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Frei&Liebe (6): Der Konjunktiv, klebrig

Sharon Brehm

Meine Wangen sind heiß, furchtbar heiß. Und klebrig. Der Kloß in meinem Hals ist weg. Runtergeweint. Wieder. Und wieder. Und wieder. Von außen würde ich mir am liebsten eine schellen. Die Situation ist doch eigentlich ganz klar: Wenn dir jemand nicht gut tut, dann sollte diese Person nicht mehr Teil deines Lebens sein. Erst recht nicht, sollte die Person, die du liebst, dir wehtun. Eigentlich… aber anstatt den Zeigefinger zu heben, öffne ich den Wasserhahn, spritze mir kühles Nass aufs Gesicht. Wieso werden Wangen nur so klebrig von Tränen?

Wo ist dein Puls?

Man sagt, Männer würden sich trennen und dann erst darüber nachdenken. Und Frauen zerdenken die Beziehung, bevor sie wirklich in die Brüche geht. Töte ich eine Liebe mit Zweifeln, mit dem Festhalten an Wunden, oder ist sie nicht schon lange zuvor ausgeblutet? Und wann ist eine Liebe wirklich tot, wann sind alle Reanimationsmaßnahmen zwecklos? Oder kann ich einfach nur nicht den Puls finden?

Denn das Problem ist, dass ich ganz offensichtlich nicht glücklich bin, meine aber, dass ich das mit dem anderen werden könnte, weil wir es bereits waren. Und weil ich – und das ist wohl das noch größere Dilemma – die andere Person wirklich liebe, stehe ich so verloren im Bad. Nietzsche meinte wohl zu Recht, dass Hoffnung die Geißel der Menschheit ist, denn auch ich fühle mich an meine eigenen Illusionen und Erinnerungen gekettet. Denn das Jetzt, mit klebrigen Wangen und einer Brustdecke, die sich nur mit tiefen Seufzern hebt, weil einem so schwer ums Herz ist, kann ja nicht für die Ewigkeit sein. Vielleicht ist das der Zyklus des Liebens. Man beginnt mit der Unfähigkeit das Lachen des Anderen zu lesen und endet mit groteskem Rätselraten von Tränen.

Das Schöne – Du.

Ich schaue in den Spiegel. Ja, die Augen sind immer noch rot, die Wangen glühen. Bilder von seinem Gesicht neben mir, seinen waldgrünen Augen in denen ich mich spiegle. Kratzigem Bart herrlich kitzelnd im Nacken. Geteiltes Eis von True&12, Herbsttage in frisch bezogenen Betten, Reiseträume an der Isar – Menschen können einfach so schön sein, Zweisamkeit sich so richtig anfühlen.

Und damit halte ich an der Beziehung fest, zerreiße mich innerlich (echt bescheuert) und bringe den anderen in den Wahnsinn (weil, man sieht mir meine Zerrissenheit definitiv an). Denn zu all dem Schönen, haben sich Zweifel gesellt. Manche kamen schleichend, fast lautlos. Andere waren einfach da, unerwartet. Jetzt fühlen sie sich an wie mit Fleischermesser, die das eigene Herz zermetzeln bis niemand mehr sagen könnte, was es einmal war. Was es noch ist. Nur noch körperliche Romanze, liebender Körper, romantischer Geist?

Wenn, wenn, wenn.

Die Erinnerung treibt mir gleich wieder Tränen in die Augen. Es ist furchtbar, wie ein einziger Gedanke an eine Tat oder Eigenart, auf die man nie Einfluss hatte oder haben wird, einen so traurig machen kann. Ich hasse dieses ständige Zweifeln, dieses in der Luft hängen, nicht wissen, was man will und die Unfähigkeit weder einen Schritt nach vorne noch zurückgehen zu können.

Denn jeder Schritt bedeutet unweigerlich Verlust. Entweder verabschiede ich mich von dir und dem Glücklich-gewesen. Oder von meiner Sehnsucht nach Mehr, nach Besserem, nach Glücklich-sein. Und was, wenn ich mich nur anstelle, wenn der andere die nächste Asymptote zur Perfektion ist? Wenn es doch wieder wie früher wird? Wenn, wenn, wenn … Verfluchter Konjunktiv, der auf meinen Wangen klebt. Der mir tausend Antworten auf meine, vielleicht auch deine, Fragen schuldig bleiben wird.

 

Eine monatliche Liebeskolumne.

Fotocredits: Flickr Ksenia Hovalt via CC2.0

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