Kultur, Nach(t)kritik

Geteiltes Leid

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xiuxiu_München Konzerte von Xiu Xiu sind so etwas wie Leiden im halböffentlichen Raum, der Besucher zahlt also einen kleinen Beitrag, um einen bestmöglichen Ausblick auf die Selbstgeißelung von Jamie Stewart, vorgetragen mit seiner derzeit dreiköpfigen Begleitband, zu erhaschen. So auch am 10. April in der mäßig gefüllten Kranhalle des Münchner Feierwerks.

Fairerweise sollte man keinem Menschen vorwerfen, sich an diesem Abend für eine andere Form der Unterhaltung entschieden zu haben – die Auftritte der Amerikaner gelten als nicht sonderlich einfach rezipierbar, angefangen bei der quasi nicht vorhandenen Interaktion mit dem Publikum, verbreiten die vier auf und vor der Bühne ein körperlich spürbares Unwohlsein, eine unangenehme Schnittmenge aus schroffer, abweisender Gestik und gehetzter Unruhe. Am deutlichsten fokussiert sich das natürlich in der Person Jamie Stewarts selbst – ein Getriebener, der sich mit entrücktem Blick über seiner Gitarre krümmt, seine (selbstbezeugt) kranke Gefühlswelt den neugierigen Blicken da unten zum Fraß vorwirft und dabei augenscheinlich derart unter Druck steht, dass man meint, er werde den Abend nicht heil zu Ende bringen können.

Tut er natürlich doch – bei allem Befremden muss man ihm und seiner Band zugute halten, dass die Musik, die diese zur Schau gestellte Qual untermalt und transformiert, wunderbarer, feinster Indie- und Postrock ist – kalt, natürlich, aber eben auch faszinierend. Das gilt für die Stücke seines fabelhaften neuen Albums „Always“, hier vor allem die Single „Hi“, „Joey’s Song“ und „Beauty Towne“, genauso wie für ältere Songs, mit „Fabulous Muscles“, „The Fox And The Rabbit“, „I Love The Valley, OH!“ mischt er sein Set ausgewogen zwischen früher und heute. Zwischendurch immer wieder die fast zwanghafte Mundspülung mittels zweier verschiedener Flüssigkeiten, das eigenhändige Wechseln einer Gitarrensaite (anderswo vom emsigen Roadie mittels Zweitinstrument schnell überbrückt) gerät bei Stewart – keiner im Publikum wagt auch nur einen Laut von sich zu geben – zur spannungsgeladenen, sprichwörtlichen Zerreißprobe. Um so lauter dann der Jubel für zwei gelungene Coverversionen: Schon „Ceremony“ aus dem Spätwerk von Joy Division scheint wie für diese Band und diesen Abend gemacht, bei der furiosen Zugabe „Frankie Teardrop“ von Suicide taumelt und springt Stewart, vom eigenen Mikrofonkabel gewürgt, mit luzidem Grinsen über die Bühne – die ganz große Show. Und mit Sicherheit das Ende eines eigenwilligen, aber gelungenen Abends.