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“Die Welt ist deine Leinwand”- Die Munich Graffiti Library Macher im Interview

Tobias Wullert

Im August 2022 eröffnete die Munich Graffiti Library unweit des Viktualienmarkts. Mit einer Mischung aus Bibliothek und Kino ist die Library vorerst als Zwischennutzung bis Ende Juli ein Treffpunkt und Veranstaltungsort für die Münchner Sprayer-Community. Mit rund 700 Titeln haben die Macher eine beachtliche Sammlung an Büchern und Magazinen zusammengetragen.

Mucbook traf die Macher*innen Benjamin Schandelmaier, Lorenz Wittmann, Petra Weigart, Bernhard Valenta und Josh Mosby zum Interview.

Die Munich Graffiti Lbrary ist Treffpunkt und Veranstaltungasort
der Münchner Sprayerszene.

Mucbook: Wer hatte die Idee zur Munich Graffiti Library?

Benjamin: Seit 2017 sammle ich Bücher über Graffiti und spezielles Stylewriting. 2020 kamen dann immer mehr Bücher dazu, so dass schnell die Idee entstand, einen eigenen Instagram-Channel einzurichten, um die Szene zu vernetzen und das Wissen über diese Bücher weiterzugeben, die teilweise sehr rar und nur noch schwer zu bekommen sind.

Und dann wolltet ihr dem Instagram-Account einen realen Ort geben?

Benjamin: Genau. Ich habe den Channel im September 2020 gestartet. Nach der Idee, ein Buch über Graffiti in München herauszubringen, habe ich einige Monate später mit Lorenz und Berni gesprochen, weil die beiden vor zehn Jahren schon einmal angefangen hatten, Bilder für ein solches Buch zu sammeln. Daraufhin haben wir einen Verlag gegründet und Petra mit ins Boot geholt.

Petra: Ja, ich bin die Einzige, die nicht aus der Graffiti-Kultur kommt, sondern aus der Club- und Veranstaltung-Szene. So haben wir alle unsere spezifischen Kenntnisse, die sich als Kollektiv dann ergänzen.

Was will die Munich Graffiti Library?

Benjamin: Wir wollen mit Veranstaltungen und der Bibliothek Wissen weitergeben und einen Platz für die Graffiti-Kultur schaffen. Dabei beschäftigen wir uns besonders mit dem „Stylewriting“, der Schriftkunst, wie sie in den 80er-Jahren in New York entstanden ist.

Petra: Aber nicht nur Wissen weitergeben, sondern auch Wissen sammeln, Wissen archivieren. Sowohl die kunsthistorischen Aspekte dokumentieren, als auch die sozialen Umstände, die dazu gehören, anerkennen, dokumentieren und bewahren.

Euch geht es also darum, die Relevanz von Graffiti zu betonen?

Benjamin: Wir wollten einen Ort schaffen, an dem man Zugang zu dieser Kultur bekommt und an dem ein Austausch stattfindet, auch für Leute, die sich vorher nicht damit beschäftigt haben und sich einfach nur dafür interessieren.

Wer kommt zu Euch?

Petra: Das ist eine ganz bunte Mischung an Leuten.

Benjamin: Ja, das ist wirklich generationenübergreifend. Bei der letzten Veranstaltung waren zum Beispiel Kinder von Sprühern genauso vertreten wie Veteranen der Sprüherszene. Das war wirklich schön zu sehen.

Lorenz: Dank der Citylage haben wir auch immer wieder Laufpublikum. Auch Leute aus dem Ausland, die erstaunt sind, dass München mitten im Stadtzentrum einen Raum für Graffiti hat, was man vielleicht eher in Berlin erwarten würde. Aber München hat auch eine bis in die frühen 80er-Jahre zurückgehende Graffiti-Historie.

Aber ist bei der Vielfalt, die Street Art heute bietet, Graffiti überhaupt noch zeitgemäß?

Lorenz: Wenn man Graffiti in den kultur- und kunsthistorischen Kontext setzt, wird Graffiti in den nächsten 20 Jahren als eine der bedeutendsten Kunstformen des 20. und 21. Jahrhunderts gesehen werden. Graffiti ist jetzt an einem Punkt, an dem es aus den Kinderschuhen herausgewachsen ist. Früher war Graffiti ein Phänomen der jugendlichen Subkultur. Jetzt sind diese Sprüher erwachsen und es hat sich eine ernstzunehmende Kunstform daraus entwickelt. Aufgrund ihrer Vergänglichkeit beinhaltet Graffiti auch eine wahnsinnige Dynamik und generiert einen großen Impact – ob es jetzt im Grafik-Design, in der Mode oder in der Contemporary Art ist. Graffiti funktioniert auch außerhalb des HipHop-Kontextes.

Benni: Ich finde die Diskussion Streetart versus Graffiti hinfällig, weil beides seit den frühen 80ern nebeneinander existiert. Keith Haring und Richard Hambleton haben zur gleichen Zeit gewirkt, als es in New York mit Stylewriting auf den Zügen abging. Beides lief parallel. Der Künstler Basquiat hat zum Beispiel als Sprayer angefangen. Seine Kunst hat sich zu Contemporary Art weiterentwickelt und heute sind seine Bilder unbezahlbar.

Wie seid ihr selber zum Sprayen gekommen?

Petra: Bei mir wars der zweite Lockdown.

