Kultur, Nach(t)kritik

Aus purer Lust am Schund!

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Die „Helden des Groschenromans“ haben in der Pasinger Fabrik „Lassiter“ gelesen. Heute lesen sie Perry Rhodan im Volkstheater!

schund

Gehörst Du auch zu den Menschen, die ein Buch seiner Verfilmung oder Dramatisierung in jedem Fall vorziehen? Ganz gleich wie der Film oder das Stück besetzt sind und welcher namhafte Regisseur die Inszenierung besorgt? Bist du auch der Meinung, dass Filme oder szenische Umsetzungen in den seltensten Fällen an ihre literarischen Vorlagen heranreichen, ja sogar den beim Lesen entstandenen Bildern, Empfindungen und Interpretationen mehr nehmen als geben?

Dann warst Du vermutlich noch nie bei den „Helden des Groschenromans“ zu Gast, die derzeit in München mit ihren „Lassiter“- und „Perry-Rhodan“-Lesungen gastieren, so zum Beispiel am vergangenen Samstag (19.11.) in der Pasinger Fabrik. Denn wer einmal miterlebt hat, wie das Quartett – bestehend aus dem Schauspieler Thorsten Krohn, der Schauspielerin und Sängerin Sabrina Khalil, dem Musiker Tobi Weber und der Erzählerin sowie Kopf des Ganzen, Marion Bösker – die trivialen Texte der Heftromane zum Leben erweckt, der muss sein Urteil zwangsläufig revidieren.

Taugen die gerne auch als „Schundhefterl“ bezeichneten 62-Seiten-Romane vom Kiosk häufig nur als Bahn- oder Klolektüre, gelingt es den „Helden“ dank ihres spielerischen Könnens, ihrer kreativen Einfälle und dem pointensicheren Einsatz witziger Requisiten, den vermeintlich banalen Schund in intelligente Unterhaltung zu verwandeln, mit der sich auch finstere, kalte Novemberabende ohne Herbstdepression überstehen lassen.

Das geht schon los bei der Bühnen- bzw. Tischdekoration. Während andere eine ganze Welt als Bühne benötigen, reicht den vier „Helden“ ein langer Tisch, der ihnen – geschmückt mit einem beeindruckenden Longhorn-Rinderschädel – als Prärie, Saloon, Ranch, Westernstadt und Indianergebiet dient und je nach Szenerie mit Salbeibüschen (im Topf), Whiskeyflaschen, Petroleumlampen und Kakteen (auch im Topf) umdekoriert wird.

Denn „Lassiter“ (gelesen von Thorsten Krohn) kommt als gestandener und ständig verfolgter Cowboy – mal sind es feindliche Räuberbanden, mal glutäugige Frauen (hochgradig attraktiv: Sabrina Khalil) oder eifersüchtige Shoshonen-Häuptlinge (Tobi Weber mit schwarz-rot-goldener Kriegsbemalung) – ziemlich weit herum. Und das, obwohl ihm seine Pferde im Lauf der Geschichte wegsterben wie die Fliegen und er die ein oder andere Meile zu Fuß und in tiefer Trauer um seine jüngst verlorenen tierischen Begleiter zurücklegen muss. Doch „Lassiter schämte sich seiner Tränen nicht“, zudem wird er in seiner Trauerarbeit von Tobi Weber unterstützt, der in allen passenden und unpassenden Momenten den Bruce Low-Song „Es hängt ein Pferdehalfter an der Wand“ intoniert, was auch dem Publikum die (Lach-)Tränen in die Augen treibt.

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Man weiß zwar nicht wie, doch Lassiter gelingt es immer wieder, sich einen neuen lebenden Untersatz für sein Sattelzeug zu besorgen und im rasenden Galopp seinen Verfolgern zu entkommen. In den Händen von Marion Bösker dienen einfach Kinder-Kastagnetten der Synchronisation von Hufgetrappel und mit zwei raschelnden DIN A 4-Blättern bringt sie gar eine Flussdurchquerung zu Gehör.

Dass Lassiter auf seiner Flucht mit dem Halbblut Ines auch noch Zeit für einen Quickie nach Shoshonen-Art findet (nur soviel: Ines umfasst dabei mit beiden Händen den Sattelknauf), gehört für den Mann, „der schneller liebt als sein Schatten“ und der beim Anblick großer Brüste „in seinen Lenden ein wildes Pochen“ verspürt, natürlich zum Repertoire. Ebenso wie das Überleben schwerer Kollisionen mit Saloontüren (empfohlene Medizin: eine Flasche Whisky), die Flucht aus verwinkelten Ranchgebäuden (hätte sich Marion Bösker nicht als lebendes GPS zur Verfügung gestellt und Lassiters Fluchtweg auf dem maßstabsgetreuen Grundriss der Ranch nachgezeichnet, das Publikum hätte ihn glatt aus den Augen verloren) und die vorbildlich zurückhaltende Abwehr („er schlug kurz und temperiert zu“) weiblicher Angreiferinnen.

Ein Mann wie Lassiter vergisst selbst im Moment höchster Bedrohung nicht, „dass sie eine Frau“ ist. Zum Glück! Denn ebendiese Frau wird ihn nach einer wilden Schießerei gesund pflegen und ihn nach einem leidenschaftlichen Kuss am Krankenbett fragen: „Lassiter, was soll das noch werden, wenn Du nicht mehr so schwach bist?“ – Leider hat das Publikum die Antwort bei der Lesung am Samstag (19.11.) in der Pasinger Fabrik nicht mehr erfahren, denn im Gegensatz zu Lassiter, der sich schon mal an den Brüsten seiner aktuellen Gespielin festhält (und damit bei Marion Bösker einen hin- und mitreißenden Lachanfall auslöst), verfügen die „Helden“ über den gebotenen Anstand, um das junge Glück an dieser Stelle alleine und seinem Schicksal zu überlassen.

Nach gut eineinhalb Stunden endet denn auch ihr szenisch-musikalischer Ritt durch die Niederungen des Groschenromans, aus dessen zum Teil faszinierend kruden Sätzen und Handlungssträngen ein in höchstem Maße amüsanter und auf intelligente und abwechslungsreiche Weise unterhaltsamer Abend entstanden ist. Respekt, das muss man erst mal hinbekommen! Zum Beispiel mit ansteckender Spielfreude, wirkungsvollen Special Effects (Pistolenschüsse, Vogelgezwitscher), humorvollen Einfällen (Werbepause!) und tollen Gesangseinlagen (zum Dahinschmelzen: Sabrina Khalil und Tobi Weber im Duett bei „Help me make it through the night“ von Kris Kristofferson).

Wer selbst die Probe aufs Exempel machen und die literarische Vorlage mit ihrer szenischen Vorlesefassung vergleichen will, hat am Montag, 21. November („Perry Rhodan“ im Münchner Volkstheater, 20 Uhr) sowie am Donnerstag, 24. November („Lassiter“ in der Pasinger Fabrik, 20 Uhr) Gelegenheit dazu und sollte unbedingt bis nach der Zugabe bleiben: Dann darf man sich nämlich ein paar der Heftromane kostenlos mit nach Hause nehmen.

Foto: Zerluth

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