Aktuell, Leben

Cornern in München: Ach bleib doch bitte für immer!

Christina Winkler

Mai 2020 – die Temperaturen klettern immer öfter über die 20 Grad Marke, die Hotpants-Zwillinge sind ausnahmsweise dem Wetter angemessen gekleidet und den Münchner dürstet es nach Biergärten und Dachterrassen. Verständlich. Sich mit Freunden zu treffen und dem Sonnenuntergang zuzuprosten gehört zum Menschen, wie die Hand, die den Bierkrug umklammert. Doch über uns schwebt immer noch dieses Virus, das uns den Bierkrug aus der Hand gerissen (und uns mittlerweile langsam zurück gibt) und sich dreist zwischen uns und die Sonne gequetscht hat. Dabei verlangen wir ja gar nicht viel, in Diogenes „Geh mir aus der Sonne“-Manier sind wir ziemlich genügsam, halten uns weitestgehend an Abstandsregeln und Maskenpflicht, wie uns unser Corona-Krisen-Manager Söder bestätigt. Er betont aber auch, dass wir im Umgang mit Corona eine „atmende Strategie“ brauchen. Und wir atmen hoffentlich ab jetzt viel mehr draußen – für immer. Denn der Münchner hat „dank“ Corona das wohl            mit Abstand                                Schönste am Sommer entdeckt: das Cornern.

Die schönste Bar der Stadt gibt’s jetzt überall

In Hamburg oder Berlin ist das ganze ein alter Hut. (Hasstiraden incoming: „Dann geh doch nach Hamburg oder Berlin!“) Man hockt sich auf den Bordstein, flaniert an Ecken und saugt die letzten Sonnenstrahlen des Tages ein, in der Hand ein kühles Helles. In München bevorzugt ein Gustl, wahlweise ein Tegernseer, oder wer etwas tiefer in die Tasche greifen mag: Tilmanns ‚Das Helle’. Apropos in die Tasche greifen, das ist auch ein unschlagbares Argument FÜR das Cornern. Wenn man seine eigenen Getränke mitbringt oder sich To-Go versorgt, ist das definitiv kostengünstiger, als der fancy (wenn auch unglaublich leckere) Strawberry-Rosmarin-schlag-mich-tot-infused-Gin.
Giesing, Glockenbach, Schwabing: Die schönste Bar der Stadt gibt’s ab jetzt überall. Raues Outerior in der Alltime-Trendfarbe grau, Platz genug für alle UND 1,5m Abstand, Selbstbedienung, eigenes Essen und Getränke mitbringen wird toleriert und die Musik ist ein Mix aus alltagstauglichem Fahrradklingeln und freshem Vogelgezwitscher.

Das Leben liebend Leberkässemmel essen

Selten hat man so viele Menschen draußen gesehen; der Flaucher (und Freunde, das ist wirklich einer zu viel) gleicht einem Menschenmeer, am Elisabethmarkt wird sich auf ein Bier getroffen, in Giesing eröffnen die privat betriebenen Bordsteinbars. Kein Dach über dem Kopf zu haben, hat sich selten so befreiend angefühlt. Und das soll jetzt kein Aufruf sein, die Situation nicht mehr ernst zu nehmen, sich nicht mehr an Regeln zu halten und nur noch sein eigenes Süppchen zu kochen. Wir wollen schließlich auch – und vor allem jetzt – unsere Gastronomen unterstützen. Sie unterstützen unsere Sommerstimmung ja auch und bieten den vielfältigsten Straßenverkauf an, den unsereins in dieser Stadt je gesehen hat. Da kann es schon mal passieren, dass man mit einem Watermelon Daiquiri ausm Zephyr in der Hand ein paar Minuten später noch ein Croissant vom Café Morso kauft und dieses zusammen mit einem Leberkässemmel aus der Home-Bar verdrückt.

Gegessen wird dann aber wieder da, wo es am Schönsten ist: an der Ecke, aufm Boden sitzend, das Leben liebend und voller Glückseligkeit. Denn nichts versinnbildlicht besser als das Cornern, dass jede noch so schlimme Situation auch seine guten Seiten hat und alle zusammen auf dem Boden der Tatsachen geblieben sind – hoffentlich für immer.


Beitragsbild: Unsplash unter CC0-Lizenz

1Comment
  • Martin Biendl
    Posted at 18:32h, 04 Juni

    Grundsätzlich toll, aber leider ist nicht jeder so sozial eingestellt und nimmt auch seinen Müll wieder mit. Die Isar-Auen und Parks in München gleichen immer mehr wilden Müllkippen (und leider auch Toiletten), da vergeht einem schnell der Spaß daran…
    Depollute statt detox!

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