Berni: Das ist schon lange her. Eigentlich übers Fernsehen. Ich habe spät nachts zufällig die Dokumentation „Style Wars“ im BR gesehen. Damals war das Breakdance- und Rap-Thema ganz groß. Dann habe ich angefangen, selber zu sprühen.

Du hast das gesehen und gedacht, das kann ich auch?

Berni: Nicht das kann ich auch, sondern das will ich auch machen.

Wann war das?

Berni: 1985, 1986. Seitdem war ich immer interessiert und aktiv dabei

Worum ging es Dir dabei?

Berni: Es ging schon um eine Art Selbstdarstellung. Ich fand das auch nicht negativ, sondern reizvoll, wenn man durch die Stadt geht und seinen Namen liest.

Benjamin: Das war damals auch eine ganz andere Zeit. In den 80ern gab es ja kaum Inspiration. Es gab nur wenige Bücher, wie zum Beispiel im Jahre 1984 „Subway Art“. Als ich 1994 angefangen habe, war der Weg schon einigermaßen geebnet.

Josh: Ich habe mit 15 Jahren zusammen mit meinem Bruder angefangen zu sprayen. Ich stamme aus Atlanta, Georgia und kam vor kurzem nach München, um Soziologie zu studieren.

Und die Geschichte in München ging mit Kopieren oder Imitieren los?

Bernhard: Ja, eher mit imitieren.

Benjamin: Wir hatten Mitte November eine Veranstaltung, bei der es um den Geltendorfer Zug ging , der 1985 als erster komplett besprühter Zug in Deutschland szeneintern für Furore gesorgt hat. Vier der Protagonisten kamen und erzählten ihre Geschichten. Das war mega spannend, diese Stories aus erster Hand zu hören. Von jemandem, der keine Blaupause hatte und einfach loslegte. Nach dem Motto: ‘Wir machen das, was wir im Fernsehen gesehen haben, und wir machen es genauso wie wirs im Fernsehen gesehen haben.
Petra: Das Schöne ist ja auch zu hören: “Dann haben wir’s einfach gemacht.“ Du musst dir keine Tickets für ein Museum besorgen, sondern du gehst einfach vor die Tür und du brauchst auch kein Atelier oder eine Leinwand.

Lorenz: Wir nehmen für unsere Veranstaltungen auch keinen Eintritt. Wir wollen ein niedrigschwelliges Programm anbieten , an dem jeder teilnehmen und einen Einblick in die Szene bekommen kann.

Wird Sprühen immer noch geahndet?

Benjamin: Ja, es wird sogar härter bestraft als früher. Wenn du beim dritten Mal erwischt wirst, kannst du mit einer Freiheitsstrafe von bis zu drei Jahren rechnen.

Lorenz: Es ist kein Zuckerschlecken und wird europaweit standardisiert gefahndet, mit Auslieferungsverfahren und Einreiseverboten. Die Kriminalisierung der Kunstform, die das Ganze ja auch attraktiv und spannend macht, ist schon heftig. Es ist auch gar nicht so der Adrenalinkick oder das Abenteuer, wie viele glauben, sondern die Dynamik, die Geschwindigkeit und die Planung dahinter.

Es kommen wenige hierher, die das Thema nicht verstehen. Einmal hatten wir eine Lesung von einem Sprüher, der in Güterzügen durch Europa reist, da stand eine Frau und fand das Plakat total schön. Nachdem sie den Beschreibungstext gelesen hat, meinte sie aber: ‚Des is a Schmarrn, das ist ja kriminell.‘ Aber ansonsten sind auch viele ältere Leute begeistert, wenn sie kommen und sehen, was wir anbieten.

Für legales Graffiti gibt es in der Tumblingerstraße diese Wand, auf der sich die Farbschichten schon türmen.

Petra: Davon braucht es auf jeden Fall mehr.

Benjamin: Die Wand gibt es seit 1989.

Lorenz: Wäre schön, wenn in der Hinsicht mehr passiert. Aber wenn du dort hingehst, reagieren die Sprüher dort verschlossen. Der Raum, den wir hier anbieten, steht allen offen, wir wollen hier niemand ausschließen.

Es ist schon eine sehr männlich dominierte Szene.

Petra: Noch, aber es wird besser.

Benjamin: Zum Glück ändert sich das, denn gerade die Sichtweise von Frauen auf die Szene ist super interessant.

Lorenz: Wo man es nicht erwartet, nämlich in Osteuropa ist der weibliche Anteil unter den Sprühern sehr viel größer als bei uns. In Moskau und St. Petersburg gibt es eine sehr aktive weibliche Szene.

Woran liegt das?

Lorenz: Ich habe keine Ahnung. Aber es hat mich auch sehr erstaunt, als ich dort war. Dort geht es glaub ich mehr darum, aus Normen auszubrechen und dort ist die Gesellschaft doch noch männlich traditioneller geprägt.

Wollt Ihr auch Workshops anbieten?

Benjamin: Nach dem Erfolg der ersten beiden Sessions wollen wir auch in Zukunft Open Sketch Sessions veranstalten, bei denen jeder eingeladen ist, zu kommen und zu zeichnen. Wir wollen mit einem abwechslungsreichen Programm Lobbyarbeit für unser Genre machen.


Beitragsbild: © Tobias Wullert

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