Kultur, Nach(t)kritik

Perry Rhodan im Volkstheater

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Perry-Rhodan-Crew (c) Juliana Krohn

Vor zwei Tagen erst haben sich die „Helden des Groschenromans“ mit ihrer „Lassiter“-Lesung im wilden Westen in der Pasinger Fabrik herum- und das Publikum zu wahrer Heiterkeit getrieben, da starten sie auch schon zu neuen Abenteuern, die sie an diesem Montagabend (21.11.) bis in die unendlichen Weiten des Weltraums führen. Unter dem Kommando von US-Astronaut „Perry Rhodan“, dem Held der gleichnamigen Science-Fiction-Serie, besteigen sie im gut zur Hälfte besetzten Foyer des Münchner Volkstheaters das Podium, um von dort ihre szenisch-literarische Reise in die schwindelnden Höhen geistreicher Unterhaltung anzutreten.

Sollte das Publikum angesichts der verwendeten literarischen Vorlage von Zweifeln am Erreichen dieser Höhen oder gar von Flugangst geplagt sein, weiß die Moderatorin und Flugbegleiterin Marion Bösker diese mit handfest illustrierten Sicherheitshinweisen charmant zu zerstreuen. Und so heißt es pünktlich um 20 Uhr „fasten your seatbelt“ und „ready for liftoff“. Ab jetzt übernehmen die „Helden“ zusammen mit den Musikern Stefan Noelle (Minimalschlagzeug) und Alexander Haas (Kontrabass) von „Unsere Lieblinge“ das Steuer und zünden zur Titelmusik von „Stark Trek Raumschiff Enterprise“ (so schön wurden die Sphärenklänge wohl noch nie ins Mikro geklagt) die erste Stufe ihrer famos-ideenreichen Live-Interpretation von „Unternehmen Stardust“, dem ersten Band der mittlerweile 50 Jahre alten „Perry Rhodan“-Serie.

Auf dem Podium sitzen mit konzentriert-versteinerten Mienen Sabrina Khalil und Thorsten Krohn (dank verspiegelter Pilotensonnenbrille der Inbegriff von Coolness) in „nervenschonendem Tiefschlaf“ und warten darauf, in die Umlaufbahn katapultiert zu werden. Doch kurz vor dem Start muss die Flugbegleiterin noch rasch die Fluggäste auf ihre Einsätze bei dieser – Überraschung! – interaktiven Lesung vorbereiten. Auf zwei verschiedene Handzeichen hin sollen sie entweder „Technische Daten!“ einfordern oder aber mit „Das ist ja unglaublich!“ ihr Erstaunen kundtun. Nach einer kleinen Übungsrunde, die das begeisterte und lachfreudige Publikum mit Bravour meistert, wuchtet die „Stardust“ ihren massigen Leib aus „MV-Stahl und Plastik“ in die Nachtluft über der Briennerstraße. Äh, Verzeihung! Über dem „Nevada Fields Space Port“ natürlich.

Unter dem Kommando von Major Perry Rhodan und zu den Klängen von „Space Oddity“ von David Bowie und „Flieger, grüß mir die Sonne“ von Hans Albers, rasen Captain Reginald Bull, Captain Clark G. Flipper und Dr. Eric Manoli (Arzt) – alle akustisch zum Leben erweckt von der wandelbaren Stimme von Thorsten Krohn – dem Mond-Südpol entgegen. Extremen Beschleunigungen von bis zu 15,4 Gravos ausgesetzt, bleiben der Besatzung zwischen den einzelnen Startstufen maximal 8 Sekunden für eine kleine „Intervallerholung“, wobei die Astronauten plötzlich zusammensacken und mit dem Oberkörper aufs Pult nach vorne kippen. Ein herrlicher Anblick!

Obwohl die Crewmitglieder während des Flugs auf „hydropneumatisch gesteuerten Konturlagern“ liegen, deren „automatische Niveauregler jede Gewichtsveränderung ausgleichen“ (ein Bett dieser Art wäre der Verkaufsschlager bei IKEA, Name: Konturloss), wirkt der Eintritt in die „Schwerelosigkeit wie ein urgewaltiger Hammerschlag“ auf sie ein und so ist es kein Wunder, dass sich Captain Flipper heftig auf die Zunge beißt und fortan nur mehr lispeln kann. Zum Glück ist die Zunge „mehr angebissen als durchgebissen“ und kann von Dr. Manoli verklebt und mit Plasmakonzentrat versorgt werden. Und das keinen Moment zu früh, die Mondlandung steht kurz bevor. Schon legen die Astronauten zu „Rocket Man“ von Elton John ihre formschönen Raumanzüge (Snowboard-Schuhe) an, um „die Wahrscheinlichkeit eines Unfalls auf ein Mindestmaß“ zu reduzieren. Schließlich kann man nie wissen, welche Steine einem auf dem Mond in den Weg gelegt werden und so ein Zeh ist schnell gebrochen. Ein Genick allerdings auch. Vor allem wenn plötzlich ein Störsender die Fernsteuerimpulse überlagert und die „Stardust“ auf dem fremden Planeten zu zerschellen droht. Doch Perry wäre nicht Rhodan, wenn er nicht täte, „was er als Kommandant in solchen Fällen zu tun hat“: Er „verzichtet auf jedes zeitraubende Nachdenken“ und legt in einer „atemberaubend schnellen Reflexbewegung“ den Hauptschalter um und eine astreine Notlandung auf die Mondoberfläche. Das ist… Achtung! Der Arm der Flugbegleiterin schnellt hoch, zwei Finger folgen, Einsatz bitte und wie auf Knopfdruck schmettert das Publikum ein mächtiges „Das ist ja unglaublich!“ durch den Raum. Exakt, das ist es! Danke für die Mitarbeit!

