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Kunstkioske: Wie verlassene U-Bahn-Standl wieder zum Leben erweckt werden

Tobias Wullert

Nachdem viele Kioske an den Münchner U-Bahn-Haltestellen jahrelang leer standen, bekommen sie nun im Rahmen der Aktion Kunst Kioske vom 20. September bis 15. Dezember neues Leben eingehaucht. Bis zu ihrer Sanierung werden sie als Ausstellungsorte genutzt. MUCBOOK sprach mit den Initiatorinnen und einem Künstler.

Von der Zeitung am Morgen über Kaffee bis hin zu Fahrkarten und Zigaretten. Die Kioske an den Münchner U-Bahnen versorgten jahrzehntelang zuverlässig ihre Kunden. In den letzten Jahren aber haben immer mehr Kioskbesitzer aufgehört und so standen Passant*innen öfters vor grauen Rollläden. Die Gründe dafür sind vielfältig: schlechte Gewinnmargen, hohe Mieten und eine Menge an sicherheitstechnischen Maßnahmen machten es den Betreibern zuletzt nicht leicht, über die Runden zu kommen. Zudem ließ die digitale Konkurrenz die Verkäufe bei Tickets und Zeitungen zurückgehen. Die Corona-Krise hat den Leerstand dann noch verschärft.

Inzwischen stehen 30 dieser von den Stadtwerken München (SWM) betriebenen Kioske leer. Um diesen Leerstand produktiv zu wenden, wurde auf Idee mehrerer Künstler*innen hin bereits im Oktober 2021 der Stadtratsantrag der Fraktionen SPD/Volt und Die Grünen-Rosa Liste SPD/Volt „Leerstehende Kioskflächen in U-Bahnhöfen wiederbeleben“ gestellt. Der Plan: Die leerstehenden Kioske sollten als Pop-Up-Galerien oder Verkaufsräume für die Kreativwirtschaft genutzt werden.

Über 200 Bewerbungen gab es

Aus rund 200 eingereichten Vorschlägen wurden 10 Künstler*innen ausgesucht, die mit ihren Konzepten überzeugen konnten. Die PLATFORM München und der Berufsverband Bildender Künstlerinnen und Künstler München und Oberbayern e.V. (BBK) konzipierten und realisierten das Projekt gemeinsam. Das Kulturreferat der Landeshauptstadt München, das Kompetenzteam Kultur- und Kreativwirtschaft fördern und SWM und unterstützen das Vorhaben.

Mit-Initiatorin Radmila Krstajic von der PLATFORM München ist überwältigt von der Fülle an Bewerbungen: „Das zeigt, dass die Kioske ein sehr spannender Ort sind, um sich damit künstlerisch auseinanderzusetzen.” Ein Vorauswahlgremium lud im März 2023 dann 20 Künstler*innen und Kollektive ein, einen Konzeptentwurf einzureichen. Das Gremium bestand aus: Philipp Reutter (Vertreter der SWM); Constanze Metzel (freie Kuratorin), Ralf Homann (Künstler), Gabi Blum (Künstlerin, Vertreterin des BBK München und Oberbayern); Radmila Krstajic (Kunsthistorikerin, Vertreterin der PLATFORM). Ende April tagte das Preisgericht und empfahl 15 Projekte zu einer Realisierung, von denen in der ersten Runde zehn Projekte realisiert wurden.

Auftakt 20. September – An diesen Haltestellen gibt’s was zu sehen

Die Auftaktveranstaltung zum stadtweiten Projekt findet am 20. September um 15.30 Uhr vor der Kirche am Josephsplatz statt. Nach den Grußworten von Kulturbürgermeisterin Katrin Habenschaden finden Rundgänge zu jeweils drei bis vier weiteren Kiosken statt. Das Spektrum reicht dabei von Videoarbeiten bis zur Aktionskunst. Der Kiosk an der Quiddestraße  etwa wird von Louisa Abdelkader zum Paketshop umgewandelt. Leere Standardpakete werden hier in Kunstobjekte umgewandelt, im Kiosk ausgestellt, wiederum als Versandboxen an Passant*innen verschenkt und von diesen verschickt.

Die Jury für die erste Runde überzeugen konnten außerdem Peter Kees (Brudermühlstraße), Simone Egger und Christian Weiß (Hasenbergl), Michael von Brentano (Josephsburg), Paula Leal Olloqui (Messestadt Ost), Regina Baierl (Michaelibad), Alexander Steig (Nordfriedhof Nord), Ute Heim (Petuelring) Martin Schmidt (Josephsplatz) und Emanuel Mooner (Schwanthalerhöhe).

Schwanthalerhöhe – Ein Kiosk wird zum imaginären Club

Am U-Bahnhof Schwanthalerhöhe hat der Künstler Emanuel Günther, auch bekannt als Mooner, einen Kiosk mit mannshohen Spiegelwänden und LED-Lichtschläuchen in einen imaginären Underground-Club verwandelt, vor dem das Schild „Wegen Überfüllung geschlossen“ baumelt. „Ich habe meine 14-jährige Tochter gefragt, was sie machen würde, und sie meinte „Clubvibe“: Mach doch was, das so aussieht, als ob dort eine illegale Party stattfindet“, erzählt er über seinen Kiosk.

