Kultur, Nach(t)kritik

Brüllen, zertrümmern und weg!

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Eigentlich hatte sich die Punklegende Slime aus Hamburg schon im Jahre 1994 aufgelöst. Nach dem letzten Studioalbum “Schweineherbst” schien alles Relevante gesagt zu sein. Sämtliche Polizisten Deutschlands hatten vermutlich aufgeatmet. Zum 30. Bühnenjubiläum ist die Band wieder unterwegs.

Nicht ganz in Originalbesetzung, denn am Schlagzeug sitzt jetzt Alex Schwers von Eisenpimmel und Hass, den Bass hat sich Nici von den Bremer Ur-Punks Die Mimmi´s umgehängt.

Das Konzert im Backstage beginnt mit der Band Missbrauch. Auch schon alte Hasen auf der Bühne des Punks. Seit 18 Jahren sind die Münchner bereits in Bewegung und eröffnen entsprechend solide für die Hanseaten. Die Backstagehalle ist gut gefüllt, aber nicht ausverkauft. Vor der Bühne versammeln sich die jüngeren Fans. Viele Lederjacken mit Killernieten, Bondagehosen, Netzstrumpfhosen, Springerstiefeln.

Der hochgestellte Irokese scheint heutzutage leider nicht mehr ganz en vouge zu sein. Nur wenige Exemplare zeigen sich bei diesem Pflichttermin. Der hintere Bereich der Halle ist in der Hand des älteren Publikums. Bei Slime prallen schließlich die Generationen aufeinander. Vom Normalo im Poloshirt, über den Antifa-Studenten im Parka bis zum Ãœ50-Punk, der nochmal seine Crustpunk-Lederjacke mit “Crass”-Rückenbadge ausführt, warten alle gespannt auf den Konzertbeginn. Typisch München: Schlechtverkleidete Zivilpolizisten schleichen bewusst unauffällig durch die Reihen.

Diesen gilt gleich der erste Song: A.C.A.B. Vor der Bühne geht sofort der Punk ab: Pogo. Aber in seiner schönsten Variante: Kein Wrecking, keine ausgefahrenen Ellenbogen, kein Violent Dancing. Wie im Jugendzentrum, doch mit weitaus mehr Beteiligten. Von Anfang an knüppelt die Band einen Hit nach dem anderen: Legal, Illegal, Scheissegal, Hey Punk, Etikette tötet, Schweineherbst. Das Publikum gröhlt mit. Jeder Text ist bekannt. Die Fans lieben Slime noch immer.

Ein Groupie stürmt auf die Bühne und zeigt allen ihren nackten Busen. Sänger Dirk, der ein schwarzes St.-Pauli-Shirt zur kurzen Stoppelfrisur trägt, hält ihr das Mikro hin. Der barbusige Fan brüllt: “Ich liebe Slime seit vierzehn Jahren!”. Dann verschwindet sie wieder in der konvulsiv zuckenden Pogomasse. Bis zum Gassenhauer “Linke Spießer” ist die Band in Bestform, spielt druckvoll und sauber – voller Energie. Kein Vergleich zu den eher dünn produzierten Studioalben. Dann ebbt die Energie ein wenig ab, was weniger an der Band, als an der Auswahl der Setlist liegt.

Erst bei dem Kracher Polizei SA/SS, wo vor allem beim Refrain, jede Kehle ihren Unmut über das grüne Beamtentum in die Hallendecke brüllt, scheint der Knoten endgültig zu platzen. Bis zum letzten Song wird das Programm routiniert und voller Leidenschaft abgearbeitet. Rost haben die Grandseigneure des Politpunks nicht angesetzt. Der letzte Titel, der Tod ist ein Meister aus Deutschland, stimmt ein wenig melancholisch. Doch mit der Zugabe zeigen die Hamburger, wie sie den Spagat zwischen Polit-Punk und Saufpunk meistern.

Fronter Dirk erklärt dem Publikum, dass das Karlsquell Pils, das Kultdosenbier der Punks aus den Achtzigern, in Belgien und in Luxemburg noch bei Aldi erhältlich ist. Jeder Punk weiß, was er damit meint: Die Zugabe wird mit dem Song Karlsquell – der Hymne auf den Blechgenuss eingeleitet. Dann geht´s Schlag auf Schlag: Untergang, Deutschland muss sterben, Bullenschweine. Bei diesen Klassikern verausgabt sich die Menge noch einmal völlig und zeigt sich komplett textsicher. Die Stimmung kocht.

Doch die Band kennt ihr Gefolge. Mit dem letzten Song, dem 1,7-Promille-Blues, wird der Fuß vom Gaspedal genommen. In Heavyblues-Manier pogt sich das Publikum langsam aus. Der Refrain trifft beim Gros der Fans zu.

Anschließend schieben sie alle aus der glühend aufgeheizten Halle nach draußen, um sich bei Minusgraden und einer Zigarette auskühlen zu können. Allgemeiner Grundkonsens: Punk ist sicherlich nicht dead. Und Schleim über´s Haupt, wer das auch noch bezweifeln mag.

Bis zum 22. Januar 2011 sind Slime noch auf ihrer Jubliäumstour unterwegs. Tourdaten unter: www.slime.de

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