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Die bayrische Filterblase: In München gibt es die heile Welt

Susann Westhoff

Semmelknödel, Blasmusik und Trachtenrausch – ach, München, du schönste Stadt der Welt. Hier platzt man fast vor Stolz und Liebe. Es ist doch so: Nirgendwo ist’s schöner, beschaulicher und gemütlicher als hier. Hier dreht sich alles nur um uns, wie in einer eigenen kleinen Parallelwelt, in der es nur Bayern und 100 Prozent Heimatliebe geben kann, aber auch geben darf?

Sind wir doch mal vernünfig!

Kurz mal anhalten. Durchatmen. Und raus aus diesem Denken, denn die Heimatliebe hat den totalen Overkill erreicht, vor der Wiesn mehr denn je.

Das Fass ist voll: Münchenliebe ist überall. Alles ist Minga- und Monaco-infiziert. Was einem in München begegnet, ist ein ganz eigenes Weltbild, eine feste Meinung, die keinen Widerspruch zuzulassen scheint. Während es anderswo undenkbar wäre, mit Stolz zu sagen, dass man die Heimat liebt, gilt es in München als Trend die hippe Heimatverbundenheit wie ein Aushängeschild zu präsentieren und bei jeder sich bietenden Gelegenheit auszurufen.

München trägt man eben nicht nur im Herzen, sondern gleich auf dem T-Shirt

Bei den Studenten merkt man es besonders. Im Rest von Deutschland flüchtet man aus der Heimatstadt, um anderswo zu studieren, seinen Horizont zu erweitern und um einfach wegzukommen aus dem verschlafenen, langweiligen und altbekannten Trott. Anderswo war es immer aufregender. In München ist das anders. Hier ist man gerne Heimscheißer ohne schlechtes Gewissen. Wieso auch weggehen, wenn man doch schon am schönsten Fleck auf der ganzen Welt lebt und die Eliteuni vor der Nase hat?

Aller guten Dinge sind drei: München in der Geburtsurkunde, im Pass und auf dem Studentenausweis

An sich ist das lobenswert. Mal was anderes als ständiges Genörgel, wie schlecht und langweilig doch alles ist. In keiner anderen Stadt geht aus gepflegten Traditionen so viel Coolness hervor. Hier wird sogar in der Lederbuxe gesportelt!

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Hier sind Wir, da die Anderen

Eine Frage stellt sich hier allerdings: Ist dieser Blick objektiv oder nicht schon längst verklärt und einseitig?
Die Heimatisierung kann gefährlich werden, sobald sie ausgrenzende und trennende Züge annimmt. Wenn auf ein überhöhtes Gefühl folgt, dass jeder, der anderer Meinung ist, rausfliegt, weil es solche Leute hier nicht braucht. Wird es vielleicht blad eine Obergrenze für all jene geben, die sich dem coolen Bayerischen widersetzen oder – oh Schreck: kein Bayerisch können?

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Doch wie in jeder anderen Großstadt mischen sich hier Kulturen, Religionen und Ansichten. Bitte lasst uns unsere Offenheit für Neues nicht verlieren. Sonst verläuft es schnell so: Alles dreht sich im Kreis: Ich liebe München, du liebst München, wir alle lieben München. Und noch einmal von vorne. Ich liebe München, du liebst…

Kleine heile Welt in München

München gerät in eine eigene, selbstgeschaffene Filterblase. Denn: Filterblasen sind nicht allein ein Online-Phänomen, sondern es gibt sie auch analog. Es ist völlig normal, sich mit Menschen zu umgeben, die die eigenen Ansichten und Meinungen teilen. Ganze Beziehungsgeflechte und Freundschaften basieren auf geteilten Interessen.

Es gibt unzählige Faktoren, die unseren Blick prägen, seien es persönliche wie Erziehung und Werte oder allgemeine wie die politische Situation und wirtschaftliche Lage in Deutschland. Einen völlig unvoreingenommenen, neutralen und objektiven Blick gibt es nicht. Das ist eine Tatsache.

https://twitter.com/janboehm/status/709440746298982400

Filter erleichtern Leben

Manchmal macht es das Leben auch ein wenig leichter. Es kann so schön gemütlich sein, sich in seinen Vorlieben und Interessen zu suhlen. Und: Es verbindet. In München schafft die geteilte Heimatliebe eine Verbundenheit und Zugehörigkeit, ein Gemeinschaftsgefühl, ein Wir. Gerade in Zeiten, in denen sich die Welt rasant und außerhalb unserer Kontrolle stetig verändert, schafft es einen Schutzraum, in dem man sich geborgen und sicher fühlt.

Gerade jetzt halten sich Menschen an Traditionen und Altbewährtem fest. Auch die bayrische Landespolizei möchte nur ungern die geliebte grüne Kluft aufgeben, um sich dem neuen und deutschlandweit einheitlichen Blau anzupassen.

Fazit

Es stimmt: Filter und Selektion sind für uns unverzichtbar, sonst könnten wir die Informationsflut gar nicht bewältigen. Bezogen auf die Heimatliebe vieler Münchner kann es aber passieren, dass das Bild doch arg schief hängt. Wiederholt sich die eigene Meinung und Selbstbejahung nicht in Dauerschleife?

Lassen wir also das „Can you Hendl this“-Shirt und die Lederbuxe mal im Schrank und begegnen uns stattdessen mit der Neugierde, die man so hat, wenn man Neues kennen lernt, denn das gibt es auch in München. Und dann geht es zusammen in den nächsten Biergarten. Denn gegen ein bisschen Heimatliebe hat ja keiner was.


Beitragsbild: via Unsplash quentin-dr

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