Kultur

Das Glück der Anderen

Tini Kigle
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Am Samstagabend feierte Anne Leppers Stück SONST ALLES IST DRINNEN in der Regie von Jessica Glause Premiere in den Kammerspielen. Lepper gewann vergangenen Herbst als eine von drei Gewinnerinnen den Münchner Förderpreis für deutschsprachige Dramatik sowie den Publikumspreis der Langen Nacht der Neuen Dramatik an den Kammerspielen.

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Braun ist eigentlich mehr ein Geruch als eine Farbe. Braun. So ein schmutzig verbrauchtes Ocker, ein zigarettenrauchgelbliches Beige, ein süßlich  muffig gärendes Braun. So ein verstaubter Braunschleier über einem nostalgisch vergilbten Einspielfilm, qualmig braune Vorhänge, Häkeloptik. Teppichboden, Couch, Pflanzenübertopf, Lebensgefühl, bitte nicht lüften – alles ist braun auf der Bühne der Kammerspiele. Und, natürlich, florale Muster. Blumen- und Blütenornamentik auf dem Sofa, in den Vorhängen, auf der Kleidung.

Ein Braun, in dem jede Veränderung einer Utopie gleich käme. Anheimelnd.

Was es anderes als Braun gibt? „Was geht uns das an, komm vom Fenster weg“, sagt der Vater (Jochen Noch) zur Tochter (Annette Paulmann), die mittlerweile Mitte 30 ist, ein Kind von ihm ausgetragen hat, seit dem Begräbnis der Mutter dieses Fenster nur noch von innen gesehen hat. Und auch dann nur hinter zugezogenen nichtssagenden, nichtsverratenden Vorhängen. Den Vater, als Person gar nicht anwesend, hat Anne als Stimme verinnerlicht, als Freudsches Über-Ich  denkt und lebt sie in seinen Leitsätzen und Lebensweisheiten, in denen angepasste Durchschnittlichkeit und Konvention die höchsten Werte sind und Frustration und Langeweile pathologisch geworden sind .

Mein Name ist Hase, ich weißt nichts, wovon ich nichts wissen will. Braun ist die Konstante und die Marschrichtung, darunter vegetiert der Abschaum.

Draußen hingegen hat sich die Mode geändert, doch Braun gibt’s auch hier. Und Stimmen, die die ‚Lebensweisheiten’ flüstern: Draußen, da hat, wer nicht Mann, Kind, Eigenheim hat und auf die Linie achtet, versagt. Und wer verdammt nochmal seine Pflicht zum Glücklichsein nicht erfüllt, der muss seine kümmerliche Existenz erstmal rechtfertigen. „alles hat sich entpuppt nach einiger Zeit / und nichts ist ein Schmetterling geworden / in Wahrheit hat sich auch nichts entpuppt / alle Puppen sind verfault“, sagt Jenny (WowWowWow: Caroline Ebner), Annes ehemals beste Freundin. Und wenn der eigene Mann mit der Kioskbesitzerin und alle wissen das, und wenn der einem das Vertrocknetsein, das Verfaultsein, das Verrottetsein täglich attestiert, dann hat sich das mit der Daseinsberechtigung eigentlich erledigt. Recht auf Leben: Verwirkt. Schuldgefühle. Für Jenny von Draußen ist Annes Drinnen die Idylle: „und du hast ja überhaupt noch nie gearbeitet / weißt überhaupt nicht / was das ist / überleben / du lebst einfach / machst dir keine Gedanken /  und bekommst alles reingestopft / von Kindheit an hast du doch alles reingestopft bekommen / Essen / gute Worte / Schwänze / gibs doch zu /, sagt sie beim ersten Aufeinandertreffen der beiden nach Jahren. „jetzt steh ich daneben / neben dem Glück der anderen“.

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Die Sprache Anne Leppers ist eine grausame, wütende, manchmal kraftvoll zynische. Eine Sprache, die hält und trägt und die am Samstagabend ein bisschen mit der thematischen Überladung des Texts (Isolation und soziale Tristesse im Hochhaus, Freundschaft, Neid und Mord, Zivilcourage, Inzest, Tod eines Elternteils, Kritik an gesellschaftlichen Konventionen und Geschlechterrollen heidenei) kämpfen musste.  Lepper ist dennoch ein Text gelungen, der den Umweg nicht kennt und dessen aufgeführte Grässlichkeit weh tut. Aber vielleicht hätte an Stelle der emotionalen Betroffenheit eine thematische Fokussierung den Abend besser zusammengehalten.

Die hohen, langen, engmaschigen Vorhänge auf der Bühne (Bühne: Eva-Maria Bauer, Kostüme: Pascale Martin) sind Sichtschutz und Grenzmarkierung, schlängeln, ziehen sich wie Serpentinen oder fiese Intrigantinnen durch den Bühnenraum. Sie holen das braune Zimmer im Verlauf des Abends immer weiter in den Vordergrund, schieben das Drinnen nach Draußen und offenbaren so immer mehr den Abgrund. Jenny: „ich hatte auch mal ein Kind / ein hässliches / und es schrie / hab es gegen die Wand geschlagen / wie soll man anders ein hässliches Kind ertragen“.

Nach Jahren besucht Jenny Anne, in deren Wohnung immer die Vorhänge zugezogen und deshalb Jenny ein Vorwand waren, Anne sich selbst und ihrem Vater zu überlassen. Und wo man nur noch aneinander vorbei redet, wo das Recht der Stärkeren siegt und die Existenz der Einen die Berechtigung der Anderen auszulöschen scheint, wo Blicke allein nicht töten können und vom Braune sonst nichts übrig bleibt, da löst man die Probleme mit dem Staubsauger: Die Kuchenkrümel im Schoß genauso wie die verhasste Freundin: Kopf in Mülltüte, was nicht taugt wird abgesaugt. In Leppers Text ist es Anne: „hast ja recht  / wir sollen ja glücklich sein / und jeder muss dazu etwas beitragen / so ist es doch / Jenny / jeder hat eine andere Aufgabe / oder / und jeder muss seine erfüllen“. Der Staubsauger ist das braunste aller Geräte.

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