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Happy Pride: New York tanzt unter dem Regenbogen

Birgit Buchart

Der Monat Juli steht unter dem Motto LGBT-Pride und ganz New York City hüllt sich im Moment in Regenbogenflaggen. In Geschäften und Restaurants wünscht man sich gerade „Happy Pride“, wie an Weihnachten oder Silvester. Vergangenes Wochenende erreichte der Pride Month mit der Parade durch Manhattan seinen Höhepunkt und ich liess es mir natürlich nicht entgehen, mich unter die Leute zu mischen. Und obwohl ich dachte, als Außenstehende die Szene ganz gut zu verstehen, erfuhr ich erst inmitten dieser liebevollen, bunten Community zum ersten Mal am eigenen Leib, wie sich dieser besagte Stolz tatsächlich anfühlt.

Heute, wenige Tage später ist meine Erinnerung an das Pride-Wochenende irgendwie nur noch ein wirres Gemisch aus Farben, Gesichtern, Glitter und Emotionen, das sich irgendwo zwischen Magen und Herz abgesetzt hat. Zu viele Eindrücke und Menschen haben sich in mein Gehirn gebrannt, um das ganze auch nur ansatzweise strukturiert zu rekonstruieren. Was aber geblieben ist, ist ein klareres Verständnis für den Unterschied zwischen Akzeptanz und tatsächlicher Anerkennung.  Zum ersten Mal bin ich nicht gegen, sondern für eine Sache auf die Straße gegangen. Für eine Sache, von der ich dachte, dass ich sie zwar unterstützen will, sie mich aber nicht persönlich betrifft. Dann lernte ich, dass ich falsch lag. Und vieles mehr.

Grundschullehrer mit goldenem Haar

Am Samstag Abend nahm ich mit meinen zwei Freundinnen die U-Bahn von Brooklyn ins West Village, der LGBT-Hochburg der Stadt, um schon einmal mit Drag Queen-Shows auf die anstehende Pride Parade einzustimmen. Der Zug war deutlich bunter als sonst und wir kamen mit einem jungen Mann namens Michael ins Gespräch, dem wir ein Kompliment für seinen Look machten. Er trug mit Perlen umwickelte High-Heels, Crop-Top und Rock, golden besprühte Haare, einen blau gefärbten Bart und roten Lippenstift. „Es ist nur auswaschbare Sprühfarbe. Ich bin Grundschullehrer, da würde der blaue Bart leider nicht so gut ankommen“, erklärte er uns grinsend. Fünf Stunden später, als wir schweißgebadet und mit schmerzenden Füßen wieder den Heimweg antraten, trafen wir ihn auf der Straße wieder. Er fiel uns in die Arme und duftete immer noch nach seinem Parfum. Sein Make-Up strahlte immer noch Farbe durch die dunklen Straßen und sein Schritt in den viel zu hohen Schuhen sah immer noch nach federleichtem Schweben aus. Wir waren ehrlich beeindruckt und er ehrlich erfreut über unsere Lawine aus Komplimenten.
Am Montag, zwei Tage später, wird er mit seinem natürlich braunen Haar, in stinknormalen Hipsterklamotten Mathe unterrichten und seine Grundschulklasse wird keine Ahnung haben von den Perlen an seinen Schuhen. Vielleicht bleibt zumindest ein wenig Glitzer auf seiner Haut zurück…

Am Sonntag Nachmittag nahmen wir wieder dieselbe U-Bahn. Dieses Mal waren auch wir passend gestylt und dieses Mal waren wir es, die Komplimente ernteten. Wieder kamen wir im Zug ins Gespräch. Dieses Mal mit einer Mutter und ihrer kleinen Tochter, die uns nach Infos zur Parade fragten. Wir nahmen die beiden kurzerhand mit und nach einer Weile fragte uns die Mutter, ob wir drei denn auch Teil dieser Szene wären. Während ich ohne groß nachzudenken den Kopf schüttelte, überraschte mich meine Freundin mit ihrer Antwort: „Ja!“ Ich war kurz verwirrt und sah sie fragend an, bevor sie konkreter wurde: „Naja, wir lieben halt einfach Menschen! Darum geht’s hier doch.

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In den folgenden Stunden wurde mir das mehr und mehr bewusst. Ich dachte, ich wäre Zuschauerin der Pride Parade, Beobachterin davon wie die LGBT-Community ihre Rechte und steigende Anerkennung feierte. Es stellte sich aber heraus, dass niemand dort einfach nur Zuseher war. Egal ob hinter oder vor der Absperrung – überall war mittendrin. Jeder war mittendrin. Als sich irgendwann meine Freundin ihr Shirt vom Leib riss und wir drei über den Zaun in die Parade hüpften, bekamen wir rundherum Jubelrufe und ein Augenzwinkern inklusive Lächeln des Polizisten, der uns von der Absperrung gegenüber dabei zusah.

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Plötzlich ist New York keine unsichtbare Masse mehr.

An diesem einen Tag sehen sich die Menschen auf New Yorks Straßen direkt in die Augen. Man grinst sich an, verteilt High-Fives und Umarmungen und wünscht sich „Happy Pride“. Man tanzt zusammen wortwörtlich unter dem Regenbogen von Novac Noury, der mit seinem Gartenschlauch an der Little West 12th Street für Abkühlung sorgt. Auf den Stufen vor den Hauseingängen stehen die Lautsprecher und eine Gruppe Afroamerikanischer Kids lehrt zwei dünnen weißen Mädchen das Twerken. Von der anderen Straßenseite ruft eine alte Dame meiner Freundin entgegen: „Deine Brüste sind traumhaft, Mädchen“. Von allen Seiten schreien sich die Menschen Komplimente zu. Je mehr Mut man aufbringt, Körper, Stil und Persönlichkeit zu zeigen, desto lauter die Jubelrufe. Jegliche Unsicherheiten des eigenen Körpers, des Auftretens oder der Zugehörigkeit zur Stadt und Community wurden von den großen, erfrischenden Wellen an Komplimenten einfach weggespült.

Und ohne es zu erwarten, fühlte ich mich plötzlich so wohl in meiner Haut wie wahrscheinlich noch nie zuvor. Ich fühlte den Stolz und die Gleichheit in dieser Gemeinschaft und sie überwältigte mich. Und dann erinnerte ich mich an Michael vom Vorabend und fragte mich, wie großartig das Gefühl dann erst für ihn sein muss.

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Und gerade als ich versuchte mir vorzustellen, wie Michael wahrscheinlich zwei Kleiderschränke zuhause hat, einen für den Alltag, einen für das Nachtleben, sah ich einen kleinen Jungen in der Parade laufen. Er war vielleicht sieben oder acht und marschierte mit seinen Eltern, die den Song Born This Way auf der Boombox spielten. Er trug ein Kleid, wedelte mit einem Handfächer, tanzte aufgeregt durch die Straße und genoss mit jedem Meter tobenden Applaus. Da war sie: Die Hoffnung auf eine Zukunft, in der Michael seine Haare permanent färben kann und keine zwei Kleiderschränke braucht. Die Hoffnung auf eine Zukunft, in der der Stolz des Individuums keine Parade mehr benötigt um auf die Straßen zu gelangen.


Fotos ©: Birgit Buchart

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