Leben

Die Strandgutsammler

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troedelladen

Lampen, Uhren, Porzellan-Figürchen – vor dem Sperrmüll findet die Trödeloase Heinz noch eine Verwendung

Für 18 Euro wird sie über den Ladentisch wandern. Die schwarz-weiße Dame hinter dem Messingrahmen. Quer gestellt liegt sie als Antiquität in einem Regal direkt neben dem Verkaufstisch von Trödler Helmut Heinz. Seit einigen Wochen steht sie schon im Regal und hütet den Laden. Die schwarz-weiß-Fotografie ist aus einem Nachlass – wie die meisten Gegenstände hier in der „Trödeloase Heinz“ zwischen Gärtnerplatz und Viktualienmarkt.

An ihrer Seite wachen Porzellan-Engelchen und Aufziehwecker. Im Hintergrund läuft das Gedudel eines Gebrauchtradios. Durch die großen Schaufenster leuchtet schon der Asphalt in die dunklen Verkaufsräume. Die vielen Duzend Lampen an der Decke werden wie immer nicht leuchten. Für Helmut Heinz hat gerade der Arbeitstag begonnen. Seinen Platz, an dem er wie jeden Tag, außer Samstag und Sonntag, acht Stunden verbringen wird, hat er sich schon eingerichtet. Das erste, was er morgens tut. Hinter dem Verkaufstisch sein Stuhl, auf der rückseitigen Ablage ein Glas und Flasche Spezi.
Mit etwas mühsamen Schritten bewegt sich der 75 Jahre alte Mann nach hinten, in Richtung Lager. Äußerlich unterscheidet sich das Abstellzimmer bis auf die vielen ungeöffneten Umzugskartons kaum von den zwei übrigen Verkaufsräumen. Der modrige Geruch abgehangener Gardinen und unberührter Bibliotheken durchströmt das Lager. Heinz nennt es seine „Schnäppchenoase“. Alles dort ist besonders günstig, weil er es noch nicht sortiert und ausgezeichnet hat.
Heinz quetscht sich durch die engen Trödel-Trakte, vorbei an Kisten, Regalen, Waschmaschinen, Mikrowellen, Holztruhen, einem Klavier und den unzähligen Leuchten, bis er das andere Ende des Ladens erreicht hat. Dann schiebt er einen Eichen-Couchtisch mit beige-melierten Zierkacheln vor die Tür. Auf den Tisch wuchtet er zwei blaue Plastikwannen und füllt sie mit Büchern, Keramik-Schälchen, Zinn-Väschen, Portemonnaies. „Jeder Artikel nur 50 Cent“ steht auf einem Pappschild.
Vor 15 Jahren hatte Helmut Heinz mit seiner Tochter Bärbel und dem Schwiegersohn Manfred den Familienbetrieb gegründet. Davor waren sie ein reiner Umzugs- und Entrümplungsservice. Wohnungsauflösungen machten das Kerngeschäft aus. Sie wurden dafür bezahlt, dass sie Räume besenrein zurückließen. Die Entsorgung war damals noch kein Problem. Auf einer Schutthalde im Norden Münchens konnten sie alles Gerümpel wegkippen. Mit den strenger werdenden Müllverordnungen machte sich die Familie die Not zunutzen: Das, was zum wegwerfen zu schade ist, verkaufen sie von nun an in der Trödeloase.
„Ich hab in meine Leben schon viel gemacht“, winkt der Rentner ab. Seine sämtlichen Lebensstationen, bis er nach München kam, will der gebürtige Landshuter nicht aufzählen. Zu gefährlich. Er hat einen Schlussstrich unter sein vorheriges Leben gezogen. Im Rauschgift-Bereich hatte er zu tun. Viel zu riskant darüber zu sprechen, viele hätten da noch eine Rechnung mit ihm offen. Nicht bei der Polizei war er tätig, nein. Aber mehr will er dazu nicht sagen. Seine Tochter erzählt später, er habe einige Jahre beim Zoll an der tschechischen Grenze nahe Passau gearbeitet. Helmut Heinz will nur seine Ruhe haben, sagt er. Am Vormittag kümmert er sich alleine um den Laden, hat es sich in seiner Verkaufsecke mit Radiomusik und Spezi gemütlich gemacht.
