Kultur, Nach(t)kritik

Ein Schweizer auf der Suche nach der Zeit

Peter Teschke

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Vor hundert Jahren schon begab sich Marcel Proust auf die “Suche nach der verlorenen Zeit”. Sein dreibändiger, tausende Seiten starker Roman in dem er versucht, dem Verrinnen der Zeit durch Erinnerung zu entkommen, treibt noch heute viele Leser in die Verzweiflung. Einen ähnlichen Weg geht nun der Schweizer Autor Martin Suter mit seinem aktuellen Roman “Die Zeit, die Zeit”.

Allerdings gelingt es Suter, seine Erkenntnisse über die Zeit und wie man sie aufhalten könnte, weit unterhaltsamer und lesefreundlicher an sein Publikum zu bringen. Das Münchner Literaturfest bot ihm nun Gelegenheit das Buch vorzustellen und einen Erklärungsversuch zu unternehmen, was denn Zeit eigentlich ist. Zusammen mit dem Autor und Philosophieprofessor der LMU, Wilhelm Vossenkuhl versuchten sie den Spagat zwischen Lesung und philosophieren über die Zeit. Ein Versuch, der dem ungleichen Gespann leider nicht gelang. Vossenkuhl bemühte sich um eine akademische Herangehensweise, zitierte den englischen Philosophen Mc Taggart und wunderte sich über den Autor Suter, dem einfach nur die Vorstellung gefiel, dass es keine Zeit gäbe und auf dieser Idee seinen Roman aufgebaut hat. Immer wieder redeten die beiden aneinander vorbei, Suter erzählte, dass im Fussball kein Konjunktiv verwendet werde, Vossenkuhl outete sich daraufhin als Fussballfan, Suter fuhr ihm dann mit der Bemerkung,  eigentlich interessiere er sich überhaupt nicht für Fussball, in die Parade.

Wilhelm Vossenkuhl und Martin Suter

Wilhelm Vossenkuhl und Martin Suter

So waren die bemühten Diskussionen der beiden der überflüssige Teil der Veranstaltung. Auch den Reaktionen des Publikums merkte man an, dass sie hauptsächlich wegen Martin Suter die große Aula der LMU bis auf den letzten Platz gefüllt haben.
Die Geschichte um die beiden ungleichen Männer, die getrieben von unterschiedlichen Zielen an einer gemeinsamen Aufgabe arbeiten, hat es durchaus Bestsellerpotential. Suter gelingt es darin, durch ausführliche Beschreibung von Details und Handlungsabläufen ähnlich wie Proust, ein Gefühl zu vermitteln, dass keine Zeit verginge. Das ist auch die Hauptthese des Romans. “Die Zeit verstreicht nicht, weil es sie nicht gibt”, erklärt Suter, “je mehr Details man erfährt, desto weniger vergeht die Zeit”. Und so machen sich die beiden ungleichen Protagonisten des Romans an den gewagten Versuch die Zeit zurückzudrehen. Der eine, weil er besessen ist von dieser Idee und ihrer Umsetzung, der andere weil er hofft dadurch den gewaltsamen Tod seiner Frau vor vielen Jahren aufzuklären.

Lesung Suter-0017

Nach anderthalb Stunden war der Abend zu Ende, gern hätte man noch mehr vom Leben der beiden Getriebenen in dem charmanten Dialekt des Schweizer Autors gehört. Der durfte sich im Anschluss in das zügige Treppenhaus der Uni an einen kahlen Tisch zur Signierstunde setzen. “Nur den Namen, keine Widmung” wurde er angewiesen. In Anbetracht der langen Warteschlange verständlich, die Fans selbst hätten es sich etwas herzlicher gewünscht.

Peter Gardill-Vaassen