„Mir ist dann sofort diese Geschichte eingefallen vom Pariser Lokal „Chez Regine“, eigentlich der erste Club, in dem Schallplatten gespielt wurden. Die Besitzerin hat am Eröffnungsabend von innen die Tür abgesperrt, ganz laut Musik laufen lassen und draußen ein Schild aufgehängt mit der Aufschrift „Wegen Überfüllung geschlossen“, und alle wollten rein, aber es kam keiner rein.“

„In ist, wer drin ist“

Mit diesem gewitzten Schachzug sorgte die „Chez Regine“-Wirtin Regine Zylberberg damals für Wirbel in der Pariser Szene und bei der eigentlichen Eröffnung zwei Wochen später herrschte reger Andrang bei „Chez Regine“. Zu den Stammgästen der historisch vielleicht ersten „Discotheque“ zählten Schauspieler*innen und Künstler*innen wie Jean-Paul Belmondo, Alain Delon, Brigitte Bardot, Salvador Dalí.

„Das ist für mich Situationismus,“ sagt der Künstler, der selbst früher als DJ und Mitveranstalter der Zombocombo-Partys in der Registratur für Aufsehen sorgte, aber auch Underground-Partys in leerstehenden Fabrikhallen schmiß und der für seine Kunst immer wieder „Lost Places“ sucht. Die Frage, wer wo reinkommt und warum oder warum nicht, sei für ihn eh ein spezielles Münchner Thema, gerade wenn man an Schickeria, „Monaco Franze“ oder „Kir Royal“ denke.

„Die Installation nimmt aber auch Bezug auf die Situation während des Lockdowns, als keiner feiern durfte und DJs in leeren Clubs aufgelegt haben.“

Kein Audio, Kein Strobo, Kein Neon

Eine der Herausforderungen des Projekts war für Mooner, alle sicherheitstechnischen Auflegen zu erfüllen. „Mein ursprüngliches Konzept fanden alle super und dann kam die technische Aufsichtsbehörde und strich fast alle wichtigen Komponenten raus. Ich durfte kein Audio, kein Stroboskop, kein Neon, kein Halogen und keinen Nebel verwenden.“ So muss er es jetzt die Illusion eines illegalen Clubs schaffen, ohne dass von draußen Musik zu hören ist. „Ich werde einen QR-Code an die Scheibe kleben und mit deinem Handy kannst du dann den Clubsound hören. Eine Nacht lang war ich auf Parties unterwegs und habe Clubatmosphäre aufgenommen, also auch das Gequatsche der Leute, das Wummern der Bässe. Eigentlich wollte ich, dass, wenn man an die Tür klopft, ein Sensor auf das Klopfen reagiert und dann so Türstehersprüche zu hören sind wie: ‚Heute nur für Stammgäste‘ oder ‚Geschlossene Gesellschaft‘. Aber auch das wurde mir nicht erlaubt. Du bist so unfassbar eingeschränkt.“

„Ich will Kunst für alle machen, ohne eine Schwelle, wie bei Beuys.“

Der Ort habe ihn sofort angesprochen, denn anders als viele Künstlerkollegen, findet er Zwischennutzungen spannend und herausfordernd. „Weil das genau mein Beuteschema ist: Leerstand, ungenutzter Raum. Das finde ich immer wieder spannend. Denn Passanten, die gerade zufällig vorbeilaufen, sind dein Publikum. Ich würde nie mit einer Galerie zusammenarbeiten, weil ich nicht Teil des Kunstmarkts werden will, ich will kein Bild verkaufen, das finde ich so mittelalterlich. Ich will Kunst für alle machen, ohne eine Schwelle, wie bei Beuys. Die Kunst soll bei ihm für alle da sein, kostenlos für das Publikum, und im Idealfall den Leuten einen direkten Mehrwert bringen. Wie bei dem Kunstprojekt „Power For All“, als er im Sugar Mountain in Sendling ein knallorangegelbes Häuschen baute, das mit Solarpanels auf dem Dach Strom erzeugte und dessen Steckdosen von jedem genutzt werden konnten.

Hier kommt die Kunst zum Publikum

Angesichts einer weiteren Zwischennutzung stellt sich jedoch die Frage, ob es nicht  besser wäre, statt solcher temporären Projekte mehr dauerhafte Ort für die freie Kunstszene zu schaffen?

„Als jemand, der im Kulturbereich tätig ist, finde ich es selbstverständlich am besten, wenn es in München dauerhafte Ausstellungs- und Arbeitsorte für Künstler*innen gibt“, sagt Radmila Krstajic von der PLATFORM München. „Kunst ist keinesfalls dazu da, Lücken zu füllen. Dennoch handelt es sich bei den leerstehenden Kiosken um besonders faszinierende Orte für künstlerische Bespielung“, erklärt sie. “Sie sind sowohl aus historischer wie auch aus architektonischer Sicht und hinsichtlich ihrer Nutzung äußerst inspirierend für Künstler*innen. Außerdem bieten sie einen niedrigschwelligen Zugang zu Kunst, ohne Eintrittskarten und feste Öffnungszeiten. Für viele Menschen ist es nicht einfach, einen Kunstort zu betreten, da es viele Hürden gibt. Hier kommt die Kunst zum Publikum, und nicht das Publikum zur Kunst.“


In aller Kürze:

Was? Kunst Kioske

Wann? Ab 20. September, Auftaktveranstaltung um 15.30 Uhr am Josephsplatz

Wo? An 10 U-Bahn-Kiosken im Stadtgebiet (Brudermühlstraße, Hasenbergl, Josephsburg, Quiddestraße, Messestadt Ost, Michaelibad, Nordfriedhof Nord, Petuelring, Josephsplatz. Schwanthalerhöhe)

Bilder: © Tobias Wullert

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