Aktuell, Stadt, Wohnen trotz München

Eine planreife Utopie! So war’s bei unserer dritten LabWerkstatt von Munich Next Level am 29.11.

MUNICH NEXT LEVEL

Bezahlbarer Wohnraum, bunte Gassen, sichere Fahrradwege, grünere Straßen, gemischte Quartiere und Milieuschutz. Die Liste der Wünsche für das südliche Bahnhofsviertel war lang, als am 29.11. ein paar Dutzend Teilnehmer*innen zur dritten Runde der MUNICH NEXT LEVEL LabWerkstatt zusammen kamen. Unter dem Motto „Neues Wohnen und Arbeiten“ wurden an diesem Abend realisierbare Hoffnungen und Ideen für die Zukunft eines lebenswerten Viertels skizziert. Wir stellen drei Ideen vor!

Kaum eine Gegend in München ist derzeit so sehr im Wandel begriffen wie das südliche Bahnhofsviertel. Bei einem Wohnanteil von nur 23% aller Immobilien, lebt der Stadtteil vor allem von Hotellerie, Einzelhandel, und Büronutzungen. Flinkes Gewusel, enger Autoverkehr und exotische Düfte begegnen den Passant*innen hier. Die Menschen sind stetig unterwegs – alle haben es eilig.

Status Quo

Noch lebt hier trotz zentraler Lage keine arrivierte Mittelschicht – eher Arbeiter*innen aus dem Service-Bereich und aus den Betrieben ringsherum. Etwa Menschen, die gerade erst hier ankommen in Deutschland und München. Das bekräftigt ein ansässiger Teilnehmer in der Munich Next Level-Runde, der erzählt, dass es viele aus dem Viertel wegziehe, nachdem sie etwas Fuß gefasst hätten in der Stadt oder nachdem sie wirtschaftlichen Erfolg verzeichnen könnten. Die Gegend genießt allgemein wenig Prestige. Trotz der zentralen Lage gibt es hier noch relativ günstige Mieten für Gewerbe und Wohnen. Ein Umstand, der sich in Zukunft – Stichwort Gentrifizierung – ändern könnte.

Für ihre Multikulti-Atmosphäre werden die Straßenzüge geschätzt. Der familiengeführte türkische Supermarkt Verdi ist beispielsweise längst eine Institution, die über das Viertel hinaus strahlt. Gleichzeitig gibt es Schattenseiten wie eine oft sichtbare Drogenszene rund um den Hauptbahnhof und immer wieder Kriminalität und Gewalt. An tristen Spätherbsttagen wirken die vielbefahrenen Straßenzüge vielleicht noch ein bisschen grauer als sie tatsächlich sind. Kaum ein Baum ist in Sicht.

Neues Wohnen und Arbeiten

Was ist erhaltenswert, was sollte sich ändern? Wer sollte darüber entscheiden und welche Hebel sind wirkmächtig? Wie stark werden die Preise steigen? Diese Fragen kamen schnell im Publikum auf. Die Anliegen und Ideen der Teilnehmer*innen sind dann auch – wie oben angedeutet – recht divers und reichen von sehr konkret bis utopisch schön.

Moderatorin Anja von Klitzing-Bantzhaff (the goodpoint)

Der Horizont, vor dem sie besprochen werden, sind unter anderem die vielen Bauprojekte, die in den nächsten Jahren starten und das Viertel und seine Umgebung entscheidend verändern könnten. Google kommt, Apple kommt – beide im erweiterten Umfeld des Viertels. Das „Elementum“, geplant von den Star-Architekt*innen Herzog & De Meuron – ist aber das wahrscheinlich größte Bauprojekt hier mit einem Ensemble aus über 67.000 Quadratmetern an Geschäfts- und Gastronomieflächen. Münchens höchste Laufstrecke – auf dem Dach des Gebäudes – inklusive. Hier werden teure Büros angesiedelt – zugleich wird der begrünte Innenhof des riesigen Bürokomplexes für alle Menschen zugänglich sein. Das korrespondiert mit den Wünschen, Innenhöfe zu öffnen und zu begrünen, wie sie auch in unserer LabWerkstatt formuliert werden.

Eine planreife Utopie: Die Green Theresa

In kleineren Gruppen sollten bei unserer LabWerkstatt dann aus den großen Fragen und Bedürfnissen konkrete Projekte abgeleitet und konzipiert werden. Eine Idee aus den Gruppenarbeiten kann die Besucher*innen besonders faszinieren. Sie firmiert unter dem Namen „Green Theresa“, ist sehr facettenreich, aber eigentlich doch schnell erklärt: Aus einem renovierungsbedürftigen Bürogebäude in der Schwanthalerstraße soll ein inklusives Wohn-, Bildungs- und Arbeitshaus entstehen. Unten Gewerbe, darüber Co-Working, oben Wohnen – so der grundsätzliche Aufbau. Durch eine Mischung aus Sozialwohnungen, günstigem Wohnraum und exklusiven Dachgeschoss-Apartments soll das Bauvorhaben auch für Investor*innen interessant sein, die sich beteiligen können. Gleichzeitig sollen die Bedürfnisse für das Viertel (mehr Wohnraum, günstigerer Wohnraum) mit berücksichtigt werden.