Während sich die Crew des Überlebens freut, ist er plötzlich da: der Moment, in dem der US-Astronaut Perry Rhodan, geboren im oberbayerischen Irschenberg und Sohn der deutschen Science-Fiction-Autoren Walter Ernsting und Karl-Herbert Scheer, als erster Mann den Mond betritt. „Es geschieht still“ und ohne lauten Jubel reichen sich Perry und seine Kollegen mit heiligem Ernst die Hände zum exakt choreografierten Gangsta-Gruß. Bewundernswert, wie Sabrina Khalil und Thorsten Krohn dabei ihre feierlich-ernsten Mienen bewahren und nicht selbst vor Lachen in die Knie gehen. Das Publikum indes liegt längst unter den Stühlen.

Umgehend erkunden die Astronauten nun die Gegend und das ganz ohne GPS und nur mit einem Falk-Plan bewaffnet, der sich partout nicht mehr in seine Ausgangsform bringen lässt und als verwurschteltes Knäuel auf dem Boden endet. Mag die daraus resultierende Orientierungslosigkeit „ein Grund zur Beunruhigung wenn auch nicht zur krassen Besorgnis“ sein, so sorgt die schmelzende Antenne des Parabol-Richtstrahlers (getarnt als handelsübliches Transistorradio) für gesteigerte Aufregung im Team. Als die Crew auch noch ein perfekt kugelförmiges Raumschiff entdeckt, sind für Perry Rhodan drei Dinge sofort klar: „Wir sind nicht mehr allein. Wir sind es nie gewesen. Und dieses Raumschiff ist niemals in Asien gebaut worden!“ – „Das war alles. Mehr sagte er nicht.“

Stattdessen entert er lieber gleich das fremde Schiff, wo er auf die fremde Spezies der Arkoniden trifft. Äußerlich den Menschen ähnlich, könnten sie „nach der Hautfarbe zu urteilen, zu einem samthäutigen Insulanerstamm gehören“. Was ihren Geisteszustand betrifft, so haben sich die meisten das Hirn beim fiktiven Simulator-Spiel, einer frühen Form des Smartphones, weggedaddelt (schön balla: Marion Bösker am Gameboy) und lediglich der todkranke Wissenschaftler Crest (wunderbares Darth Vader-Geröchel von Sabrina Khalil) und die gleichsam umwerfend schöne wie unterkühlte Kommandantin Thora (ebenfalls Sabrina Khalil, jetzt ohne Röcheln, dafür mit weißblonder Perücke) verfügen noch über den messerscharfen Verstand, der es ihnen verbietet, sich mit „Kreaturen unterhalb der Entwicklungsstufe C“ (sprich: Menschen) abzugeben. Doch während Crest eine Ausnahme macht und sich mit Perry Rhodan über den drohenden Atomkrieg auf der Erde und seine dringend benötigte Therapie verständigt, begegnet Thora dem großmütigen Astronauten („Sie haben mich zur Notlandung gezwungen, aber darauf will ich nicht eingehen.“) mit knallharter Ablehnung. Da muss Perry schon ganz tief in die Charme-Kiste greifen und seine Augen „wie die frischen Bruchstellen grobkörnigen Stahls“ funkeln lassen, um die Schale der toughen Kommandantin zu knacken. Doch erst nach einer Reihe heißkalter Flirts und dem hochkomischen „Tanz den Rücksturz“ aus „Raumpatrouille Orion“ bricht das Eis und man beschließt die gemeinsame Rückkehr zur Erde, um die Welt mit Hilfe des „Spezialgeräts“ (nein, dabei handelt sich nicht um den als Körperwaage getarnten „Schwere-Neutralisator“ und auch nicht um den an einen Staubsauger erinnernden „vollautomatischen Bodenreformer“) vor dem Atomkrieg zu bewahren.

Ganz den „kosmischen Maßstäben“ verpflichtet, landet Perry Rhodan die „Stardust“ sicher auf der Erde, wo er mit Crests „Spezialgerät“ mal eben die Welt rettet und seinen Abschied aus der US Space Force nimmt. Nur aus der US Space Force? Leider nein. Denn auch die gemeinsame Reise mit „Unseren Lieblingen“ und den „Helden des Groschenromans“ endet hier. Und zwar mit lang anhaltendem Applaus, lautem Jubel und Standing Ovations für einen galaktisch unterhaltsamen Abend, der mit der Zugabe von „Fred vom Jupiter“ einen mehr als würdigen Abschluss findet. Während Sabrina Khalil und Marion Bösker ihren Fred (Thorsten Krohn) noch sehnsüchtig umschwärmen und zum Bleiben auffordern, möchte das Publikum den fünf Künstlern am liebsten das Gleiche zurufen: „Bitte, geht noch nicht fort!! Aber wenn es unbedingt sein muss, dann kommt wenigstens bald wieder!“ Das Spitzenpublikum im Volkstheater hat es sich gestern mehr als verdient!

PS: Die vorerst letzte Chance, die „Helden“ live zu erleben: Diesen Donnerstag (24.11.) bei der „Lassiter“-Lesung um 20 Uhr in der Pasinger Fabrik!

Foto: Perry-Rhodan-Crew (c) Juliana Krohn

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