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Coney Island: Wo New York die Zeit anhält

Birgit Buchart

Wenn man an New York City denkt, hat man ein Meer aus Wolkenkratzern vor Augen und die tiefen Schluchten des Betondschungels von Manhattan. Man sieht blaue, gläserne Türme, die wie Wellen vor dem Horizont unser Blickfeld brechen. Die Wasser-Metaphern bleiben dabei aber stets Metaphern. Und obwohl die Stadt fast zur Gänze aus Inseln besteht – einzig der Stadtteil Bronx befindet sich am Festland – sind Sonne, Strand und Meer nicht gerade typische Charakteristika New Yorks.

Und ganz ehrlich, wozu auch? Strände gibt es auf diesem Planeten zur Genüge und der Sand ist an Millionen Orten der Welt feiner und das Wasser klarer. Alles, was diese Stadt so einzigartig macht, befindet sich zum einen an Land und hat zum anderen rein gar nichts mit Natur zu tun. Sie ist ein Kunstwerk von Menschenhand.

Nichtsdestotrotz ist auch hier der Sommer ausgebrochen und die heißen Betonklötze um mich herum trieben mich an manchen Tagen aus der Stadt und ins kühle Nass. In solchen Momenten erscheinen mir die Strände New Yorks wie ein wahrer Segen und obwohl auch ich vor meiner Reise Strände nie mit New York in Verbindung gebracht hatte, sind sie mittlerweile noch ein weiterer Grund diese Stadt zu lieben.

Rockaway und Coney Island gehören genauso zum Sommer in New York, wie Frozen Margaritas in Rooftop Bars.

Die breiten, weißen Strände der Insel Rockaway im Südwesten Queens entsprechen dabei so ziemlich den allgemein bekannten Strand-Standards. Der Sand ist hell und verläuft in einem breiten Streifen entlang der 17 km langen Küste. Dahinter trennt der berühmte Riegelmann Boardwalk, die zweitlängste Strandpromenade der Welt, den Badebereich von süßen Siedlungen aus weißen, hölzernen Strandhäusern ab. Es gibt keinerlei Souvenirläden oder andere Geschäfte, kaum ein Tourist verirrt sich dort hin, es ist ruhig und friedlich. Der Strand ist so breit und lang, dass er praktisch nie überfüllt wirkt. Der Blick über das blaue Meer endet im Nichts, genau da, wo auch meine Sehkraft endet. Rockaway ist schlichtweg klassisch schön.

Und dann ist da Coney Island…

Das ist eine ganz andere Geschichte – eine Geschichte der Hassliebe.
Coney befindet sich im Süden Brooklyns und ist von der Stadt aus einfacher und schneller zu erreichen als die Rockaway Beaches. Der Strand ist an den Wochenenden meist überfüllt, das Wasser trüb, die Wellen ruhiger. Fernab von Traumstrand also. Und trotzdem verdient Coney Island eine spezielle kleine Ode. Denn die Strandwelt, die das Polnische Viertel zu bieten hat, ist auf seine ganz eigene Art und Weise ganz besonders. Verzaubernd. Für mich ist es ein magischer Ort, der nur schwer in Worte zu fassen ist. Ich fühle mich dort wie in einem romantischen Indie-Film. Man erinnere sich an das Date von Adam und Jessa in der Serie Girls, aber auch die Hacker-Thrillerserie Mr. Robot macht von Coney’s ganz speziellem Flair gebrauch.

Ein bisschen New York der 1920er

Besonders der direkt am Strand gelegene und älteste Vergnügungspark des Landes, der Luna Park, ist wie eine Zeitreise ins New York der 1920er Jahre. Während im Rest der Stadt die Uhren doppelt so schnell ticken, scheint sie hier still zu stehen. Ist das vielleicht der Grund? Rast die Stadt den Menschen vielleicht doch ein bisschen zu schnell in die Zukunft, brauchen sie zum Durchatmen einen Zufluchtsort, an dem Progression Pause macht? Wie auch der Strand sind die Fahrgeschäfte keineswegs die Spektakulärsten oder Aufregendsten der Welt, schaffen es aber irgendwie, den Zauber ihrer Entstehungsjahre aufrecht zu erhalten.

Allem voran das Wonder Wheel, das am Memorial Day 1920 eröffnet wurde, die alte, weiße Holzachterbahn Cyclone, sowie der stillgelegte Parachute Jump-Turm, oder wie man hier sagt: “Der Eiffelturm Brooklyns”. Dieser wurde 1939 für die Weltausstellung erbaut und war das erste Fahrgeschäft, das einen freien Fall simulierte. Er hat seither ein Leben voller Höhen und Tiefen hinter sich – nicht nur im wahrsten Sinne – und ist auch zur Zeit außer Betrieb. Trotzdem leuchtet das riesige Stahlgerüst das ganze Jahr über in bunten Farben in den Atlantik hinaus und ist sowas wie ein Wahrzeichen Brooklyns geworden.
Der gesamte Vergnügungspark wurde im Laufe seiner Geschichte immer wieder lahm gelegt und wiedereröffnet, die New Yorker wollten ihn unzählige Male loswerden und konnten sich dann doch nie trennen. Den romantischen Flair der Vergangenheit konnte nicht einmal Donalds Vater, Fred Trump, ruinieren, der in den 1960er Jahren das ganze Areal um ein Haar in eine Luxushotel-Anlage verwandelt hätte.

Hot Dogs, Freaks und Zuckerwatte

Zwischen den alten Fahrgeschäften reihen sich Seafood-, Süßwaren- und Hotdog-Stände, die Fritteusen brutzeln an jeder Ecke. Ein kulinarisches Muss ist allerdings “Nathan’s”, eine Fastfood-Kette, die in Coney Island ihren Ursprung hat und von dort aus die ganze Ostküste mit seinen Hot Dogs, Burgern und Cheese-Fries überrollte.
Wem danach, plus einer Runde Achterbahn und Zuckerwatte, noch nicht schlecht ist, der sollte auf keinen Fall die berühmt-berüchtigte Coney Island Freak Show im denkmalgeschützten Gebäude an der Surf Avenue verpassen. Dort findet man tatsächlich noch echte Vollzeit-Freaks und Zirkusartisten, die gleichermaßen witzig wie auch gruselig sind und sich Coney Island zum Lebensinhalt gemacht haben.

Freak Show

Vollkommen unvollkommen

Ich glaube, es ist diese melancholische Romantik, das Zusammenspiel der Kontraste, die diesen Ort so speziell machen. Der ganze kitschige, alte Kram vor dem Hintergrund von braunen, hässlichen Häuserblocks. Die romantische Holzpromenade hinter dem viel zu überfüllten Strand, an dem jeder Zweite nervige spanische Musik auf vollster Lautstärke spielt. Und die bunten, nagelneuen Plüschtiere in den halb verfallenen Wettbuden, die die Kinder erst in Vorfreude und danach in Tränen ausbrechen lassen.
Wenn sich dann noch der Geruch von Zuckerwatte und Frittierfett mit dem Meeresduft mischt und einem die sandigen Hände vom Softeis kleben, kann man den Zauber von Coney Island so richtig spüren. Auch heute noch liebt oder hasst man Coney Island. Ich glaube allerdings, dass es mit Coney genauso funktioniert wie mit dem ganzen Rest Brooklyns: Man liebt es nicht trotz, sondern gerade wegen der Unvollkommenheiten.


Fotos © Birgit Buchart

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