Bei alledem werden Themen wie CO2-Kompensation, solare Stromerzeugung und Urban Gardening mitgedacht. Klingt ein bisschen wie eine eierlegende Wollmilchsau, die man bauen will. Aber wieso eigentlich nicht? Dafür braucht es starke Unterstützer*innen, die man im Stadtrat, durch Investor*innen, Sponsoren und Kooperationen sucht. Zuletzt müssen auch die städtischen Referate für die Umnutzung der Immobilie gewonnen werden – ein ganz wichtiger Punkt!

Wir sind gespannt, wie sich die Idee weiter entwickelt. Prof. Dr. (Univ. Florenz) Elisabeth Merk – Stadtbaurätin der Landeshauptstadt München – hatte schon im Vorfeld der Veranstaltung eine progressive Idee, wie man einen Nutzungs-Mix aus Wohnen und Arbeiten im Viertel politisch vorantreiben könnte:

„Ich schlage für das Bahnhofsquartier eine „Stadtgestaltungsaktie“ vor. Jedes neue Gewerbeprojekt gibt 1/3 für Wohnen ab und jedes Wohnprojekt – zur Belebung des Erdgeschosses – 1/3 für Gewerbe. Ein gestaltungs- und gemeinwohlorientierter Nutzungsmix durch „Baurechts-Sharing“.

Schutz für ansässiges Gewerbe: Wie wär’s mit einer „Gewerbe-SoBon“?

Da der Filialisierungsgrad weltweit in den Innenstädten voranschreitet – Starbucks und McDonald’s an jeder Ecke – suchen Stadtplaner*innen seit längerem nach effektiven Mitteln dagegen. Austauschbare Quartiere gelten auch vielen Projektentwicklern als wenig erstrebenswert.

Eine Idee, die mit Blick auf den Bestand an inhabergeführten Läden und Gewerbe im Bahnhofsviertel aufkommt, ist die einer sogenannte „Gewerbe-SoBon“. Kurz zur Erklärung: Die „Sozialgerechte Bodennutzung“ (kurz SoBon) ist eine städtische Verordnung, die Bauträger verpflichtet, einen gewissen Prozentsatz für Sozialwohnungen vorzuhalten, wenn durch ein Bauprojekt eine Bodenwertsteigerung zu erwarten ist. Diese preisreduzierten Flächen müssen dann für mindestens 40 Jahre so im Bestand bleiben. Die Idee aus der LabWerkstatt: Dieses Prinzip könnte man auch aufs Gewerbe übertragen. Ein – aus betriebswirtschaftlicher Sicht – saurer Apfel, in dem man also vielleicht beißen müsste: lokale Unternehmen, Manufakturen oder soziale Einrichtungen in die Ladenzeilen in den Erdgeschossen lassen oder sie dahin bringen – auch wenn sie teils weniger zahlungskräftig sind, als andere Marktteilnehmer. Eine solche Vergabe könnte die Identität und die Lebensqualität im Viertel stärken, finden einige. Alteingesessene oder spezialisierte Gewerbe könnte es vor Verdrängung schützen.

Neues Arbeiten: Lass uns „Co-Werken“…

Grün, bunt, lebendig, bezahlbar, unverwechselbar. So stellen sich die Teilnehmer*innen der LabWerkstatt das südliche Bahnhofsviertel vor. Und bestenfalls kurze Wege von A nach B – Stichwort „15-Minuten-Stadt“. Von losen Ideen bis zu konkreten Projekten wurde in drei kleineren Arbeitsgruppen vieles diskutiert. Eric Treske (von interestik) und Anja von Klitzing-Bantzhaff (von the goodpoint) bündeln die Impulse der LabWerkstatt immer wieder und ermuntern zum kreativen Austausch unter den Teilnehmenden.

Zuletzt auch noch spannend zum Thema „Neues Arbeiten“: Dennis Maulbetsch erzählt in einer kurzen Lab-Pause von Co-Werken, ein kollaborativer Arbeitsplatz für (selbstständige) Handwerker*innen, den er vor einigen Monaten mit zwei Partnern gegründet hat. Die Idee: Betriebsmittel als Betreiber bereit stellen und durch eine Community gemeinsam benutzen. Im Westend ist gerade ihr erster Standort im KICKOFF – ein MUCBOOK CLUBHAUS gestartet, wo sich alles um den Werkstoff Holz dreht. Weitere Standorte für andere Werkstoffe wie Keramik & Glas, Metall & Goldschmiede, Textil & Siebdruck sind geplant. Vielleicht ja im Bahnhofsviertel? Für die richtige Stärkung zur Mittagszeit wäre durch die unzähligen Imbisse vor Ort jedenfalls gesorgt!


Klingt interessant?

Wir haben noch zwei weitere Termine, bei denen du in unserer LabWerkstatt mitdiskutieren und -wirken kannst. Wir freuen uns auf dich:

KLIMASCHUTZ & ENERGIEWENDE – am 18.01.2023

FREIRAUM & ÖFFENTLICHER RAUM – am 15.02.2023


Bilder: ©Mucbook

1Comment
  • Andrea Lipp
    Posted at 15:16h, 14 Dezember

    Super Event, ich hoffe, unsere tolle Idee wird in die Tat umgesetzt 🙂

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