Of Kisses and Capes
Aktuell, Kultur

Gefühle, Geschichten und wichtige Gedanken – so war das Filmschoolfest 2023

Karla Hamm

Geschichten zu erzählen liegt in der Natur der Menschen. Film ist dafür ein großartiges Medium. Was Menschen so menschlich macht und was man sonst noch alles vom Filmschoolfest 2023 lernen kann, liest du hier.

Letzte Woche fand in München das Filmschoolfest statt. In der 42. Runde wurden hier wieder internationale und deutsche Kurzfilme der Up and Coming neuen Generation gezeigt. Als Filmenthusiastin ein Event, das ich nicht verpassen will. Die Tage sind eingeteilt in Programme: die Regelprogramme, HFF-Specials und extra Programme für spanischen und französischen Kurzfilm. Ich habe 6 Programme besucht, 23 Kurzfilme gesehen, geweint und gelacht, und vor allem viel gelernt.

Film kann alles sein

 

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Ein Beitrag geteilt von Kasper Lorek (@kasperlorek)

Während ich durch meine Notizen stöbere, 7 Seiten vollgekritzelt mit Text und Bewertungsternchen, sticht vor allem eine Phrase ins Auge. Immer wieder steht dort „Film ist …“. Denn ich finde, Film ist vieles:
Film ist liebevolle Nischenarbeit. Der schwarzweiß Kurzfilm „Eins zu Eins“ befasst sich mit der Freundschaft zweier gehörbeeinträchtigter Jungs. Der polnische Kurzfilm „Diabeł“ („Teufel“) zeigt die Geschichte eines Manns, der sich als Teufel verkleidet, um alten Menschen das Geld aus der Tasche zu ziehen in. In beiden Fällen haben ein paar Menschen sich dazu entschieden, Kraft und Zeit in eine spezielle Geschichte zu investieren, um diese Geschichte zu erzählen.
Film ist ein bildendes Medium. Man lernt die Geschichten anderer Menschen kennen, neue Fakten oder einfach nur wie schön Farben und Licht zusammen spielen können.
Film ist ein unglaublich aufwändiges Medium. Das wird vor allem in den Q&As nach den Vorführungen klar: Alleine die Crew, die es braucht, um nur einen siebenminütigen Film herzustellen, ist groß, ganz abgesehen von der Menge an Arbeit, die zwischen Idee und Leinwand steht.
Film schafft einen Raum für Diskussion, bringt Gedanken und Leute zusammen. Vor allem aber schafft Film im Idealfall einen Raum für Perspektivenwechsel.

Im Kinosaal die Welt aus einem anderen Blickwinkel betrachten

 

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Ein Beitrag geteilt von Willian Guinati (@willguinati)

Meiner Meinung nach schafft es kein Medium so gut wie Film, einem neue Wahrnehmungen der Welt aufzuzeigen. Man betrachtet Geschichten wortwörtlich aus den Augen anderer. Damit meine ich nicht nur die Protagonist*innen, sondern auch eine Kamera, die nach einem Drehbuch filmt, das in einem fremden Kopf entstanden ist.

Der spanische Kurzfilm „L’Avenir“ („The Things to come“) beispielsweise, handelt von zwei Kindern und deren Freundschaft. Die Geschichte ist so simpel und gleichzeitig so durchdacht. Die kindliche Art der Begegnung mit der Welt ist eingefangen in jedem Bild, in jeder Handbewegung und in jedem haschenden Seitenblick. Ich kann meine eigene Kindheit fast riechen, so vertraut wirken die Bilder auf mich. In „L’Avenir“ blickt man nicht nur durch Kinderaugen auf die Welt, sondern auch mit einem besonders aufmerksamen Blick. Der Fokus liegt auf den kleinen Dingen und die Liebe zum Detail ist offensichtlich.
Echten Perspektivenwechsel erlebt man auch mit „Was wir wollen“ (“Of kisses and capes“), ein deutscher Kurzfilm. Das Thema körperliche Behinderung verwoben mit dem Thema Sex – eine Geschichte, die zumindest mir in meinem Alltag bisher nicht begegnet ist. „Was wir wollen“ ist ein großartiges Beispiel dafür, welche Denkanstöße das Medium Film geben kann.