„Was wollen’s denn für das Hefterl?“ Eine Dame in blauem Blümchen-Sommerkleid und rotem Strohhut legt den „Vogeltreffpunkt Futterhaus“ vor Heinz auf den Verkaufstisch. „A Fufzgerl.“ Die Kundin kramt in ihrer Handtasche, legt dann ein fünfzig Cent Stück auf die speckige Holzablage. „Mei, ich hab so viele Vögel um mein Haus rum und weiß oft gar nicht, was für welche das sind.“ Seit sie nach Weilheim rausgezogen sei, komme sie noch viele lieber zum Heinz in die Trödeloase. „Und wie ist es sonst so? Zufrieden?“, erkundigt sich die Kundin. Heinz nickt „Ja, zufrieden.“ Die Frau erzählt, sie wolle jetzt weiter, noch zum Viktualienmarkt. Günstiges Brot von gestern kaufen. Gerade, als sie sich verabschiedet, entdeckt sie im hinteren Verkaufsraum noch etwas. In einem Kleiderständer zugehängt mit Taschen greift sie nach einer roten Kunstledertasche, auf der YSL steht – Yves Saint Laurent. „Die ist ja schick. Aber hier – leider kaputt.“ Die Dame zeigt auf ihre Armbanduhr. „Cartier. Auch nicht echt.“
Dann kommt ein alter Bekannter. „Servus Markus“, begrüßt ihn Heinz. Der Mittvierziger schaut fast täglich in der Trödeloase vorbei. Dieses Mal findet er zwei Schweinchen aus den Fünfzigern, die Pfeffer und Salz spenden. Die zwei Gewürz-Schweinchen werden später in seinem eigenen Antiquariat ein paar Häuserblocks weiter, in der Jahnstraße, stehen. Bei Heinz findet der Händler immer mal wieder ein Stück, dass er als Retro-Teil in seinem Design-Antiquariat verkaufen kann. Früher hat Markus auch Entrümpelungen organisiert, um an wertvolle Stücke zu kommen. Das macht er heute nicht mehr. Lohnt sich nicht, sagt er.
Die Trödeloase Heinz übernimmt immer noch Entrümpelungen. Bevor es ihm körperlich zu anstrengend wurde, half Helmut Heinz auch mit. Ungern erinnert er sich an manch einen Anblick. Zwölftürige Furnierlack- Schlafzimmerschränke – nicht nur körperlich anstrengend zu entsorgen. „Da machst du dann eine Türe auf, und dir kommt eine ganze Batterie leerer Bierdosen entgegen.“ Alles gesammelt, damit es keiner mitbekommt. Helmut Heinz wischt sich mit der Hand unter seine Brille. Er schaut kurz zur Seite, dann erzählt er von der Wohnung einer alten Frau. Haushaltsauflösung. „Dann hab ich in den Kühlschrank geschaut und das einzige, was drin war, war eine angebrochene Dose Chappi.“ Einen Hund besaß die Verstorbene nicht.
Seit Helmut Heinz nicht mehr bei den Entrümpelungen mithilft, will er gar nicht wissen, von welchen Schicksalen die Dinge in seinem Trödelladen erzählen. „Es gibt Menschen, die können halt damit besser umgehen und Menschen, die können damit weniger gut umgehen.“ Helmut Heinz kann damit weniger gut umgehen. Seine Tochter Bärbel kann es besser. Trotzdem – wenn es um Entrümpelungen und Haushaltsauflösungen geht, hält auch sie sich bedeckt. Wie die meisten aus der Branche. Keiner will Einblick geben in das Reich der Auflösung. Sie wollen die Privatsphäre der Menschen wahren.
Es ist kurz vor Zwölf. Tochter Bärbel kommt wie jeden Tag von einer Entrümpelung. Heute war es ein Umzug vom Altenheim ins Pflegeheim. Die Ausbeute war wenig ergiebig. Lediglich eine blaue Plastikwanne voll Trödel, eine Gardine, ein paar Bücher und natürlich – ein Lampe. Aber Bärbel ist nicht enttäuscht. So etwas sei normal. Wenn sie eintrifft, waren meist schon zehn andere Leute vor ihr dort. Der Hausverwalter, die Angehörigen, der Notar. Wenn die Entrümpler kommen, sind die Schätze meistens schon gehoben. Sie sind die Strandgutsammler.
Wie und wo das Strandgut angespült wurde, ist längst vergessen, wenn es den Besitzer wechselt. Nur manchmal lässt es sich erahnen. Wie beim Bild der schwarz-weißen Dame hinter dem Messingrahmen. Hier bekommt der Gegenstand ein Gesicht, eine Geschichte. „Mei, das Bild verkaufen wir wegen dem Rahmen.“ Fotoalben landen bei Bärbel Heinz ansonsten sofort in der Papiertonne. Sie haben für sie keinen Wert mehr.

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