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Stadt-Mensch: Gesichter, Fassaden und ganz viel Stolz.

Birgit Buchart

Eines steht schon mal fest: Eine Stadt und ihre Menschen passen sich auf kurz oder lang einander an. Auch hier ist das Phänomen eindeutig zu beobachten: Im Financial District ragen die hohen gläsernen Bürogebäude in die Luft und unter ihnen stolzieren die passenden Anzugträger vor sich hin, so steif und starr wie ihre Festungen. Etwas weiter nord-östlich, im East Village, leben und vegetieren die alten Punks zusammen mit ihren heruntergekommenen Häusern in ihrem leicht anarchischen Leben vor sich hin.

New York ist mit seinen fünf Stadtteilen und unzähligen Vierteln so vielfältig, wie seine Bewohner selbst und nur eine Sache trifft auf sie alle zu: Stolz. Die Menschen sind stolz in der, ihrer Meinung nach, besten Stadt der Welt zu leben und auch die Architektur – so unterschiedlich sie sich präsentiert – spricht genau dieselben Worte. Und während in München die Grenze zwischen Stolz und Arroganz bekanntlich ein wenig verwischt, ist letzteres in vielen Teilen New Yorks kaum spürbar, weil die Stadt ein ganz wesentlichen Unterschied macht: Man ist auch stolz auf seine Hässlichkeiten – die Stadt wie die Menschen beiderseits.

Gebäude werden hier erst einmal sich selbst und seinen Bewohnern überlassen und scheinbar erst im äußersten Notfall renoviert. Was da ist wird lieber irgendwie genutzt anstatt abgerissen.  Immerhin lässt sich aus so ziemlich jeder Bruchbude noch ein Skatepark zaubern, die hier übrigens gerade wieder in Mengen aufleben. Berühmtestes Beispiel ist aber wahrscheinlich die High Line, eine alte hoch gelegene Bahntrasse im Meatpacking District, die vor ein paar Jahren begrünt wurde und jetzt als Park eine neue Perspektive auf die Nachbarschaft bietet. Die restlichen Gehwege in New York erinnern eher an alte Patchworkdecken, auf denen man ständig über irgendetwas stolpert.

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Der Streetart wiederum, werden alle Steine aus dem Weg geräumt. Graffitis sind schon lange keine „Schmierereien“ mehr, lange genug wurde ihnen der Freiraum geboten um langsam aber sicher zur Kunst zu reifen und heute spaziert man in New York durch ein riesiges Freiluftmuseum, das seine alten, von Wind und Wetter geprägten Fassaden mit modernen bunten Bildgeschichten in Szene setzt. Vielleicht hat man deshalb das Gefühl, diese Stadt ist so lebendig, weil die Gebäude Geschichten zu erzählen scheinen, weil hier kaum etwas perfekt aussieht. Ein Lebensraum ist nun einmal seiner Umwelt und damit auch uns Menschen ausgesetzt, weshalb es doch keine Schande sein sollte, dass er sich mit der Zeit und seinen Bewohnern verändert und seine ursprüngliche Katalogfassade verliert. Beim Spaziergang durch das East Village oder Williamsburg habe ich das Gefühl, dass die Bewohner hier ihre Umgebung formen und verändern, wie es ihnen gerade beliebt, wodurch alles irgendwie persönlicher und heimischer wirkt. Das Zuhause endet eben nicht an der Wohnungstür.

Wenn man von Mut und Selbstbewusstsein in New York spricht, ist es tatsächlich schwer das Thema zwischen Mensch und Stadt zu trennen. Für mich machen diese ganzen kleinen Imperfektionen, das raue Erscheinungsbild der Straßen, wie auch der Menschen den Flair der Stadt erst komplett. Vor meiner Reise habe ich gelesen, dass das Leben in New York ein ständiger Kampf ist – um Wohnung, Job und Taxis. Dem kann ich auf jeden Fall nur zustimmen, dieser Kampf ist deutlich zu spüren und er geht eben nicht unbemerkt vorbei. New York ist kein Paradies zum Entspannen, sondern ein Ort für Menschen, die sich jeden Tag mutig ins Leben stürzen, hart arbeiten und unglaublich viel Energie haben. Ein Lebensstil, dessen Anstrengung sich in den Gesichtern und Fassaden widerspiegelt – zusammen mit ganz viel Stolz.

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Fotocredit: Birgit Buchart

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