Emotionen auf der Leinwand sind Emotionen im Herzen des Publikums

 

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Ein Beitrag geteilt von Lucien Lepoutre (@lucienlepoutre)

In „Translucide“ („Behind the glass“), einem belgischen Kurzfilm, geht es um einen jungen Mann. Man begleitet ihn durch den Film und seine Realisation, dass er selbst Bewohner einer Psychiatrie ist. Der Film ist nicht nur schauspielerisch eine große Leistung, auch szenisch ist das Gefühl des Gefangenseins intelligent umgesetzt. Als Zuschauerin fühle ich mich mit in diese Enge gezogen. Hier muss man nicht jede Szene verstehen, um sie fühlen zu können.

Ähnlich und doch ganz anders ist „שמעי קלמי“ („Listen to my voice“). Auch hier fühlt man viel mit, obwohl man erst im Laufe des Films den Hintergrund zu verstehen beginnt. Es ist ein Dokumentarfilm von Zohar Orian Cohen, der über die Beziehung zu ihrer Mutter und ihre Kindheit berichtet. Dass sie von ihrem Vater Misshandlung erfahren hat, wird erst nach und nach klar. Die Kamera wechselt zwischen ihrer Mutter und ihr, mal alleine im Bild, mal gegenüber, mal schreiend über Facetime. Zohar präsentiert mit diesem Film offen die Wunden ihrer Kindheit. Während der Vorführung sitzt sie mit im Kinosaal und beantwortet nach dem Film Fragen. Bei dieser Ebene von Intimität kann ich sie dafür nur bewundern.

„The Boy“ und Yahav Winner

 

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Ein Beitrag geteilt von Shoval Tshuva (@shovaltshuva)

Bewundernswert ist auch Programm Nummer 3. – es ist ein schweres Programm. Der letzte Film in diesem Programm ist „הילד“ („The Boy“). Der Director des Films ist Yahav Winner. Am 7. Oktober wurde Yahav von Angreifern der radikalislamischen Terrororganisation Hamas ermordet. Bevor der Film gezeigt wird, spricht sein Mentor, angereist aus Israel, über den jungen Mann, über all das verlorene Talent und den Verlust eines wunderbaren Menschen. Schon hier hat der halbe Kinosaal Tränen in den Augen. Dann werden Yahavs Frau, der Producer und der Hauptschauspieler seines Filmes per Zoom zugeschaltet. Es bricht auch mir das Herz, die Gesichter auf der Leinwand zu sehen und deren Geschichte kennenzulernen. „This is not an eulogy, but a celebration“ („Dies soll keine Grabrede sondern eine Feier sein“), so sein Mentor. Das fällt nicht leicht.
Als der Film startet liegt im Saal ein Atmosphäre der Bedeutsamkeit. Man ist sich seiner Menschlichkeit sehr bewusst, auch seiner Vergänglichkeit. Auch daran liegt es, dass mich der Film so berührt. Bewegend schön erzählt er die Geschichte einer Vater-Sohn-Beziehung. In den Augen der Protagonisten liegt Liebe, Schmerz und Verständnis, so vertraut, dass es am Herzen zieht. Ich kann nicht anders, als nach dem Film eine Art großer Dankbarkeit zu fühlen. Dafür, dass es Leute wie Yahav gibt, die so ein Kunstwerk erschaffen, und dafür, dass ich hier und heute in einem Kino sitzen und dieses Kunstwerk erleben darf.

Generell bin ich ständig erstaunt davon, was für tolle und bedeutsame Arbeit jeden Abend hier aufgeführt wird. Jeder dieser Kurzfilme hat seinen eigenen emotionalen Kosmos und jede einzelne Geschichte ist wichtig und so relevant. Geschichten erzählen liegt dem Menschen im Blut und ist eine Möglichkeit, Geschehnisse zu verarbeiten und Erlebtes weiterzugeben, das wird während dem Filmschoolfest ganz deutlich. Das Leben ist wunderschön, schmerzhaft, sehr lustig und oft überfordernd. Filme machen ist genau wie Filme schauen eine schöne Art, damit umzugehen.

Titelbild: Filmfest München

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