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Diebe unter uns

Markus Michalek

C-neu

Der Münchner Web-Poet Kapinski schreibt in mucbook jede Woche über das Autorendasein – heute über Unsterblichkeit und Originalität.

Eine der goldenen Regeln im Literaturbetrieb lautet: Sich in den Kanon einschreiben. Damit der literarischen Unsterblichkeit Vorschub geleistet werden möge.

Viele Wege führen dorthin, manche länger, manche kürzer, manche schwerer, manche leichter und manche enden im Nirgendwo.

Wild, frech, frei und unverblümt – in der Kunst wird geklaut, was das Zeug hält. In Fachkreisen auch gern samplen genannt.

Ich habe mich bereits einmal über die achthundertneunundzwanzig unbekannten, weiteren Judith Herrmanns geäußert, (die die Welt nicht braucht) ebenso darüber, dass Thomas Bernhard einen dankbaren Stil hat. Die Syntax aufgepeppt, mit verwinkelten Konstruktionen versehen und schon klingt fast jedes halbgare Geschreibsel ein bisschen danach. Harsch dann aber das Urteil der Kritik, siehe: diesjährige Tage der deutschsprachigen Literatur in Klagenfurt – war da nicht ein junger Mann, der ganz neo-postmodern seine Blätter aß, während die Jury lediglich eine Schreibübung im Bernhardschen Sinn unterstellte und die Performance belächelte?

Die Kopie erreicht in den wenigsten Fällen die Qualität des Originals. Eine Übung aber ist eine Übung ist eine Übung ist eine Übung – in den seltensten Fällen wird daraus ein neues Meisterwerk. Nur, genau das ist der Sinn einer Kopie: Üben, um irgendwann zum eigenen Stil zu gelangen – zum Original. (Das erinnert sich spätestens im Gedenken an den Kunstunterricht, wo es an dreißig Personen hieß: „Blaues Pferd I“ nachzeichnen)

Diebisch, diejenigen, die sich einen Stil stehlen, weil sie keinen eigenen haben. Schade drum, aber nicht jeder Mensch hat auch eine Schicksalslinie in seiner rechten Handinnenfläche.

Schlimmer noch, solche, die sich einen Stil nicht nur stehlen, sondern damit auch noch den großen Reibach einfahren – als wäre es eine Kunst, eine bereits erzählte Geschichte noch mal zu erzählen. Beruhigend zu wissen, dass die Verlagswelt dem oft genug einen Riegel vorschiebt. Weniger beruhigend, dass eine bekannte deutsche Boulevardzeitung regelmäßig ein neues Literaturwunder verkündet. Zuletzt: Die neue Charlotte Roche, härter, freizügiger, jünger.

Mörderisch aber jene, die den Stil nicht nur stehlen, sondern seelenlos, ohne jegliche Eigenkreation abtippen – sie stehlen dessen Innenleben und töten es ab. Das Ergebnis: Ein Plagiat.

Sicher, es gibt Ausnahmen, aber die betreffen oft am wenigsten den Stil: Leo Perutz „zwischen neun und neun“ sowie Helmut Krausser „UC“ basieren auf einem ähnlichen Erzählprinzip. Ein absolut legitimer Vorgang, schließlich unterscheiden sich beide in Handlung und Stil, wie sich ein Rolls Royce von einem Volkswagen unterscheidet, von Wirkung der Texte und deren Rezeption mal völlig abgesehen.

Ich habe oft Stile kopiert. Um zu üben. Das letzte Mal: Michael Stavaric und seine böse Spiele, die eindringlichen, indirekten „Dass-Satz“-Konstruktionen waren so verlockend, dass eine ausgewachsene Erzählung daraus wurde – was habe ich mich gefreut, wie ich mich immer freue, wenn ich einen Punkt setze. Der Kommentar eines befreundeten, bereits gemachten Autors war weniger erfreulich: dass ich den kopierten M.S. fragen hätte sollen, ehe ich das an einen Verlag schicken würde, dass ich mir aber keine Sorgen machen brauche, weil es vermutlich nicht gedruckt werden würde. (ganz, wie es dann auch kam)

Dass aber nach einigen Monaten Stillzeit und anschließender Überarbeitung aus der ausgewachsenen Erzählung eine Kurzgeschichte wurde, die sicher nicht eine der Schlechtesten ist; ebenso aber auch längst nicht das Beste, dass sie aber auch einen eigenen Stil nun besitzt, dass aus der Kopie also etwas Neues wurde.

Dass das niemand vergisst, der schreibt!

Nachtrag I: Was ich tun würde, wenn einer mich irgendwann kopierte? Dass ich ihm eine Stunde Unterricht gäbe, die er nie vergäße.

Nachtrag II: Es gibt noch eine zweite Regel – dass man nicht für den Markt schreiben sollte. Selbst wenn die Verlockung groß ist, selbst wenn die Kopie des gerade erst Neuen (und damit in aller Munde und auf allen Nachttischen) fast perfekt ist. In unserer Zeit feiert der Rummel des Ruhms Un-Bücher, die aus dem Zeitgeist zusammengebraut sind. (Gilles Deleuze, Unterhandlungen) Und wir feiern Literaturprinzen und Literaturprinzesschen mit zarten Seelen und wenig neuer Schreibe.

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