Kultur, Nach(t)kritik

Heimeliger Hippieabend

Salvan Joachim
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Genug ist nicht genug für Gitarrist und Keyboarder Jean-Michel Tourette. Doch mehr Stimmung als im Circus Krone geht gar nicht: Wir sind Helden zünden ein Hymnenfeuerwerk und keiner steht still.

Judith Holofernes lässt die Arme kreisen, als sie die Bühne betritt. Sie hüpft. Sie lacht. Sie ruft: „München ihr habt einfach die schönsten Clubs.“ Das lieben die Zuhörer, gerade aus dem Mund einer Berlinerin. Faszinierend ist, dass man der Sängerin jedes Wort glaubt. Sie wirkt so entspannt, so locker, so natürlich, als wären nur ein paar Gäste gekommen. Doch das Konzert war früh ausverkauft und nach den ersten Liedern hält es selbst in der letzten Reihe keinen auf den Sitzen.

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„Wir haben uns vorgenommen, das komplette Ouevre zu spielen“, sagt sie und kündigt eine Single nach der anderen an. Ein Abend der gemeinsamen Flucht: Die Zeit steht still, die Beine zappeln. Der Circus Krone wandelt sich in eine riesige Hippiekommune: Jeder tanzt mit jedem und schiebt den Montagmorgen in weite Ferne.

Das neue Album „Bring mich nach Hause“ ist ganz anders geworden, als die Platten zuvor. Wir sind Helden klingen ruhiger, melancholischer. Sie wollen nicht mehr das Sprachrohr einer Generation sein, was sie ja nie wollten. Die Nachdenklichkeit der Sängerin wird nicht mehr zum Hitpaket geschnürt. Manche nennen das Album „Folk“. Auf der Bühne ist alles anders. Wenn Jean-Michel Tourette zum Akkordeon greift, ertönen Lieder von der neuen CD. Und die sind dann doch verdammt tanzbar und eine gelungene Abwechslung zum Verzerrte-Gitarre-plus-Synthie-Mix in „Denkmal“, „Aurelie“ und wie die Hits alle heißen.

Zum Schluss spielen Wir sind Helden auch noch „Let the sun shine in“, die Hymne einer Generation, die das Konzert nicht besuchte. Funktioniert trotzdem. Aus dem Musical Hair stammt der Song, der die Feierlaune perfekt macht. „Könnt ihr noch?“, fragt Judith Holofernes. All die Blumenkinder schreien „Ja“. Sie kann nach 90 Minuten nicht mehr, aber sie hat alles richtig und den grauen Sonntagabend zum Freudenfest gemacht.

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