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Discogeflüster (3): München – Stadt ohne Bass

Tobias Wullert

„Liebe Gäste und Freunde der Registratur, aufgrund langanhaltender kräftezehrender Auseinandersetzungen mit den Nachbarn wird es die Registratur in der jetzigen Form nicht mehr geben“. Mit dieser Hiobs-Botschaft begann für die Freunde der Registratur das Jahr 2017. Na gut, die neue Inkarnation der Registratur als Bar war nur blasser Schatten der ruhmreichen Vergangenheit als Club. Erwachsen, wie ein Pärchenabend an dem man seine alten Freunde nicht mehr wieder erkennt, die Bierflaschen einen Untersetzer bekommen und man zum Rauchen auf den Balkon geschickt wird – vom „Home of the Rave“ zum „Home of the Brav“.

Umso mehr stellt sich die Frage, wie es so weit kommen konnte, innerhalb eines Jahres so viel Gegenwind zu bekommen, dass man schließlich die Segel streichen muss. Noch dazu, weil in der Müllerstraße seit Jahrzehnten gefeiert wird, schließlich gibt es das Pimpernel schon seit 1970. Doch muss man auch sagen, dass die Müllerstraße selten so bevölkert war, wie an den Wochenenden in den letzten Jahren. Wenigstens am Bass musste aufgrund aufwendiger und kostspieliger Schallisolierung in der Registratur Bar selten gespart werden.

Die tiefen Frequenzen werden aber nicht nur durch die Ohren wahrgenommen, sondern mit dem ganzen Körper – und sie leiten sich auch durch Häuserwände und über Heizungsrohre weiter. So fällt der netten, unschuldigen Tieffrequenz oft der schwarze Peter zu. Auch der Blumenbar wurde vor einigen Jahren der Bass zum Verhängnis und in vielen Bars heißt es heute: Feiern ohne Bassboxen oder Subwoofer.

Vorbild Elbphilharmonie

Um möglichst niemanden zu stören, ging das Harry Klein bei seinem Umzug im Juni 2010 ganz neue Wege: Die Betreiber nahmen sich ein Vorbild an der Hamburger Elbphilharmonie und bauten für einen sechsstelligen Betrag eine mehr als aufwendige Raum-in-Raum-Konstruktion ein, bei der ein riesiger Betonwürfel von 12 Stahlfedern isoliert wird, die sämtliche Schallwellen absorbieren und so den Schlaf der Nachbarn garantieren sollen.

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Wer über zu viel Bass schimpft, hat vermutlich noch nie das Endorphin gespürt, das durch den den Körper strömt, wenn im Club der Sub-Bass einsetzt. Eine mächtige Bass-Umarmung, die deine Nasenflügel flattern und die kleinen Härchen auf deinen Unterarmen flimmern lässt.

„Der Bass kommt daher, wo’s Blut herkommt“

…sagt Bene von der Schlachthofbronx. Folglich wäre eine Stadt ohne Bass blutleer und hätte kein Herz? Um diesen Missstand zu beheben, entstand vielleicht deswegen grade hier in München die Idee zur „Blurred Vision“ – einer Party, die sich zur Aufgabe gemacht hat, ein einzigartiges Bass-Biotop aus 26 Boxen in die Muffathalle zu stellen und Bass zu einer körperlichen Erfahrung zu machen.

Was wir brauchen, sind definitiv mehr Gespräche und weniger Verbote. Vielleicht sollte man die „bösen“ Nachbarn auch einfach mal einladen mitzufeiern? Denn nicht jede Bar kann sich eine teure Dämmung leisten. Oder dürfen wir in Zukunft alle nur noch in schallisolierten Kammern feiern?


Fotos: (c) Tobias Wullert

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