weichmacher über den direkten Kontakt mit Plastik in unseren Körper. Studien, die das Filmteam in Auftrag gegeben hat und die der BUND finanziell unterstützt hat, haben belegt, dass bestimmte Schnuller, einen bedenklich hohen Wert von Bisphenol A enthalten. Diese Babyschnuller mussten daraufhin vom Markt genommen werden. Wie gefährlich Chemikalien wie Bisphenol A wirklich sind, die sich in Kunststoff finden, darüber gibt es unter Experten Streit.

Zu Beginn von Plastic Planet sehen wir den Wiener Regisseur als Kind. Klein Werner erfreut sich an den vielen bunten Plastikspielsachen, die sein Großvater ihm geschenkt hat. Bootes Großvater war in den 60er Jahren Geschäftsführer der Interplastik-Werke und einer der Wegbereiter des globalen Kunststoff-Siegeszugs. Am Ende legen Boote und seine Mutter Blumen am Grab des 1972 verstorbenen Plastikpioniers nieder. Flieder aus dem Garten, keine Plastikblumen. Zwischen diesen beiden Szenen werden Wissenschaftler, Lobbyisten, Umweltexperten und normale Familien zum Thema Plastik befragt. Denn Beginn macht ein Interview mit John Taylor von PlasticsEurope. Taylor ist der Präsident des europäischen Dachverbands der Plastikhersteller. 18 Monate musste Boote drängen, um diesen Gesprächstermin zu bekommen. Um einige negative Erfahrungen und Kenntnisse reicher versucht der Regisseur zu einem späteren Zeitpunkt ein erneutes Treffen mit Taylor zu arrangieren. Ohne Erfolg. Stattdessen schickt PlasticsEurope Werner Boote den Futurologen Ray Hammond nach Hause auf die Couch. Hammond spricht von den Verheißungen eines Lebens mit Plastik. Der Kunststoffindustrie und der Harmlosigkeit von Plastik sei zu vertrauen, blind. Müllkippen, Gewässer, Fabriken und weitere Gespräche des Films zeigen ein ganz anderes Bild. Animationen erklären die chemischen Reaktionen und die Verarbeitung von Plastik. Werner Boote sucht nach Antworten. Antworten auf Fragen, wo Plastik inzwischen überall ist, wer was über die Inhaltsstoffe weiß, wie gefährlich diese sind und was wir alles nicht genau wissen. Seine Person spielt dabei eine wichtige Rolle. Vergleiche mit Michael Moore lehnt der Regisseur ab. Boote zeigt nicht, wie die Welt funktioniert, vielmehr regt seine Dokumentation zum Nachdenken an. Mitunter auf sehr unterhaltsame Weise. Immer wieder werden Familien aus Europa, den USA, Japan und Indien gebeten, alles Plastik was sich in ihren Häusern befindet aufeinander zu stapeln. Die jeweilige Menge ist enorm.

Den Gebrauch von Plastiktüten und Plastikflaschen möglichst zu verringern ist ein Allgemeingut. Der Film macht die Dringlichkeit des Themas anschaulich. Plastikmüll und der permanente direkte Kontakt mit Plastik sei nicht nur ein Problem für unsere Umwelt, sondern auch für unsere Gesundheit. Die Dokumentation, die sich auch gut für den Schulunterricht eignet, kann als call to action film bezeichnet werden. Laut Produzent Thomas Bogner ist Plastic Planet ein Aufklärungsfilm und kein Film gegen die Industrie. Ziel ist nicht, Plastik gänzlich zu verbieten. Es ist dem Regisseur aber daran gelegen, nicht mehr so viel Plastikramsch zu kaufen und den Kunststoff besser und für den Verbraucher durchsichtiger zu machen. So wirbt Boote für eine Kennzeichnungspflicht, welche Stoffe in Plastik enthalten sind. Margot Wallström, die Vizepräsidentin der Europäischen Kommission, führt im Film weiter aus: „Die Produzenten sollten beweisen müssen, dass ihre Produkte nicht gefährlich sind.”

Plastic Planet Weltkugel

Foto: Der österreichische Umweltanalytiker Kurt Scheidl testet den aufblasbaren Globus, den Regisseur Werner Boote (rechts) im Film dabei hat, und findet in diesem Kinderspielzeug einen bedenklichen Giftmix.


Vermeidung fängt im Kleinen an. Nachdem sie den Film gesehen hatte beschloss die fünfköpfige Familie Krautwaschl/Rabensteiner aus der Nähe von Graz für eine Weile sowenig Plastikprodukte wie möglich zu kaufen. Über die österreichische Website des Films gelangt man auch zu dem Experiment Kein Heim für Plastik. Interessant sind die Diskussionen die sich im Tagebuchblog entspinnen. Hier findet ein Austausch statt über mögliche natürliche Alternativen zu Plastik, ferner gibt es Erfahrungsberichte mit den verschiedenen Alternativprodukten. Dass der Dokumentarfilm zu Diskussionen anregt zeigte auch das Publikumsgespräch mit Werner Boote am 28.2. im City Kino München. Der volle Kinosaal debattierte über Möglichkeiten den Plastikgebrauch einzuschränken und Forderungen an die Politik und die Industrie. Informationen über den Film und die Websites zum Film hinaus bietet das Buch zum Film.

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